Der ganze unglückliche Verlauf seiner Ehe mit Clotilde stand ihm vor Augen. Vielleicht verändern sich alle Frauen völlig in der Ehe? dachte er. Vielleicht bricht ihre wahre Natur in der Ehe durch, jetzt, da sie ihr Ziel erreicht haben? Wer weiß es?
Clotilde spielte prächtig Klavier, und er, der die Musik über alles liebte, hatte sich auf die Musikabende gefreut. Aber in der Ehe rührte Clotilde das Klavier kaum mehr an. Sie öffnete auch kaum noch ein Buch und fand alle Gespräche über Bücher und Literatur zum Sterben langweilig. Mehr und mehr hing sie ihr Herz an äußerliche Dinge.
Die vier Häuser, die sie in die Ehe brachte, hatten sich zwar als völlig wertlos erwiesen, trotzdem behielt sie ganz die Passionen einer reichen Erbin bei. Natürlich musste sie ein Auto haben, einen bestechenden Wagen, dass ihre «Freundinnen vor Neid platzte», später entdeckte sie ihre Liebe zu Pferden und hielt Reitpferde. Sie liebte elegante Kleider und Hüte, sie liebte luxuriöse Badeorte und Hotels, Ostende[46] zum Beispiel oder das «Stephani». in Baden-Baden. Vornehme Herrschaften erträumte sie sich als ihre Gesellschaft. Auch ihre Freundschaft mit der Baronin Thünen ließ sich mit dieser Neigung erklären. Ihre Liebe verging, ihre Oberflächlichkeit blieb zurück.
Er verdiente damals viel Geld, aber wenn er nur wagte, etwas Sparsamkeit in dem und jenem zu empfehlen, pflegte sie die Achseln zu zucken und zu lachen: «Mein Gott, wenn ich denke, welche Unsummen andere Männer verdienen». Reichtum, das war ihr Traum!
Ihre Ansichten über Sinn und Ziel des Lebens trennten sich immer mehr, und als er es gewahr wurde, waren sie schon hoffnungslos entfernt voneinander.
Er konnte mit einem guten Buch, einer Flasche Wein und einer guten Zigarre zufrieden sein, Clotilde aber hatte nur kostbare Dinge im Kopf, Mäntel, Pelze, Hotels, Autos, Pferde, alles andere war Unsinn. Allmählich waren sie in die Zone des Schweigens geraten, die gefährlichste Zone in einer Ehe, denn aus ihr führt kaum mehr ein Weg zurück.
Wir leben auf zwei verschiedenen geistigen Ebenen, dachte Fabian oft. Diese Erkenntnis überkam ihn endlich, und er war stolz auf seine Weisheit. Und vielleicht, ging es ihm oft durch den Sinn, ist es das schlimmste Schicksal, das einen Mann treffen konnte, mit einer Frau auf verschiedener geistiger Ebene verheiratet zu sein?
XIV
Es wäre natürlich unsinnig gewesen, eine derart zermürbte Ehe wieder zusammenflicken zu wollen. Fabian sah das längst ein. Jetzt handelte es sich darum, die nicht geringen Forderungen Clotildes auf ein vernünftiges Maß zurückzuführen. Auf keinen Fall aber, erklärte er Schwabach, werde er die Erziehung der beiden Jungen der Mutter überlassen. Als Vater und Christ sei ihm das völlig unmöglich!
Der Justizrat warf einige Notizen aufs Papier, dann legte er den Schriftsatz zur Seite und erhob sich, indem er sich reckte und den Pudelkopf schüttelte.
Nun trug Fabian die Angelegenheit von Sanitätsrat Fahle vor. Sofort hörte Schwabach mit dem Recken und Strecken auf und kehrte wieder auf seinen Stuhl zurück. «Ich stehe zur Verfügung[47], Herr Kollege».
Schwabach, an dessen Gutherzigkeit niemand zweifelte, hörte aufmerksam zu, aber allmählich wurden seine Züge leblos, selbst seine dicken Lippen bewegten sich nicht mehr. «Fahle? Fahle». murmelte er halblaut vor sich hin, als höre er den Namen zum erstenmal. «Ich war stets ein großer Bewunderer Fahles». Schwabach hatte die Stimme gedämpft, obwohl alle Türen seines Arbeitszimmers gepolstert waren. «Es handelt sich um eine neue Entdeckung, die von epochaler Bedeutung sein kann, Herr Justizra», schloss Fabian sein Ansuchen.
Schwabach tastete mit seiner fleischigen Hand nach Fabians Arm. «Man möchte natürlich einem so bedeutenden und prachtvollen Mann wie Fahle gern behilflich sein, von Herzen gern, verstehen Sie? Ich sehe aber keine Möglichkeit, nicht die geringst», sagte er endlich.
«Wenn ich oder noch besser Sie mit dem neuen Direktor des Krankenhauses sprächen». widersprach Fabian.
«Direktor Sandkuhl ist ein Fanatike», raunte Schwabach so leise und tief, als befürchte er, jemand lausche an der Tür. «Er lebt wahrscheinlich in der Furcht, dass Fahle als fanatischer Jude die unersetzlichen Instrumente zerstören könnte. Lächeln Sie nicht! Wie ein Katholik an das Dogma glaubt, ohne zu deuteln, so glaubt er an die Unfehlbarkeit der höchsten Stelle. Wir kennen die Gedankengänge der höchsten Stelle nicht. Vielleicht ist sie der Ansicht, dass die Juden für die deutsche Mentalität schädlich sind, vielleicht glaubt sie, dass der Einfluss des Judentums die deutsche Mentalität in hundert Jahren zerstören und vernichten wird? Wer soll es wissen? Sandkuhl wagt es nicht, eine eigene Meinung zu haben. Er kommt von der Armee und ist gewohnt, Befehle blind auszuführen».
Fabian erhob sich. «Sie erlauben mir, dass ich es trotzdem versuch»,versetzte er. «Vielleicht gelingt es mir, Sandkuhl zu überzeugen, dass die von der ganzen Stadt geschätzte Persönlichkeit Fahles und seine wissenschaftlichen Forschungen eine Ausnahme zulassen».
Schwabach stand ebenfalls auf, schüttelte den Kopf. «Sie werden nichts erreichen, lieber Freund, nichts und bei niemand». fuhr er mit gedämpfter Stimme fort. «Ich weiß, wie man an höchster Stelle denkt, glauben Sie es mir. Als Kollege aber, der Sie schätzt, gebe ich Ihnen den guten Rat, lassen Sie die Hände von diesen Dingen».
Fabian blickte Schwabach forschend an und zögerte zu antworten.
Darauf legte Schwabach seine fleischige Hand auf Fabians Schulter und setzte hinzu: «Es ist der Rat eines Freundes. Sie begeben sich auf ein heikles Gebiet, ja auf ein gefährliches Gebiet! Hören Sie auf mich».
Er geleitete Fabian bis ins Vorzimmer und sagte mit seiner gewöhnlichen lauten Stimme: «Und das mit der Stadt bringen Sie wohl am besten bald ins reine[48]? Taubenhaus ist ein großzügiger Mann, der das Herz auf dem rechten Fleck hat». Da Fabian nicht gleich antwortete, fügte er hinzu: «Wir müssen ja alle unser Scherflein auf dem Altar des Vaterlandes niederlegen[49], nicht wahr? Und ich weiß doch, dass Sie immer ein großer Patriot und Idealist gewesen sind». «Patriot werde ich wohl immer bleiben». erwiderte Fabian lächelnd. «Und auch Idealist bin ich noch immer, leider, hätte ich fast gesagt».
Schwabach lachte. «Gott sei Dank, wollen wir lieber sagen». rief er aus und reichte Fabian die Hand. «Wir haben in der Anwaltskammer oft von Ihnen gesprochen und im Hinblick auf Ihre Begabung so sehr bedauert, dass Sie zu keinem Entschluss kommen können. Allerdings, viel länger könnten wir nun nicht mehr warten, will ich Ihnen ganz im Vertrauen sagen… Leben Sie wohl, lieber Kollege».
Wenige Stunden später rief Fabian bei Sanitätsrat Fahle an. Er berichtete ihm, dass er bereits die ersten Schritte in der bewussten Angelegenheit unternommen habe. Er werde sich weiter nach Kräften bemühen und bäte nur um etwas Geduld, alles brauche Zeit. Es war ihm unmöglich, Fahle die bittere Wahrheit mitzuteilen, die ihn vernichtet hätte.
Schade, dachte er voll echten Mitleids, als er den Hörer ablegte. Es ist nichts zu machen, dreimal schade. Schwabachs Haltung hat mich mehr als überzeugt. Er ist immer vorzüglich orientiert. Gefährliches Gebiet? Hast du gehört, dass er gefährliches Gebiet sagte?
Er begab sich völlig zermürbt in den «Ster», um zu Abend zu essen. Da es noch früh war, befand sich noch kein Gast im Speisesaal. Trotz aller Erschöpfung verspeiste er mit gutem Appetit ein vorzügliches Sahnegulasch, und bei einer Zigarre und einer Flasche Bordeaux, die er langsam austrank, Glas um Glas, gab er sich seinen Gedanken über das Leben hin, das sich vor ihm ausbreitete.
Ein Abschnitt seines Lebens lag hinter ihm, er hatte schwere Fehler begangen, zugegeben, Clotildes Ansprüche würden auf keinen Fall gering sein, das war sicher. Die vier wertlosen Mietshäuser Clotildes werden mich eine schöne Stange Geld kosten – er lachte —, aber vergessen wir nicht, dass sie mir zwei prächtige Jungen geboren hat. Das wollen wir niemals, niemals außer acht lassen! Er hob das Glas und trank auf seine Jungen, Harry und Robby hießen sie.