Fabian bedauerte. Er habe halb und halb seinem Bruder den heutigen Abend versprochen.
«Halb und halb». rief Marion lachend, während sie ans Telefon eilte. Sofort führte sie ein heiteres Telefongespräch mit Wolfgang, den sie ebenfalls zum Essen einlud. Aber Wolfgang konnte nicht, er konnte auch heute nicht in den «Ster». kommen zu seinem Bruder, eine plötzliche Arbeitswut hatte ihn befallen.
Im Augenblick war alles in Ordnung gebracht. «Nun gibt es kein Hindernis meh», rief sie Fabian triumphierend zu, während sie dem Vater behilflich war, sich vom Diwan zu erheben. «Übrigens werden auch Frau Lerche-Schellhammer und Christa zu Tisch sein. Die Damen nehmen Sie sicher gern in ihrem Wagen mit zur Stadt zurück».
Christa? Fabian sah ihr mildes Lächeln vor sich, als er ihren Namen hörte. Er freute sich, sie überraschend wiederzusehen.
XIII
Fabian war aufrichtig entschlossen, sich der Sache Fahles anzunehmen. Er fand es empörend, dass man einen Gelehrten von Fahles internationaler Bedeutung so herabwürdigend und schamlos behandelte.
Es handelt sich in erster Linie darum, an den neuen Direktor des Krankenhauses, diesen Doktor Sandkuhl, heranzukommen, und der aussichtsreichste Weg schien ihm über Justizrat Schwabach zu führen, der eine maßgebende Rolle in der Partei spielte. Schwabach war Vorsitzender in der Anwaltskammer der Stadt und vertrat Fabian gleichzeitig in seiner Scheidungsangelegenheit. Das traf sich sehr gut, er hatte ohnehin mit ihm zu tun. Sofort vereinbarte er mit Schwabach telefonisch eine Unterredung auf den nächsten Tag. Nun erst war er beruhigt.
Justizrat Schwabachs Büroräume lagen in der Hauptgeschäftsstraße, im Hause des Juweliers Nicolai, das völlig renoviert worden war. Der Treppenaufgang machte einen wahrhaft großstädtischen Eindruck, und ebenso eindrucksvoll war das blitzende Messingschild mit der Aufschrift: Edler von Schwabach.
Fabian lächelte. Edler von Schwabach! Das hörte sich gut an und war in diesen Tagen nicht mit Gold zu bezahlen. Dieser Schwabach gehört zu den Menschen, bei denen alles zum Guten ausschlägt[45], dachte er. Schwabach hatte wie alle Anwälte eine Reihe von Urkunden vorlegen müssen, um seine arische Abkunft zu beweisen. In seiner Heimat, einem kleinen Dorf in Württemberg, hatte er erfahren, dass er einer alten adligen Familie entstammte. Als Bürgerlicher fuhr er hin, als Adliger kam er zurück. Seine Briefbogen trugen jetzt ein Wappen: ein Vogel, der einen Fisch im Schnabel hält.
Das wie ein Salon eingerichtete Wartezimmer saß voller Klienten, was Fabian nicht ohne gewissen Neid wahrnahm. Schwabach galt als einer der besten Anwälte der Stadt, und zur Zeit benötigten auch viele seinen bekannten Einfluss als mächtiges Parteimitglied. Der Bürovorsteher meldete Fabian aber sofort an, und er brauchte kaum einige Minuten zu warten.
«Sie sind ja zur Zeit als Syndikus beurlaubt, lieber Kollege». sagte Schwabach, als er Fabian begrüßte. «Bürgermeister Taubenhaus hat es mir gestern in der Sitzung erzählt».
Schwabach war ein untersetzter, beleibter Herr und sah wie ein Pudel aus, ein gutmütiger grauer Pudel. Jedenfalls erinnerten der wirre graue Haarschopf und der aufgeplusterte Schnurrbart Fabian immer an einen Pudel. Dazu hatte er einige tiefe Schmisse, die ihm die fleischigen Backen und das runde Kinn förmlich in Stücke zerschnitten hatten. Er war in seiner Jugend ein großer Raufbold gewesen. «Hoffentlich nicht allzu lang», erwiderte Fabian, zuversichtlich lächelnd.
«Ja, wir wollen es hoffe», entgegnete der Justizrat. «Nun, schließlich liegt es ja bei Ihnen. Wie mir Taubenhaus erzählte, haben Sie schon die einleitenden Schritte unternommen».
Fabian war äußerst erstaunt. «Ich hatte doch um äußerstes Stillschweigen gebete», sagte er.
Schwabach lachte. «Stillschweigen? Stillschweigen». erwiderte er. «Wir leben in einem geordneten Staatswesen, in dem es in vielen Dingen kein Stillschweigen mehr geben darf! Jedenfalls erfährt Taubenhaus alles, und als Stadtoberhaupt muss er auch schließlich alles wissen, was in der Stadt vor sich geht, nicht wahr». Er deutete auf einen bequemen Sessel hinter seinem Schreibtisch. Mit der Hast des vielbeschäftigten Anwalts begann er ohne jede Vorbereitung von der Scheidungsangelegenheit zu sprechen. «Die Gegenpartei bezeigte nach Ihrer Rückkehr mit auffallender Eile sofort wieder die alte Aktivität, ich nehme an, der Motor ist Ihre Frau Gemahlin».
Fabian nickte. «Mit größter Wahrscheinlichkei», stimmte er zu. Oh, er kannte Clotildes Augen zu gut, um sich zu täuschen. Seit seiner Rückkehr sahen sie härter und gleichgültiger aus, in den letzten Tagen hatte er sie nur glänzend und hart gesehen, manchmal erschienen sie völlig gläsern. Sie verachtete ihn, weil er, wie sie glaubte, nicht genug Entschlossenheit in jenen politischen Dingen zeigte, die ihr am Herzen lagen.
Schwabach kramte in einem Stoß von Schriftstücken. «Ihr Anwalt hat mir einen neuen Schriftsatz übersand», sagte er, «einen Schriftsatz, der eine gewisse Verschärfung der Lage bedeutet». Schwabach war sehr kurzsichtig, so dass er gezwungen war, die Brille dicht auf das Schreiben zu senken. Fabian erblickte jetzt nur noch den Pudelkopf und seine mächtige Glatze, die den roten Schädel in einem Gewirr grauer Haare entblößte.
Unerwartet schielte der Justizrat in die Höhe, um Fabian ins Gesicht zu blicken. «Ihre Beziehungen zur Sängerin Lucie Ölenschläger haben Sie ja nie bestritten». fragte er.
Fabian schüttelte den Kopf. «Ich würde mich auch schämen, es zu tu», antwortete er, während er an diese unglückliche Frau dachte, die er einmal vorübergehend liebte. Sie weinte fast immer und vergiftete sich ein Jahr später in einem Hamburger Hotel. Einige Tage vor dieser Liebelei hatte ihn Clotilde kurzerhand ausquartiert. Sie hatte ihr Schlafzimmer im Salon aufgeschlagen. «Es ist ja immerhin schon geraume Zeit he», fuhr der Pudelkopf nickend fort. «Nun behauptet der gegnerische Schriftsatz, Frau Fabian hätte es als besondere Schmach empfinden müssen, dass Frau Lucie Ölenschläger Jüdin war. Dieser Umstand sei besonders gravierend».
Fabian verzog ironisch die Lippen. «Frau Fabia», sagte er, «hatte damals keine Ahnung, dass Frau Ölenschläger Jüdin war, ebensowenig wie ich».
Schwabach wühlte in den grauen Haaren. «Immerhin wäre es sehr wirksa», begann er von neuem, «wenn wir diesen Vorstoß mit einem Gegenangriff erwidern könnten. Behaupteten Sie nicht, dass Ihre Ehe in die Brüche ging, weil Ihre Frau keine Kinder mehr haben wollte? Sagten Sie nicht, sie wolle sich nicht die Figur verderben lassen? War es nicht so? Wenn ich nur das geringste Beweismaterial in Händen hätte, einen Brief, eine Notiz».
«Clotilde drückte ihre Abneigung gegen eine erneute Schwangerschaft noch viel derber au», erwiderte Fabian, «leider aber habe ich kein schriftliches Beweisstück in Händen».
«Schade, schade». rief der Justizrat aus, indem er den grauen Pudelkopf hin und her wiegte. «Keinerlei Aufzeichnung, keinen Brief? Das hätte stärksten Eindruck gemacht! Eine deutsche Frau, die ihre Figur schonen will! Schade, schade». Wieder wiegte er den grauen Pudelkopf hin und her. «Auf jeden Fall werden wir dieses Verhalten in das grellste Licht setzen, auch wenn man es abstreitet».
Sie besprachen noch dies und jenes, während Fabian über seine Ehe nachdachte.
Traurigkeit überkam ihn, dass eine Liebesheirat ein solch beschämendes Ende nehmen sollte.
Er sah Clotilde als Mädchen vor sich, einen schneeweißen wippenden Florentinerhut auf den blonden Haaren. Sie war frisch und reizend wie alle jungen Mädchen, strebsam, voller Interesse für Kunst und Literatur, wissbegierig, fleißig, spielte eifrig Klavier und lernte fremde Sprachen. Damals reiste sie viel mit ihrer Mutter, die eine launenhafte und hochmütige Frau war und gern die große Dame spielte. In dieser Zeit galt Clotilde für vermögend, ihre Mutter besaß vier stattliche Mietshäuser, und Fabian konnte nicht leugnen, dass ihn diese vier Häuser besonders reizten, sich um die Hand des jungen Mädchens zu bewerben.
Von einer Mitgift war natürlich nicht die Rede, denn Clotilde würde ja als einziges Kind die vier Häuser erben. Als aber die Mutter starb, stellte sich heraus, dass die