Im Schatten der Schwarzen Sonne. Nicholas Goodrick-Clarke. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Nicholas Goodrick-Clarke
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783843801706
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zu Beginn der 80er-Jahre der schwarze Bevölkerungsanteil in Washington immer kräftiger stieg, wurde es Pierce offenbar mulmig, und er rückte sein Hauptquartier lieber etwas weiter weg. Er kaufte ein über anderthalb Quadratkilometer großes Anwesen nahe Hillsboro/West Virginia, einem entlegenen Dorf in den Appalachen. Dort entstand die neue Zufluchtsstätte, umwehrt mit einem hohen Stacheldrahtzaun. In der Bergeinsamkeit gründete William Luther Pierce einen Verlag, National Vanguard Books, benannt nach dem gleichnamigen Magazin, in dem der Chef und die Seinen unverändert die »rechte« Sicht der Dinge zu vermitteln trachten. Ferner betreibt Pierce von Hillsboro aus einen großen Buchversand. Im Sortiment: bestimmte respektable Werke der abendländischen Kultur, denen man sich (warum und mit welchem Recht auch immer) gedanklich nahe fühlt, dazu heidnisches und neuheidnisches Schrifttum (vieles davon in Penguin-Classics-Ausgaben). Und natürlich jede Menge rechte Programmliteratur aller Art und aller Niveaus: Sachbücher ebenso wie Belletristisches, platte Agitation ebenso wie »Philosophisches« oder gar »Religiöses«. Denn eine Hausphilosophie, ja Hausreligion leistet man sich ebenfalls, den Kosmotheismus. Eigentlich, wollen uns Pierce & Co. weismachen, sei man ja wesentlich mehr als ein Verlag, mehr selbst als ein politischer Verband – nämlich eine religiöse Vereinigung, eine Kirche; konsequent nennt Pierce den Gebäudekomplex, der seine Firma beherbergt, Cosmotheist Church und hat ihn statt mit einem Kreuz mit der altgermanischen »Lebensrune« schmücken lassen, die einem Ypsilon ähnelt, dessen Mittelstrich bis in den V-förmigen Winkel oben verlängert ist und die Schöpfungs- und Lebenskraft symbolisiert. Den Begriff des »Kosmotheismus« hat Pierce nicht erfunden; er wurde von der abendländischen Religionswissenschaft geprägt, um die Weltanschauung bestimmter fernöstlicher Religionen, besonders des Hinduismus, zu charakterisieren. Kosmotheismus heißt: Gott und Welt sind eins; die Welt ist nicht das willentliche Werk eines ihr äußerlichen persönlichen Schöpfergottes, sondern der Akt einer ihr innewohnenden schöpfenden und ordnenden Kraft, eines ewigen Weltgesetzes. Pierce lehnt sich an hinduistische Vorstellungen an, die er freilich fast nur in der Interpretation der Wahl-Hinduistin Savitri Devi kennt. Das höchste Ziel der Weltentwicklung, zitiert Pierce den weiblichen Guru in seinem Hausblatt, sei die Entfaltung »jener geheimnisvollen und unfehlbaren Weisheit, nach der die Natur lebt und schafft, der unpersönlichen Weisheit des Urwalds, der Tiefen des Ozeans und der Sphären in den dunklen Gefilden des Universums«. Pierce lädt nun den Kosmotheismus mit pan-arischem Rassismus auf. Jeder Rasse und jeder Art, so Pierce, sei innerhalb des großen Ganzen eine spezifische Rolle zugewiesen. Der Neger etwa könne nur als Müßiggänger agieren, der Jude nur als Ferment des Verfalls; der Weiße aber trage den Göttlichen Funken in sich, der ihn führe und aufwärts treibe, dem Allerhöchsten Schöpfer entgegen. Dieser bilde beim Weißen einen integralen Teil des eigenen Seins, den er durch Selbstvervollkommnung entwickeln müsse.37 Der neonazistische Chefideologe greift bei seinem Konstrukt zusätzlich auf Platons Ideen- und Seelenlehre zurück, derzufolge ein Menschentum, welches das Seelisch-Ideelle, das letztlich Unsterbliche in sich ausbilde, edler sei als eines, das dem Stofflich-Körperlichen verhaftet bleibe. Zum edlen Menschentum bzw. zur Gottwerdung hätten, so behauptet Pierce nun, nicht alle Rassen Zugang, sondern eben nur die Arier. In solchen Gedanken hallt die Ariosophie der Jahre vor dem Ersten Weltkrieg wider, wie sie besonders Lanz von Liebenfels kultivierte.

      William Pierce ist selbst kein Anhänger oder Unterstützer der Christian Identity (wohl, weil nicht Christ genug), aber gemein hat er mit jenen radikalen Sekten immerhin den Glauben an die Auserwähltheit der Arier und ein bevorstehendes Armageddon wider das jüdisch dominierte politische Establishment. Das beweist nicht zuletzt Pierces Versuch, die eigenen rechtsextremen Überzeugungen literarisch umzusetzen, nämlich sein Roman The Turner Diaries (»Die Turner-Tagebücher«), erschienen 1978. Das Buch, bald ein wahrer Untergrund-Bestseller, imaginiert, wie das erwähnte Armageddon verlaufen könnte. Erzählt wird aus der Sicht eines führend Beteiligten im Stile eines Augenzeugenberichtes. Und was wird erzählt? Ein in naher Zukunft stattfindender Kampf weißer Revolutionäre gegen den amerikanischen Staat, hier verächtlich »das System« genannt, an dessen Spitze eine korrupte und unterdrückerische US-Regierung steht, gelenkt von Liberalen, Juden, Schwarzen und anderen Minderheiten. Mit Antirassismus- und Gleichstellungspolitik sichern sich diese Gruppen ihre Macht. Da beschließt ein junger weißer Patriot aus Los Angeles, Earl Turner, seines Zeichens Elektromechaniker, dass es so nicht weitergehen könne. Er gründet mit ein paar Kombattanten eine subversive Organisation, welche