Zusammenfassend können wir sagen: Alle planmäßige und zweckentsprechende Pflege und Übung des Körpers hilft dazu, daß er ein geistiger Leib werden könne; er kann es aber nur durch eine geistige Formung werden, d. h. einmal dadurch, daß ein geistiges Leben in ihm ist und willkürlich formend wirkt, ferner dadurch, daß der Geist ihn für geistige Zwecke in Anspruch nimmt. Geistiger Leib ist aber noch nicht der Leib, sofern er Fundament geistigen Lebens ist, sondern sofern er Ausdruck und Werkzeug des Geistes ist. Wer scharf zu beobachten und tief nachzudenken pflegt, bei dem spricht das aus dem Blick, und auch die Stirn zeigt ein entsprechendes Gepräge. Besonders stark formende Kraft, die dauernde Züge prägt, haben Gemüts- und Willensregungen. Das Gepräge, das sie dem Körper und in besonderem Maße dem Antlitz geben, entspricht dem »Gepräge« der Seele, dem »Charakter«, weil ja die aktuellen Regungen und ihre häufige Wiederkehr in den seelischen Anlagen ihre Wurzel haben und durch die aktuellen Regungen habituelle Formung erfahren. Und das Verhältnis von Anlage, Aktualisierung und dauernder Prägung finden wir im Leib wieder. Die Prägung des Leibes durch das aktuelle geistig-seelische Leben greift nicht an einem völlig ungeformten Material an; sondern der Leib, in dem sich das geistige Leben entfaltet, ist schon von vornherein gestalteter Leib, und diese Gestaltung ist nicht bloße Raumgestalt, sondern bedeutungsvolle Gestalt, die der seelischen Eigenart entspricht, obwohl es ein mehr oder minder vollkommenes Entsprechen dabei gibt.
In diesen unwillkürlichen Formungsprozeß kann nur der Wille eingreifen, und zwar an verschiedener Stelle: durch Beherrschung des Ausdrucks und durch Beherrschung des seelischen Lebens selbst. Der Übergang vom rein seelischen Geschehen zum leiblichen Ausdruck ist etwas, was der Herrschaft des Willens unterworfen werden kann: Der Ausdruck des Zorns oder der Freude kann zurückgehalten werden, ohne daß die Affekte selbst unterdrückt werden müßten. Der Mensch, der solcher Beherrschung seines Äußeren fähig ist, bekommt ein ganz anderes körperliches Gepräge als der, der das Innere ungehemmt sich äußern läßt: Die »undurchdringliche Miene« wird für ihn charakteristisch. Dem entspricht auch eine seelische Umformung, aber nicht etwa die Umwandlung des Zornmütigen in einen Sanftmütigen. Eine solche Umwandlung ist nur dann möglich, wenn der Wille tiefer angreift und die Affekte selbst in der ersten Regung zu unterdrücken sucht und er die entgegengesetzten anstrebt. Dann haben wir eine »Vergeistigung« der Seele, eine Umformung durch ihr eigenes freies Tun.
Wie der Wille die Freiheit hat, den leiblichen Ausdruck zu beherrschen, so hat er auch die Freiheit, den Leib als Werkzeug zu benützen. Auch hier liegt der freien Benützung eine unwillkürliche zu Grunde: Mit jedem Schritt, der auf ein Ziel zustrebt, mit jeder Handbewegung, die einem Zweck dient, setzen wir den Leib als Werkzeug ein, aber wir denken dabei nicht an ihn – er gehorcht uns unwillkürlich. In der Regel lenkt er nur dann unsere Aufmerksamkeit auf sich und wird zum Gegenstand willentlicher Behandlung, wenn wir Widerstand und Hemmung von seiner Seite spüren: bei körperlicher Ermüdung oder bei Leistungen, auf die er noch nicht eingeübt ist. Der »energische« Mensch nötigt dem Leib gegen sein Widerstreben das ab, was für eine bestimmte Aufgabe nötig ist: Er geht weiter, auch wenn er ermüdet ist, um zur bestimmten Zeit ans Ziel zu gelangen, und er wiederholt eine Fingerübung so lange, bis sie »spielend« geht. Wer so mit seinem Körper umgeht, der bekommt ihn ganz anders in die Gewalt als der, der ihm nachgibt. Und die straffe Zucht ist etwas, was man dem Körper selbst ansieht, was aber zugleich ein bestimmtes Gepräge der Seele bedeutet, das sie durch die fortgesetzte Leistung des Willens selbst gewinnt. Indem der Wille die Leitung des aktuellen Lebens in die Hand nimmt, gewinnt er Einfluß auf das dauernde Sein. Wieweit das aktuelle Leben willensmäßig beherrschbar ist, ist ein eigenes Problem, das wir hier noch nicht in Angriff nehmen wollen.
3. Das Sollen; Ziel der Selbstgestaltung
Wenn jemand »sich selbst in die Hand nimmt«, um sein aktuelles Leben und dadurch sein dauerndes Sein frei zu gestalten, so muß das offenbar nach einem bestimmten Prinzip geschehen. Er muß wissen, was er unterdrücken, was er gewähren lassen und was er anstreben will. Das kann ein Wissen von Fall zu Fall sein oder ein oberstes Ziel, das er mit seiner ganzen Selbstgestaltung erreichen will, ein Bild dessen, was er werden will. Damit kommt noch ein letzter Punkt aus der Bestimmung der Verantwortung zur Klärung, mit der wir die Abgrenzung des spezifisch Menschlichen gegenüber dem Untermenschlichen begannen: Der Mensch kann und soll sich selbst formen. Das Können, das Ich und das Selbst, das Formen haben wir erläutert. Das Sollen ist noch nicht untersucht. Es ist nur gesagt worden, daß Freiheit vorausgesetzt ist, damit ein Sollen an den Menschen sinnvollerweise herantreten könne. In welcher Weise kann das Sollen an ihn herantreten? Es kann unmittelbar als ein innerer Appell vernommen werden, etwas zu tun oder zu unterlassen, z. B. den aufsteigenden Zorn zu bemeistern und sich nicht zu einer Zorneshandlung hinreißen zu lassen. Die seelische Funktion, mit der wir einen solchen Ruf vernehmen, und die unsere Taten, wenn sie geschehen sind oder schon indem sie geschehen, billigt oder verwirft, nennen wir das Gewissen. (Nach Thomas ist es als Potenz, Habitus und Akt zu verstehen.) Das »materielle« oder »warnende« Gewissen vernimmt die Forderung, die ein bestimmtes Verhalten von uns verlangt, und zwar jeweils in einem bestimmten Augenblick, unter bestimmten Umständen. Sie verlangt die freie Unterwerfung unseres Willens. Das »richtende« Gewissen urteilt nicht nur über die Tat, sondern sagt uns etwas über unser Sein: Das »gute« oder »schlechte« Gewissen ist nicht selbst gut oder schlecht, sondern bezeugt die Verfassung der Seele. Ein Gesamtbild dessen, was wir sein sollen, als Richtschnur für unser gesamtes Verhalten, gibt uns das Gewissen nicht. Ein solches Gesamtbild kann konkret, in Menschengestalt, vor den Menschen hintreten. Er lernt einen Menschen kennen und bekommt den Eindruck: So sollte man sein. Und daraus erwächst das Verlangen und evtl. der Vorsatz und Entschluß, sich diesen Menschen zum Vorbild zu nehmen und sich nach ihm zu formen. Eine (wirkliche oder vermeintliche) Erkenntnis, eine darauf gebaute Wertschätzung, ein Wunsch und ein Willensentschluß, schließlich ein dauerndes praktisches Verhalten stehen hier in einem Motivationszusammenhang. So wird eine Richtschnur gewonnen, an die sich der Wille in der Selbstgestaltung hält. Es kann ein Appell des Gewissens hinzutreten, der dazu auffordert, diesen Weg einzuschlagen. Aber das kann auch ohne solchen Appell geschehen. Und es kann das ganze Verhalten objektiv unzulänglich begründet, es kann ein »verkehrtes Ideal« gewählt sein. – Was hier ein menschliches Vorbild bedeutet, dafür kann auch eine abstrakte Idee des Menschentums eintreten, die wir uns selbst erarbeiten oder die durch menschliche oder göttliche Lehrautorität vor uns hingestellt wird mit dem Anspruch, unsern Willen zu binden, ihm Richtschnur für die Selbstgestaltung zu werden.
Wir haben nun einen Grundriß der menschlichen Person gewonnen: Der Mensch ist ein leiblich-seelisches Wesen, aber Leib und Seele haben in ihm personale Gestalt. Das heißt, daß ein Ich darin wohnt, das seiner selbst bewußt ist und in eine Welt hineinschaut, das frei ist und kraft seiner Freiheit Leib und Seele gestalten kann; das aus seiner Seele heraus lebt und durch die Wesensstruktur der Seele, vor und neben der willentlichen Selbstgestaltung, aktuelles Leben und dauerndes leiblich-seelisches Sein geistig formt. – Eine Fülle von Problemen mußte noch ungelöst bleiben. Zum Abschluß der bisherigen Betrachtung ist besonders wichtig die Frage nach dem Verhältnis von Menschenseele und substanzialer Form; zur Vorbereitung des Weiteren die Frage nach dem Sinn des Geistes.
VII. Seele als Form und Geist
I. Die Menschenseele und die substanziale Form des Menschen
Wir haben gesehen: Es hat einen guten Sinn zu sagen, daß die Menschenseele mit ihrer spezifisch menschlichen, ihrer personalen Struktur eine Form