γ) Formung der Seele durch das Ich
Kann man von diesem Ich sagen, daß es diese Seele forme? Kann man andererseits von dieser Seele sagen, daß sie Form sei? Das Ich hat seine eigentliche Stelle in der Seele, aber es kann an andern Orten sein, und es ist Sache seiner Freiheit, da oder dort zu sein. Und, wo es jeweils ist, das hat Bedeutung für die Gestalt der Seele. Wer vorwiegend oder ausschließlich an der Oberfläche lebt, der ist der tieferen Schichten nicht habhaft. Sie sind vorhanden, aber dort nicht aktualisiert, nicht so aktualisiert, wie sie es sein könnten und sollten. Die Person hat sich nicht ganz in der Hand und lebt nicht ihr volles Leben; sie ist nicht imstande, das, was von außen an sie herantritt, so entgegenzunehmen, wie es ihm zukommt: Es gibt Dinge, die nur von einer gewissen Tiefe her entgegengenommen werden und nur von dort her die entsprechende Antwort erlangen können. Und sie ist nicht imstande, sich mit dem, was in der Tiefe vor sich geht, sich aber nicht aktuell ausleben kann, auseinanderzusetzen, solange sie sich nicht in die Tiefe begibt. Es ist aber Sache der Freiheit, »sich selbst zu suchen«, in die eigene Tiefe zu steigen, sich von da aus als Ganzes zu fassen und in die Hand zu nehmen. Darum ist es die Schuld der Person, wenn die Seele nicht zum vollen Sein und zur Vollgestalt gelangt.
δ) Die Wesensstruktur der Seele als Form
Nun aber die andere Frage: Hat die Seele – in dem Sinn, den wir uns jetzt erschlossen haben und der uns doch erst als der eigentliche Sinn der Seele erscheint – die Bedeutung einer Form? Sie selbst hat einen bestimmten Wesensbau, der uns nun schon in manchen Grundzügen bekannt ist: Sie zeigt den Unterschied von Oberfläche und Tiefe und eine Zusammenfassung zur Einheit von einem tiefsten Punkt her, der die Stelle des personalen Ich ist. Dadurch, daß sie persönliche Seele ist, hat ihr aktuelles Leben die Grundform der Intentionalität, der Richtung des Ich auf Gegenstände, und ist dadurch von allem bloß animalischen Seelenleben unterschieden; durch ihre Personalität besitzt sie zugleich die Möglichkeit der Selbstgestaltung. Dadurch, daß sie Dimensionen hat, bekommt das aktuelle Leben Weite und Tiefe oder die entgegengesetzten Qualitäten: Ob das eine oder das andere, das hängt einmal vom Bau der einzelnen Seele ab, denn die Seelen unterscheiden sich nach Spannweite und Tiefe, die ihnen von Natur aus eigen sind; es hängt aber auch von ihrer Freiheit ab, wie weit sie sich spannt und von welcher Tiefe aus sie sich selbst zusammenfaßt und das, was ihr begegnet, entgegennimmt. Zur Seele gehört sodann ein gewisses Maß an innerer Kraft (auch individuell verschieden), wonach sich Fülle und Lebendigkeit ihrer Aktivität bestimmt. Ihre Weite, ihre Tiefe, ihr Kraftmaß umschreiben ihre Eigenart, ihre Individualität, die überdies als ein einfaches, nicht auf diese Komponenten rückführbares Quale ihr und allem, was von ihr ausgeht, ein spezifisches Gepräge gibt. Dieser Wesensbau der Seele kann als innere Form angesprochen werden; als das, was durch sie geformt wird, zunächst ihr aktuelles Leben, sodann – auf Grund des Zusammenhanges von Aktualität, Potentialität, Habitualität – die jeweilige habituelle Gestalt der Seele (in einer gegenüber dem üblichen Wortsinn erweiterten Bedeutung könnte man sagen: der »Charakter«).
ε) Formung des Leibes durch die Seele (durch ihre Struktur und ihr freies Tun); der Leib als Fundament, Ausdruck und Werkzeug der geistigen Seele
Kann man von dieser Seele auch sagen, daß sie die Form des Leibes sei? Zweifellos muß von einer Formung des Leibes durch die Seele gesprochen werden: und zwar in dem doppelten Sinn der Formung durch den Wesensbau und durch das freie Tun. Die innere Eigenart eines Menschen spricht sich in seinem Äußeren aus, das – neben dem aktuellen Seelenleben – für uns der wichtigste Zugang zur Eigenart anderer ist. Das ist eine Formung, die sich ohne sein Zutun vollzieht. Die Formung durch das freie Tun kann unmittelbar am Leib selbst angreifen oder mittelbar durch die Gestaltung des seelischen Lebens. Alle planmäßige Behandlung des Körpers durch Pflege, sportliche Übung usw. ist eine Formung durch freies Tun. Andererseits ist alle Vernachlässigung des Körpers, alles, was auf seine Gestaltung Einfluß hat, ohne daß das entsprechende Tun des Menschen darauf Rücksicht nimmt, eine Formung, für die er verantwortlich zu machen ist (also alle Ernährung und Betätigung oder Nicht-Betätigung des Körpers, die unbekümmert um ihre Wirkung auf die Gestaltung des Körpers geschieht oder auch auf Grund mangelhafter Kenntnis der Gesetze seiner Gestaltung.) Wenn der menschliche Leib durch das freie Tun des Menschen die richtige Behandlung erfährt, wenn er in angemessener Weise ernährt und geübt wird, so dient diese freie Formung zugleich der unwillkürlichen Formung. Die planmäßige Behandlung will zunächst zur möglichst vollkommenen organischen Entfaltung des Leibes helfen: Sie will ihm die Aufbaustoffe zuführen, deren er bedarf, und seinen Kräften die nötige Gelegenheit zur Betätigung geben. Je vollkommener der Organismus als solcher entfaltet ist, desto vollkommener ist er als Fundament, Ausdruck und Werkzeug der geistig-persönlichen Menschenseele.
Was besagt hier »Fundament«? Es ist das, was für das Dasein der Menschenseele in dieser Welt vorausgesetzt ist, zugleich die »Materie«, die sie zu formen hat. Wir können den Moment nicht bestimmen, in dem die Menschenseele ins Dasein tritt; sie tritt aber ins Dasein in einem Menschenleib, der ein materielles Ding, ein lebendiger Organismus und ein beseelter Leib ist; und was das menschliche Individuum ist und werden kann, das hängt nicht nur von dem Höchsten in ihm, sondern auch von allen niederen Seinsstufen ab, denen er angehört. Das ist aus der allgemeinen Seinsordnung herzuleiten, die für eine bestimmte Form eine bestimmt geartete Materie erforderlich macht, damit sie sich voll auswirken könne. Es ist aber auch rein phänomenal eine Abhängigkeit des geistig-seelischen Lebens von der Beschaffenheit und dem jeweiligen Zustand des Leibes festzustellen. Krankheit und Schwäche des Körpers, Störungen seiner normalen Funktionen bedingen eine Hemmung und Abwandlung des geistig-seelischen Lebens; es ist ein besonderes Problem, wieweit solchen Einwirkungen unmittelbar vom Geistigen her (d. h. durch Willensanstrengung oder durch eine Stärkung aus geistigen Quellen, nicht auf dem Weg über eine Behandlung des Körpers) entgegengearbeitet werden kann. Jedenfalls geht alles geistige Leben reibungs- und mühelos vor sich, wenn der leibliche Organismus tadellos funktioniert.
Geistig-seelisches Sein und Leben prägt sich im Leib aus, spricht durch den Leib. Auch darin gibt es Hemmungen von der Seite des Körpers: krankhafte Mißbildungen, z. B. Lähmungen von Muskeln und Nerven oder übermäßiges Wuchern von Geweben, beeinträchtigen die Ausdrucksfähigkeit, während ein gesunder, normal funktionierender und gut durchgearbeiteter Körper leicht »anspricht«. (Es ist aber wohl zu beachten, daß die rechte Beschaffenheit des Leibes nur negative Bedingung ist, die geistige Formung möglich macht. Positiv geleistet wird die Formung von der geistigen Seele: Es kann ein gesunder, gut trainierter und sogar schöner Körper sehr »geistlos« sein und ein kranker, schwacher und wenig geübter sehr durchgeistigt.)
Der Leib ist nicht nur Ausdruck des Geistes, sondern