Ich will mit Freuden ein Faß große Rosinen daran setzen, rief der Kaufherr freudig; das heißt, erklärte er leiser dem Freunde: ein Fäßchen Gold, ja das zweite; mit dem dritten bin ich noch zwei reiche Männer. Der Handel hat mich gesegnet und ich habe noch ein Schiff in See. Auf! Gleich fort! Man kann nichts Nötiges Zeit genug thun; oft eine Stunde zu spät bekommt man nicht mehr, was man bedürfte . . . ist der Mann nicht mehr da, der uns hülfe! — Da steht man bestraft für die Saumseligkeit, die Mutter der Versäumniß. Darum gleich fort in den Hansesaal unserer reichen Stadt Köln, der mächtigen Stadt, einer alten Stadt, in Wahrheit schon vorher herrlich, ehe man noch Anno Eins schrieb, welche Einführung alle Chroniken erst recht verworren und finster macht, und vor der Hand und noch lange alle Contracte. Und mein Köln — sammt seinem ganzen Weichbild mit Städterecht — es baut jetzt 300 Schiffe und ist Stapelort der weit mächtigen, innig verbundenen Hanse. In ihrem Saale hören wir von Fremden aus allen Landen und von den einheimischen Männern — Ihr von Euern reichen klugen Juden, und ich von meinen ehrenwerthen Unglaubensgenossen, alles uns Nützliche — den Stand oder die Lage der Dinge. Dem Kaufmann, dem ist die Welt mit allen geistlichen und weltlichen Dingen nur ein Handelsartikel, nur eine Kaufhalle vom alten heidnischen Gott Mercurius, der aber selbst kein Heide war, da er ein Gott war. Und obendrein heut’, als am Sabbath, ist alter Versammlungsabend; die Sonne ist unter, und der Mond erleuchtet die Straßen.
Viertes Capitel.
Der Saal der Hanse.
Als sie nun hinaustraten, mußten sie vor Ueberraschung stehen bleiben und hören. Ein dumpfes Getrampel ließ sich vernehmen, ein dumpfes Gerufe, ein Gesumm und Gesaus und Gebraus; viel tausend Stimmen durch- und ineinander, aber alle als ein einziger Hall, wie von gedämpften Instrumenten, ein kicherndes Lachen von Fröhlichen, die sich den Mund zuhalten.
Das sind Masken! sprach Raimund zu seinem Begleiter; das hört sich an wie ein verschlossener Hühnerstall. Das erinnert uns, in einem Laden auch Masken vor unser Gesicht zu kaufen.
Sie drehten und wandten sich langsam durch das fröhliche Volk, fanden bald einen Laden, bemasketen sich und gackerten sich auch einen Augenblick an, von der Lachkrankheit angesteckt, wie der Doctor sagte, und um sich an ihren ganz anders klingenden Stimmen wiederum zu erkennen. In einem Spezereiladen kaufte er dann zu der morgen des Tages gleich vorzunehmenden Cur ein kleines Paket von seinem Hauptmittel, der Basis, das er zu sich steckte, und einen halben Centner „Adjuvans“, das er bezahlte und versprach, Morgens Sonntags früh gleich abholen zu lassen. Er kaufte zur Verwunderung so viel, weil viel tausend Patienten waren, von denen er sich zahlreiche Kunden versprechen durfte.
Wieder auf der Gasse, hörten sie in der Ferne mit Erstaunen die Glocken auf den Thürmen schlagen, aber ohne Maß und Takt, wie von mächtigen Schmiedehämmern oder Posseckeln, . . . die Glocken schlugen nicht, sondern sie wurden geschlagen — zerschlagen. Näher hinzugeeilt, hörten sie an der nächsten Kirche die hohen Fenster mit Steinen einwerfen, mit Pfeilen und Bolzen von Armbrüsten und Rüstungen einschießen, daß sie droben gellten und die zerschmetterten Scheiben drunten auf den Steinen zerklirrten; und nach jeder solchen Salve scholl ein Gesammtlaut auf, wieder wie aus einem ungeheuer großen Hühnerstall, was deutlich anzeigte, die dumpfen greulichen Schreier schrien und lachten und krähten aus Masken.
Das ist Meute! Das ist nicht Lust, das ist Schadenfreude! sagten die Freunde zueinander. „Das sind die furchtbaren Wollenweber!“ sagte eine Stimme eines Vorüber- und zu dem Aufruhr Eilenden.
Ein anderer kam, schon weislich entflohen, von dem gefährlichen Orte zurück, und sagte zu den furchtsam und müßig Dastehenden: Sie sind mit Waffen maskirt; Helme quirlen sich unter der Menge, Spieße erheben sich und Hellebarden — da sind denn auch unsere „Funken“ dabei, die die Stadt und was drinnen ist beschützen sollen. Aber andere Funken wehren auch wieder selbst den Andern. Das verspricht dem Dinge ein baldiges Ende, wenn auch durch erbärmliche Schläge und Beulen und Wunden.
Ein Carnevalspaß muß sein! riefen Andere, aber nicht muthig, sondern mit Angst.
Und unter weiterwährendem Toben und Brausen, dem Fensterzerschmettern und Klirren und dem Glockenzerschlagen auf den Thürmen, eilten der Kaufherr und der jüdische Doctor mit seinem Heilgift aus dem Gedränge, das je ferner je dünner ward, nach dem großen, über tausend Menschen fassenden Hansesaal im Rathhaus.
Sie gelangten mit Mühe nur schon vor den Saal, dessen Thüren weit offen standen, und der große Raum stand vollgedrängt von Menschen. Vor ihnen drängte sich ein starker vierschrötiger Weinkärrner hinein, der rief: Hoho, hier kann ja kein Apfel zur Erde, geschweige ein Kürbis, und wenn eintausend von der Decke fielen, da wären wol dreitausend Kürbisköpfe darin. Hier kommt man nicht mit Füßen, nur mit Elnbogen hinein.
Und diese setzte er sogleich an, und hinter ihm in der Lücke gelangten sie mit hinein bis in die Mitte. Sie stellten sich auf die Zehen und sahen bei dem Scheine der vielen Kronleuchter an der Decke und der blitzenden Wandleuchter, daß an mehren Tischen dahinten doch Männer saßen, dicke und wohlhäbige, die ganz gewiß schon vorher bequem hineingegangen sein mußten. Alle waren in lebhaftem Streit. Einer erzählte, was draußen geschehen, noch geschehe, und gar erst die Nacht geschehen könne oder würde. Ein Anderer schaltete Nachrichten oder Ergänzungen ein. Viele widersprachen auf ein mal zugleich, und noch Andere erklärten den bloßen — so Gott will — „Pfutsch“ — sich viel oberflächlicher, dagegen dort ganz Weise und Tiefsinnige die Sache sich weiser und tiefer. Darauf schwiegen durch Zufall Alle zusammen zugleich, und die Pause ward durch ein schallendes Gelächter erfüllt. Danach versicherte ein Judenfreund oder -Feind: das Ende vom Liede werde sein, daß man einige, gewiß bei Allem neugierige Juden scheinbar bei der That ertappen, ergreifen und einstecken würde, für deren Freistellung ihre Leute die Kirchenfenster würden machen lassen und die Glocken umgießen müssen.
Gut, daß das nicht alberne prasselnde Schloßen gethan haben oder die himmlischen Blitze! Was würde man mit denen allerhöchsten Personen thun? — Da ist es mit dem Einstecken nicht recht richtig und mit dem Bezahlen so eine Sache! rief eine stämmige Maske zu allgemeinem Gelächter darein, soweit man ihn gehört.
Du, vergreif dich nicht an Kirchensachen und an unschuldigen Kindern! sowie jetzt unsere Herren Kanzelredner seit Sonntag die ganze Woche in den Morgen- und Abendpredigten sich aus Menschenverstand und wahrer Seelen- und Leibes- und Lebensvorsorge an den jungen Kreuzfahrern, oder Kreuzfahrjungen und -Mädchen vergreifen, und an den alten armen Weibern, die unterwegs sich besser Brot erwarten, oder überhaupt nur welches, und wo möglich hoffen, gerade im Heiligen Grabe zu sterben. So rief ein Anderer, dem ein anderer Narr mit der Pritsche „auf das lose Maul“ schlug, sodaß er schweigen mußte vor Lippenblutspucken, während ihn ganz anders Gekleidete in weißen Masken kichernd und bellend und miauend auslachten, von denen Einer nachher nur halblaut sprach: Der „Dülpner“ hat es getroffen! Dasmal geht es gegen die Vernunft der Geistlichen, die Recht haben, wider den Kinderkreuzzug zu predigen. Was man alles erlebt: brecht ab! laßt das Wort fallen und zerstreut Euch im Saale!
Und sie folgten langsam und unauffällig.
Da brachten vier bewaffnete „Funken“ einen verwundeten Mann in den Saal getragen, „englisch“, wie man es nennt, auf Händen. Der Mann in prachtvoller Narrenkleidung hatte keine Maske vor, sowie die Meisten im Saale keine, aber sein Gesicht sah doch wie eine Larve aus mit der dicken zerschlagenen Nase, geschwollenen Lippen und übel zerzausetem Bart. Alle erkannten ihn dennoch sogleich und schon an dem Wappen der Familie seines Herrn, Sr. Gnaden des Erzbischofs, in dessen Palast