Die umstehenden angestochenen Arbeiter lachten und sangen und tanzten das Wort um ihn herum: „Sind Sie nicht Herr Sinzenich? . . . Sind Sie nicht Herr Sinzenich?“ . . . und selbst der Doctor lachte.
Da sah ihn der Funke scheel an und frug: und du, bist du nicht ein Jude? und trägst Waffen! und was hat denn ein Jude zu hauen und zu stechen? Her mit dem Schwert!
Dabei stieß ihn der Funke mit der Faust ins Gesicht und riß ihm das Schwert aus der Scheide; der Jude stellte sich herz- und ehrentodt und reichte ihm auch noch die Scheide sammt der Kette.
So ist’s recht, du Lump! lobte ihn der Funke. Der Kaufherr aber beschenkte ihn klüglich und sagte: Ja, ich bin der Raimund, und frug ihn: Bertram, alter guter Bertram, mein Bruder lebt doch noch? Und die höfliche Antwort fiel: Bis vor einer halben Stunde; kann ich versichern. Er war hier. Er hat hier draußen misliche Geschäfte — auch wegen Juden! Er wird sie Euch schon offenbaren! Kommt nur erst heim!
Ritt er nach der Lindenburg? oder in die Stadt?
In die Stadt, war die Antwort. Und so sprengten sie fort von dem Judentod oder dem todten Juden. Auf der kurzen Strecke bis zum Thore bot der Kaufherr dem Doctor, den er als ehrlichen, braven, überall hülfreichen Mann erkannt hatte, Wohnung mit in ihrem Hause an. Der Jude nahm es mit dankenden Worten, leise sprechend an: Ich starre schwer von Gold — ich floh aus Spanien, vor . . .
Und ich aus Frankreich, entgegnete Raimund; auch vor demselben Feinde; mein Geld aber habe ich durch treue Hände auf sicherm Wege vorausgesandt.
Dem jungen Ritter gab er Straße und Haus an, und erfuhr dagegen von ihm, wo er wohnen würde.
Sie ritten in das Thor, das Severinthor. Der Jude bezahlte für sich seinen Viehzoll, im Betrage, aus Verachtung, nur so hoch als für einen Ochsen; und sein Gesicht trug wieder die Todtenmaske. Die dämmerige Stadt hatte das Ansehen einer einzigen großen Schneiderwerkstatt; überall in den Läden der Straße hingen Kinder-Pilgermäntel, sogenannte Sklawinen; Pilgerhüte mit breitem Rande gegen Regen, Sturm und Sonne; Pilgertaschen; allerhand Fahnen und Fähnlein steckten aus; Schuhe und Gürtel hingen — Alles zu vielen Hunderten, an ausgespannten Schnuren; tuchene Kreuze, sie sich auf den Rücken zu heften, als bindendes Ehrenzeichen: „der Inhaber habe gelobt: ins Gelobte Land zu pilgern“; wovon ihn kein weltlicher König, kein Erzbischof lossprechen konnte, allein der Knecht der Knechte Gottes.
Köln selbst ist, wie eine ungeheure Kirche selbst, auf ein großes lateinisches Kreuz gebaut, welches die beiden Hauptstraßen, die schöne Hochstraße und die nach dem Rheine führende Schildergasse bilden, sodaß die Stadt in vier disparate — damals oft desperate Theile zerfiel; und wo sie sich kreuzen, da trennten sich die Reiter. Der junge Ritter ritt langsam nach dem alten Gürzenich zu; und Herr Sinzenich mit dem jüdischen Arzt nach seines Bruders großem schönen, palastgleichem verschattetem Hause, in dessen Halle schon eine Lampe brannte.
Sie stiegen ab, und während der Reitknecht die Klingel nach dem Hauswart zog, daß er das Thor aufthue, lehnte sich der heimgekehrte Bruder mit dem Arm an die geschnitzte Thür, ja er küßte das kalte eherne Löwengesicht daran.
Zweites Capitel.
Die Frau Rath.
Darauf eingelassen, erkannte er sogleich den vorigen nun altgewordenen Hauswart und rief vor Freuden den Namen „Hagebald“, alter Hagebald! Er eilte die breite eichene Treppe hinauf, deren wie indeß noch glätter gewordenes Geländer die heiße Hand ihm kühlte, und ihn selbst durch und durch erquickte. Alte Treppe, seufzte er leise, was ist Alles seitdem über dich ergangen, seit ich vom Hochzeitstische meines Bruders hinweg in die Welt laufen mußte, weil er die schönste Jungfrau von Köln, die einzige Tochter des steinreichen Wollenwebers, die liebe Irmentrud, als Patricier den Andern allen ehrenrührig zur Edelfrau genommen, und ich wegen meiner losen Reden, als leidiger, kecker, vermutheter Bauchredner-Jüngling, schon vor das geistliche Gericht abgeholt werden sollte, als wäre ich schon eine Katharer-Brut, oder ein junger Petrobrusianer, die in der Stadt schon damals übermächtig zu werden drohten. Ich floh; aber gerade in die Heimat dieser freien rechtschaffenen Gemeinde. Ich ging natürlich ohne Frau und Kinder, und kehre unnatürlich von unsern Feinden beraubt, ohne Frau und Kinder wieder.
Er stand und weinte bitterlich; und der Hauswart, der ihn weinen sah, ließ ihn ungehindert hinaufgehen, indem er dachte: „Wer da weint, ist kein Feind“, und kam ihm nur nachgeschlichen. Er ließ sich von ihm für den Doctor ein Zimmer anweisen, worein dieser ging, und trat selbst in das ihm bekannte Wohnzimmer, in welchem ihm seine Schwägerin, die Frau Rath, entgegentrat und die Anrede erwartete. Denn sie war es, seit den 18 Jahren stark und völlig geworden in tausend Freuden- und Gnügetagen — aber jetzt wie durch eine Krankheit um das Feuer ihrer großen Augen gekommen, um die Röthe ihrer vollen Wangen; aber dafür mit Wehmuth in den Zügen, mit verweinten Augen und blassen zuckenden Lippen, wie eine Bestrafte oder ihre Strafe Erwartende.
Er streckte ihr die Hand entgegen und sprach nur seinen Taufnamen „Raimund“ aus.
Da fiel sie ihm um den Hals und weinte, während er sie an die Brust drückte.
Nach langer Zeit sprach er erst: Mein Bruder lebt, hörte ich draußen soeben erst vor der Stadt; du trauerst nicht, liebe Irmentrud; deine beiden Töchter leben also auch, die ich noch nie gesehen — die zeige mir doch! Deine Aelteste, die nach unserer Großmutter Frederune getaufte — sie muß schon 18 Jahre sein, und deine Jüngste, die Irmengard, wol auch schon 13! Aber vor allem: Wo ist mein Bruder? der gute Aldewin, oder „alter Wein“ — wie ich ihn immer aus Neckerei nannte.
Er sitzt nur hier nebenan in seinem Zimmer. Schweres Leid ist über unser Haus gekommen! Er hat soeben den letzten Bescheid aus dem Rathe auf seine dringende Eingabe erhalten; das Urtheil erwägt er vor seiner Lampe am Tische sitzend. Ich brenne, ich vergehe danach vor Neugier, als Mutter! O daß wir — nicht etwa wieder glücklich werden, denn das ist uns auf Erden nicht mehr möglich; aber daß unsere gute Tochter Frederune nicht ganz in Verzweiflung vergeht, nur den Wunsch gilt es noch. Ich will die Thür ein Schlitzchen öffnen und sehen, ob er fertig gelesen? und ob er mir winkt?
Sie ging leis und kam leis, und bedeutete ihn mit der Hand zu Geduld. Aber du, lieber Schwager, sprach die Frau Rath, hast uns geschrieben, du würdest zu uns kommen und triffst auf den Tag ein — und auch deine angezeigten drei kleinen Fäßchen . . . Rosinen — in jedem ein kleines Tönnchen Gold — sind schon zur See über Amsterdam richtig eingegangen und liegen dir drunten zum Schein nur wie ganz leicht bewahrt in den Kellern. Sei also um dein Vermögen nicht in den geringsten Sorgen, wie es scheint, weil du so nacheilst! Aber wo sind deine wahren größten lebendigen Schätze: dein Weib Gabriele und deine Kinder? Wir haben ihnen schon draußen in unserm Schlosse die schönsten Zimmer hergerichtet, und manches ihnen vielleicht erst recht Liebe ist noch unterwegs. Ich hoffe, sie sollen sich herzlich darüber freuen!
Sie! sich freuen? sprach Raimund halblaut zur Erde starrend. Sie, nie mehr! — Es ist jammervoll für einen Nachgebliebenen, wenn nach kurzer oder langer Zeit noch ein Brief an einen Todten kommt, der nicht mehr zu bestellen ist! . . . wenn ein Armer, in Noth und Elend Begrabener noch, o nun erst eine große Erbschaft macht . . . oder wenn ein selbst unterdessen gestorbener Doctor einem Sterbenskranken rasch, rasch