Der Hirtenknabe Nikolas. Leopold Schefer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Leopold Schefer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 4064066116224
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ihm die zitternde Hand auf die Schultern legte und liegen ließ.

      Auf nichts, erwiderte er bitter und tonlos, als auf Das, was man den Tod nennt, oder das Schicksal, das nichts ist als böse, rasende, abergläubische Menschen, welche die Weltdinge in die grausame Hand nehmen — aus Furcht zu bleiben und zu bestehen, und nicht selbst von ihren Feinden in die Hand genommen zu werden! Ja, die Meinen sind todt, mein Weib auf eine Weise, die einem schamvollen Weibe die schmachvollste ist, weil sie die willenloseste ist für ein treues Herz; — und die Kinder mit Schwertern zu Tode gehauen in der Wiege, und das in der angezündeten, brennenden, erstürmten Stadt, die unsere Zuflucht sein sollte, und es gewesen wäre — ohne den Verrath und den Misbrauch, ein wüthendes Kreuzheer in der Heimat wüthen zu lassen!

      O weh, weh! Armer Mann! rief sie und frug: und wie heißt die Stadt?

      Sie hat geheißen „Beziers“. — Beziers! sprach er, stellte sich stammhaft und aufrecht fest, und fuhr in ruhig gelassenem, aber feierlichem Tone fort: Sieh, liebes Weib, wer einen Streit gewinnen will, wer einen Feind hat, der muß ihn kennen am besten durch und durch, und dazu muß er sich in ihn versetzen, und gleichsam aus seinem Herzen und Sinn herausfühlen, was er will und was er kann; er muß aus des Feindes Augen sich selbst betrachten; und wenn er eine Seele hat, so muß er billig und gerecht sein gegen den Feind, der sich selber nur der beste, zärtlichste Freund ist, und darum nur des Andern Feind, der zufällig oder unvermeidlich ihm in die Parade fällt . . . in die Perücke . . . oder in die Krone. Da ist nun ein bunter Schatten in Italien hereingeschwebt, aus dem Morgenlande, in die Stadt, die sonst — wie man das abscheulich kleinlich und albern nennt — „der Welt“ gebot, die aber erbärmlich und abscheulich in tausenderlei Schutt zerfallen und nur ihre alten Knochen noch aus der Erde streckt. Ihre Macht aber scheint den Thoren nicht versunken, sondern aus dem Todtenreich, ja aus der Luft noch wieder auf- und herzustellen in die Luft. Und das ist, von einer Seite betrachtet, dem Volk und den nächsten Völkern umher recht heilsam, um die hier rohen, ja grausamen, dort losen, dort tyrannischen oder habsüchtigen zeitlichen Herren derselben doch einigermaßen durch allerhand Künste und Vorspiegelungen in Furcht zu halten, und sie doch an einen Schein des Rechts, des Verstandes und des Guten wie an eine unsichtbare Kette zu legen.

      Da sieht nun der redlichste Dülpner ein, es braucht noch gar kein kluger Kölner zu sein: daß wir dem neuen Pontifex maximus — oder den größten Brückenbauer über die Zeit weg in den Himmel — ein Dorn im Auge sind, ein Wurm im Gehirn, ein Polyp am Herzen. Denn wenn jeder noch so lumpige Schacher und Schacherjude durch seine bloße Erscheinung in der Sonne der Nachwelt ihn und alle sein Reich geradezu vernichtet, alle Kirchen geradezu — ohne nur zu hauchen — in die Luft bläst, sodaß er ihr Todfeind sein muß — so mußte er es auch uns sein, um nicht etwa schon uns — sonst ganz unschuldigen Reinen, uns Katharer in Südfrankreich, Piemont und ganz Oberitalien — die wir jede Todesstrafe für ungöttlich und darum für höllisch und ganz abscheulich halten — für Menschen zu erklären. Und ohne Todesstrafe durch Feuer und Schwert ist er unrettbar verloren, da auch diese kaum mehr abschreckt, höchstens nur angestaunte neue Märtyrer macht in neuer Welt; und nur der Geistertod, die Geisterunwissenheit und Dummheit vermöchte noch einige Zeit hinzuhalten, bis das größte Wunder geschehen wird: „Die Sonne geht aus finsterer Mitternacht auf.“ Und wo befinden sich, umringen ihn seine Feinde und schränken ihn ein? Etwa über der See? Nein, in Italien! Jenseit Roms, in Sicilien die Araber. Diesseit, die vielnamigen, aber Eines Herzens und Sinnes zusammen ein Volk ausmachenden Katharer, von denen Tausende schweigend und redlich selbst hier in unserm Köln ihre Zeit erwartend leben — und an denen ich selbst getreue, Alles aufopfernde Freunde habe, meine liebe Frau Rath. Da er dort am fürchterlichsten und entschiedensten hart in der Nähe bedrängt ist — denn der brennende Rock ist der wärmste — sodaß er zuletzt nur mit einem Sprunge in den Vesuv sein Leben rettet — oder aus dem Lande flieht, was ganz gewiß noch wird geschehen, wer es erlebt, da er die Sarazenen aus Morgen und die Mauren aus Abend zu fürchten hat, so hat er die Kreuzzüge unterbrochen, und einen Rettungskrieg vor den nahen Feinden für einen Kreuzzug erklärt — und Er mit Recht! Cardinäle haben diese mordbrennenden Kreuzträger geführt — darauf hat der Simon von Montfort die Stadt Beziers belagert, erobert und Alles über die Klinge springen lassen, selbst die alten Weiber, die auf keinem Bein mehr stehen konnten, und die Kinder, die es noch nicht können. Mich, mich hat nach der Vertheidigung bis auf den letzten Mann die bekreuzte Pilgerkutte eines erschlagenen Wüthrichs errettet. So sind die Schuldigen mit den Unschuldigen ohne Schonung hingerichtet, weil — wie der Legat Allen zum Trost und sich zur Entschuldigung gesagt: „Gott wird schon die Seinen kennen!“ Das eroberte Land gehört nun seinem Eroberer, sammt den nun mit Schutt und Asche begrabenen Gebeinen meines Weibes, ach! meiner Gabriele und unserer kleinen Kinder.

      Armer Mann! stöhnte die Frau Rath.

      Ich floh, unermordet, sprach er fast lächelnd. Ich freue mich ernst; denn aus unbegreiflicher Kurzsichtigkeit schonte man die Auswanderer, die nun über die Grenze geworfenen Feuerbrände; die aber voll im Herzen zusammengeschossener Glut sich auswärts sammeln, vereinigen, stärken, um Vernunft und Muth in den Landen auszubreiten. Das tröstet mich hoch! Unmenschliche Thoren müssen sich selber alle zugrunde richten.

      Wenn sie uns, uns hier im Hause, und rettungslos erst noch zugrunde gerichtet; klagte jetzt die Frau Rath, und rang die Hände. Mag dir mein Mann unser Geschick erzählen. Stumm duldet eine Mutter noch im zerrissenen Herzen ihr Leid; aber laut es sagen, gleichsam es gestehen, es beichten wie eine Anklage des Himmels, das, das kann ich nicht!

      Sie ging wieder die Thür leis öffnen. Sie sah lang erstarrt hinein, dann winkte sie blaß wie der Tod den Bruder herbei; doch ehe er kam, stürzte sie schreiend zu ihrem Manne und rief: Er ist todt! Er stirbt!

      Er eilte hinein. Die Lampe brannte hell auf dem mit einem niederländischen Teppich bedeckten Tische. „Der Mann und Bruder und Vater“ saß daran auf seinem geschnitzten Großvaterstuhle und hielt mit seinen beiden ausgestreckten Händen steif und starr ein offenes Pergament. Sein Bruder Raimund, der nur kaum eine einzige Viertelstunde zu spät aus der Fremde zurückgekehrt war, um ihn wiederzusehen, rang die Hände über sein Haupt. Denn sein Gesicht bedeckte schon Todesblässe; er fing sich schon an zu strecken, daß der Tisch knisterte und der alte Stuhl sich rückte und lebendig zu werden schien; ein Zittern durchrieselte ihn, daß das Pergament in seinen Händen bebte. Er hatte die starren Augen noch groß und weit offen, und sie glänzten weiß und schauerlich. Sie wollten ihm eben brechen, als er des Bruders ihn anrufende, ja anschreiende Summe doch noch zu vernehmen schien, das Haupt noch zu ihm wenden zu wollen rang, aber kaum regte, ihn anstarrte, ihn anlächeln wollte, aber starb. Die Augen brachen ihm; der Tisch und der Stuhl knistern jetzt zum Fürchten geisterhaft; geisterhaft erhob sich seine Gestalt, von seinem letzten Willen geheimnißvoll mächtig, aber ohnmächtig emporgerissen, um ihn zu umarmen. So mit ausgebreiteten Armen brach er zusammen und war, was die Leute so nennen, ein Seliger.

      Der Bruder sprang hinaus und fort nach dem neuen Freunde, dem Doctor, nach Hülfe, wenn man den Todten noch helfen kann.

      Sein Weib hielt ihn treu und thränenlos in den Armen, ihre Stirn an seine Stirn gelegt, und empfand sich nicht, und die Welt nicht, nur ein namenloses Weh.

      Der Arzt kam, den sie nie gesehen, und der weltfremde, ernste, gelassene Mann war ihr der ersehnteste, theuerste Freund. Er prüfte den Todten und den Tod. Doch als er zuletzt mit Achselzucken mit der rechten Hand, wie höflich, nach unten zu wies, wie um ihn der Erde zu befehlen, da sprach sie leise: Er ist an Verzweiflung über die Menschen gestorben. Ach, unsere bittersten Feinde wohnen uns am nächsten! Was thut uns der Mann im Monde? der gute Kerl!

      Der Bruder drückte ihm sanft die Augen zu, dann band sie ihm schonend den Mund zu, daß er mit offenem Munde im Sarge nicht noch über die Welt schreien zu wollen scheine.

      Die Todten haben vieles zu vergeben, ja Alles, sich sich selbst, das Leben und die Welt, die ganze lange, lange Welt; sprach der weinende Bruder. Denn was man auch dagegen zu sagen sich unterstehen möchte: wäre die Welt nicht, dann wäre auch nie nur ein böser Mensch gewesen und noch, oder würde je sein — nie wäre eine Thräne geflossen! nie würde in Ewigkeit ein Tropfen Blut fließen. Eine schöne Sache! — aber doch eine namenlos-tolle. Drum wollen wir doch lieber vernünftig bleiben — oder