Warum der christliche Glaube
die Welt retten kann
Ich habe zu zeigen versucht, warum alle die großen Strategien, das Sicherheitsrisiko Religion unter Kontrolle zu bekommen, zum Scheitern verurteilt sind. Doch ich sehe sehr wohl deren berechtigtes Anliegen. Die Religion kann zu einer echten Bedrohung für den Weltfrieden werden. Am Anfang dieses Kapitels habe ich von dem „gefährlichen Weg“ gesprochen, auf den die Religion das menschliche Herz führt. Es ist ein Weg, der nur zu leicht zu Gewalt und Unterdrückung führt. Doch das Christentum – ein echter, christlicher Glaube – hat das Zeug dazu, seine Anhänger zu Werkzeugen des Friedens zu machen. Das Christentum trägt in sich eine bemerkenswerte Kraft, entzweiende Tendenzen im menschlichen Herzen zu erklären und zu heilen.
Der christliche Glaube bietet eine solide Grundlage für die Achtung vor Menschen aus anderen Religionen. Jesus geht davon aus, dass die Nichtgläubigen in der Umgebung der Christen viel von deren Verhalten als „gut“ erkennen werden (Matthäus 5,16; vgl. 1. Petrus 2,12). Dies setzt gewisse Gemeinsamkeiten zwischen den christlichen Werten und denen der verschiedenen Kulturen40 und anderen Religionen41 voraus. Wie kommt es zu diesen Gemeinsamkeiten? Die Christen glauben, dass alle Menschen nach dem Bilde Gottes erschaffen sind, also als zu Güte und Weisheit fähige Wesen. Es ist die biblische Lehre von der Gottesebenbildlichkeit des Menschen, die den Christen davon ausgehen lässt, dass die Nichtgläubigen in ihrem Verhalten besser sein können, als es ihren irrigen Glaubensvorstellungen entspricht. Und die biblische Lehre von der Sündhaftigkeit des Menschen lässt die Christen damit rechnen, dass selbst der rechtgläubigste unter ihnen in seiner Lebenspraxis hinter seinem richtigen Glauben weit zurückbleibt. Es gibt hier jede Menge Raum für gegenseitige Achtung und Kooperation.
Ein echter christlicher Glaube lässt seine Anhänger nicht nur glauben, dass es auch bei Andersgläubigen Güte und Weisheit geben kann, er lässt sie auch damit rechnen, dass so mancher „Heide“ ein Leben führt, das moralisch dem vieler Christen überlegen ist. Die meisten Menschen in unserer Kultur glauben ja, dass dann, wenn es einen Gott gibt, wir dadurch zu ihm und in den Himmel kommen, dass wir ein anständiges Leben führen: „Bessere dich, und Gott nimmt dich an …“ Das Christentum lehrt das genaue Gegenteil. Jesus sagt uns nicht, wie wir so leben können, dass wir uns unsere Erlösung verdienen, sondern er kommt zu uns, um uns durch sein stellvertretendes Leben, Sterben und Auferstehen zu retten und unsere Sünden zu vergeben. Gottes Gnade kommt nicht zu denen, die die meisten moralischen Punkte sammeln, sondern zu denen, die ihr Versagen zugeben und einsehen, dass sie es nicht selber schaffen, sondern einen Erlöser brauchen.
Es sollte also Christen nicht wundern, wenn es Nichtchristen gibt, die netter, freundlicher, weiser und besser sind als sie selbst. Warum das? Weil ich als Christ nicht aufgrund meiner moralischen Leistung, Weisheit oder Tugend von Gott angenommen werde, sondern allein aufgrund dessen, was Christus für mich getan hat. Die meisten Religionen und Weltanschauungen gehen davon aus, dass der religiöse Status eines Menschen an seinen religiösen Leistungen hängt, was natürlich leicht dazu führt, dass sich die Gläubigen für etwas Besseres als die Nichtgläubigen halten. Das christliche Evangelium sollte diese Wirkung nicht haben.
Es heißt heute oft, dass „Fundamentalismus“ zu Gewalt führt, aber wie wir gesehen haben, haben wir alle unser fundamentalen, nicht beweisbaren Glaubensüberzeugungen, und wir sind überzeugt, dass sie dem Glauben anderer Menschen überlegen sind. Die eigentliche Frage lautet somit: Was für fundamentale Überzeugungen bringen ihre Anhänger dazu, gegenüber Andersdenkenden besonders offen und liebevoll zu sein? Wo ist der (notwendigerweise Ausschließlichkeit beanspruchende) Glaube, der uns dazu führt, demütige, friedliebende Menschen zu sein?
Was für fundamentale Überzeugungen bringen die Anhänger einer Religion dazu, gegenüber Andersdenkenden besonders offen und liebevoll zu sein?
Eines der großen Paradoxe der Geschichte ist die so völlig unterschiedliche Beziehung zwischen Glauben und Lebenspraxis in der alten Kirche und in der sie umgebenden heidnischen griechisch-römischen Kultur.
Die Religion der alten Griechen und Römer war äußerlich sehr tolerant; jeder hatte seinen eigenen Gott. Aber die Praktiken dieser Kultur waren äußerst brutal, der Abstand zwischen Arm und Reich war riesig. Die Christen behaupteten, höchst intolerant, dass es nur einen wahren Gott gab, den Erlöser Jesus Christus, der am Kreuz gestorben war. Das Leben und die Praktiken der Christen waren jedoch gegenüber denen, die am Rande der Gesellschaft lebten, bemerkenswert offen. In der frühen Kirche vermischten sich Rassen und Klassen auf eine Weise, die dem Normalbürger als skandalös erschien. Die Griechen und Römer verachteten die Armen; die Christen versorgten sie großzügig – und zwar nicht nur ihre eigenen Armen, sondern auch die aus anderen Religionen. Der allgemeine gesellschaftliche Status der Frau war sehr niedrig; viele Mädchen wurden nach ihrer Geburt getötet, Zwangsheiraten und wirtschaftliche Ungleichheit waren üblich. Das Christentum bot den Frauen eine ungleich größere Sicherheit und Gleichheit als die antike Welt ihnen gegeben hatte.42 In den furchtbaren Pestepidemien der ersten beiden Jahrhunderte waren es Christen, die sich um die Kranken und Sterbenden in der Stadt kümmerten, oft unter Einsatz ihres eigenen Lebens.43
Wie kam es, dass ein solch „enger“, Ausschließlichkeit beanspruchender Glaube zu einem Verhalten führte, das so offen gegenüber anderen Menschen war? Die Christen hatten in ihrem Glauben den stärkstmöglichen Anreiz zu einem Leben des aufopferungsvollen Dienstes und Friedenstiftens: Im Herzen ihrer Weltanschauung stand ein Mann, der für seine Feinde gestorben war und um Vergebung für sie gebeten hatte. Wer darüber nachdachte, konnte gar nicht anders, als den Andersgläubigen, ja als seinen Widersachern auf eine völlig neue Art zu begegnen, die Gewalt und Unterdrückung ausschloss.
Wir können die Tatsache, dass die Kirche im Namen Christi auch Unrecht getan hat, nicht stillschweigend übergehen, aber wer will leugnen, dass die grundlegenden christlichen Glaubensüberzeugungen ein mächtiges Werkzeug für den Frieden in unserer zerrissenen Welt sein können?
KAPITEL 2 „Wie kann ein guter Gott Leiden zulassen?“
„Ich glaube nicht, dass der Gott der Christen existiert“, sagte Hillary, eine Englischstudentin, „wenn er all dieses schreckliche Leiden in der Welt zulässt. Entweder er ist allmächtig, aber nicht gut genug, um dem Bösen und dem Leiden zu wehren, oder er ist gut, aber nicht mächtig genug, um mit dem Bösen und dem Leiden Schluss zu machen. In beiden Fällen kann es den guten und gleichzeitig allmächtigen Gott der Bibel nicht geben.“ 44
D
as ist für mich keine philosophische Frage“, fügte Rob, Hillarys Freund, hinzu, „sondern eine persönliche. Ich weigere mich, an einen Gott zu glauben, der Leiden zulässt, selbst wenn er – oder sie oder es – existieren sollte. Vielleicht existiert Gott, vielleicht nicht, aber wenn ja, dann kann man ihm nicht vertrauen.“
Für viele Menschen ist nicht der Ausschließlichkeitsanspruch des Christentums das größte Problem, sondern die Existenz des Bösen und des Leidens in der Welt. Die einen sehen in unverdientem Leiden ein philosophisches Problem, das die Existenz Gottes infrage stellt. Für andere ist es ein mehr persönliches Problem. Sie interessieren sich nicht für die abstrakte Frage, ob Gott existiert oder nicht, sie weigern sich, an einen Gott zu glauben, der eine solche Menschheitsgeschichte wie die unsere zulässt.
In den Wochen nach dem verheerenden Tsunami, der im Dezember 2004 um den Indischen Ozean herum über 250.000 Menschen das Leben kostete, waren die Zeitungen voll von Leserbriefen und Artikeln, die fragten: „Wo war hier Gott?“ Ein Reporter schrieb: „Wenn Gott Gott ist, dann ist er nicht gut, und wenn er gut ist, dann ist er nicht Gott. Beides haben kann man nicht, und nach diesem Tsunami schon dreimal nicht.“45 Doch trotz der selbstsicheren Behauptung des Reporters gilt der Versuch, zu zeigen, dass die Existenz des Bösen gegen die Existenz Gottes spricht, „heute in (fast) allen [philosophischen] Lagern als total fehlgeschlagen.“46 Warum das?
„Wenn Gott Gott ist, dann ist