Die biblische Zukunftshoffnung ist die Auferstehung – eine Zukunft jenseits dieses Lebens, die nicht ein bloßes Trostpflaster für das Leben ist, das wir nie hatten, sondern eine Wiederherstellung des Lebens, das wir immer wollten. Alles Schreckliche und Falsche, das je passiert ist, wird nicht bloß ausgelöscht oder repariert werden, sondern es wird in gewissem Sinne die Freude und Herrlichkeit noch größer machen.
Vor einigen Jahren hatte ich einen schrecklichen Albtraum. Ich träumte, dass meine ganze Familie gestorben wäre. Als ich aufwachte, war die Erleichterung ungeheuer. Aber ich war nicht nur erleichtert, ich sah plötzlich meine Lieben mit ganz neuen Augen. Ich merkte, wie dankbar ich für sie war, wie sehr ich jeden von ihnen liebte. Der Albtraum hatte meine Freude an meinen Lieben vervielfacht. Meine Erleichterung beim Aufwachen verwandelte das Entsetzen des Traums gleichsam; das Erleben, meine Lieben verloren und zurückbekommen zu haben, machte meine Liebe zu ihnen nur noch größer. Etwas Ähnliches geschieht, wenn wir einen Gegenstand, an dem wir hängen, verloren haben. Wenn wir die geliebte Taschenuhr unseres Großvaters, die wir schon als gestohlen abgeschrieben hatten, wiedergefunden haben, wissen wir sie erst so richtig zu schätzen.
In der griechischen (vor allem der stoischen) Philosophie gab es die Vorstellung, dass die menschliche Geschichte ein endloser Kreislauf ist. In gewissen, langen Abständen endet das Universum in einem gewaltigen Weltenbrand, der sogenannten Palingenese, worauf die also gereinigte Geschichte wieder von vorne beginnt. Doch in Matthäus 19,28 bezeichnet Jesus seine Wiederkunft auf die Erde am Ende der Zeiten als die große Palingenese: „Wenn die Welt neu geschaffen wird [griech. palingenesia] und der Menschensohn sich auf den Thron der Herrlichkeit setzt …“58 Dies war ein radikal neuer Gedanke. Jesus verspricht, dass seine Wiederkehr mit solch einer Kraft geschehen wird, dass die materielle Welt und das Universum von allem Verfall und Zerbruch gereinigt werden. Alles wird heil werden, und niemand wird mehr sagen: „Es hätte so schön sein können, aber …“
Kurz nach dem Höhepunkt der Romantrilogie Der Herr der Ringe entdeckt Sam Gamdschie, dass sein Freund Gandalf nicht (wie er gedacht hatte) tot ist, sondern lebt, und er ruft aus: „Ich glaubte, du seiest tot! Aber dann glaubte ich, ich sei auch tot. Stellt sich alles Traurige als falsch heraus?“59 Die Antwort der Christen auf diese Frage ist schlicht „Ja“. Alles Traurige wird aufgehoben werden, ja es wird dadurch, dass es traurig und zerbrochen und verloren war, größer und schöner werden.
Die christliche Lehre von der Menschwerdung und dem Kreuz Christi bringt dem Leidenden einen tiefen Trost. Die Lehre von der Auferstehung bietet uns eine gewaltige Hoffnung an. Sie verspricht uns, dass wir das Leben bekommen werden, nach dem wir uns am meisten gesehnt haben, und dass alles noch unendlich schöner und herrlicher sein wird, als wenn es nie Tapferkeit, Beharrlichkeit, Opfer oder Erlösung gebraucht hätte.60
Noch treffender als Dostojewski kann man es nicht ausdrücken:
Ich bin wie ein kleines Kind überzeugt davon, dass die Leiden vernarben und zum Ausgleich gelangen werden, dass das ganze beleidigende Komische der menschlichen Widersprüche entschwinden wird wie ein jämmerliches Traumgebilde, wie die garstige Erfindung eines Schwachen und Kleinen, wie ein Atom des menschlichen euklidischen Geistes; ich bin überzeugt davon, dass endlich, am Ausklang der Welt, im Augenblick ewiger Harmonie, etwas derartig Wertvolles sich ereignen und offenbaren wird, dass es genug ist für alle Herzen, zur Beschwichtigung aller Unwillen, zur Sühne aller von Menschen begangenen Übeltaten und alles von ihnen vergossenen Blutes, dass es mit einem Wort ausreicht dafür, dass es nicht nur möglich sein wird, alles, was mit den Menschen sich zutrug, zu verzeihen, nein, sogar auch zu rechtfertigen! 61
Und C. S. Lewis bringt es in seinem Roman Die große Scheidung kurz und knapp auf den Punkt:
Sie [die Sterblichen] sagen von irgendeinem zeitlichen Leiden: „Keine künftige Seligkeit kann das aufwiegen“, und sie wissen nicht, dass der Himmel, wenn er einmal gewonnen ist, rückwirken und selbst diese Qual in Herrlichkeit verwandeln wird. 62
Das ist die große, endgültige Niederlage des Bösen und des Leidens. Sie werden nicht nur aufhören, sie werden so radikal besiegt werden, dass das, was da geschehen ist, dazu dienen muss, unser zukünftiges Leben und unsere Freude noch unendlich größer zu machen.
KAPITEL 3 „Das Christentum ist eine Zwangsjacke“
„Die Christen glauben, dass allein sie die absolute Wahrheit haben, die die anderen gefälligst schlucken müssen“, sagte Keith, ein junger Künstler, der in Brooklyn wohnte. „Das ist doch ein Anschlag auf die Freiheit!“
„Ja“, pflichtete ihm Chloe, eine junge Kollegin, bei. „Dieses ,Es gibt nur eine Wahrheit‘ ist doch ein richtiger Käfig! Die Christen, die ich kenne, machen mir alle den Eindruck, dass sie nicht die Freiheit haben, selbstständig zu denken. Ich finde, jeder Mensch muss doch selber festlegen, was für ihn die Wahrheit ist.“
I
st der Glaube, dass es eine absolute Wahrheit gibt, ein Feind der Freiheit? Die meisten Menschen, die mir in New York begegnet sind, sehen das so. Das Christentum nennt gewisse Auffassungen „Irrlehre“ und „falsch“ und gewisse Praktiken „unmoralisch“, und es schließt Menschen, die seine lehrmäßigen und moralischen Grenzen überschreiten, aus seiner Gemeinschaft aus. Darin sehen manche Zeitgenossen eine Gefahr für die moderne, liberale Gesellschaft, werden hier doch Menschen ausgegrenzt anstatt integriert. Sie wittern hier auch ein kulturelles Spießbürgertum, das nicht wahrhaben will, dass die verschiedenen Kulturen nun einmal die Realität unterschiedlich sehen. Und behandelt das Christentum mit dieser Einstellung seine eigenen Leute nicht wie kleine Kinder, denen man bis ins Letzte vorschreibt, was sie zu tun und zu glauben haben? Der Psychiater M. Scott Peck berichtet über eine Patientin namens Charlene, die Folgendes über das Christentum sagte: „Da ist kein Platz mehr für mich. Das wäre mein Tod … Ich will nicht für Gott leben. Ich will nicht. Ich will für mich leben. Für mich selber!“63 Charlene glaubte, dass das Christentum ihre Kreativität und ihr Wachstum ersticken würde. Dasselbe glaubte Anfang des 20. Jahrhunderts die Sozialaktivistin Emma Goldman, die das Christentum „den Vernichter des Menschengeschlechts“ nannte, „den Zerbrecher der menschlichen Tat- und Willenskraft … ein eisernes Netz, eine Zwangsjacke, die die Menschen nicht wachsen und groß werden lässt.“64
Ist der Glaube, dass es eine absolute Wahrheit gibt, ein Feind der Freiheit?
Am Ende des Films I, Robot (2004) hat der Roboter namens Sonny die Aufgaben, für die er programmiert ist, erfüllt – und erkennt, dass er jetzt keine Bestimmung mehr hat. Der Film endet mit einem Dialog zwischen Sonny und der zweiten Hauptperson, Detective Spooner:
Sonny: Jetzt, wo ich meine Aufgabe erfüllt habe, weiß ich nicht mehr, was ich machen soll. Detective Spooner: Tja, du wirst wohl deinen Weg finden müssen, wie wir alle, Sonny … Das ist halt so, wenn man frei ist.
„Freiheit“ bedeutet hier, dass es keinen allumfassenden Sinn gibt, für den wir erschaffen sind. Wenn es einen gäbe, müssten wir uns ihm ja anpassen und ihn erfüllen, und das würde uns einengen. Wahre Freiheit ist die Freiheit, mir meinen eigenen Sinn im Leben zu schaffen. Der Oberste Gerichtshof der USA hat dieser Sicht juristische Gestalt gegeben, als er erklärte, dass „das Herz der Freiheit“ darin bestehe, „seine eigene Vorstellung von der Existenz“ und „vom Sinn des Universums zu definieren“.65 Stephen Jay Gould sieht dies genauso:
Wir sind da, weil es ein paar Fische gab, deren Flossen anatomisch das Zeug dazu hatten, sich in Beine für landlebende Tiere zu verwandeln, weil Kometen auf die Erde einschlugen und die Dinosaurier