Das erste Schuljahr. Agnes Sapper. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Agnes Sapper
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Книги для детей: прочее
Год издания: 0
isbn: 4064066111458
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wenn sie weinte, und so sagte der Vater auch jetzt: »Geweint wird draußen, das weißt du. Willst du also im Zimmer bleiben, so sei still.« Mit Mühe gelang es Gretchen, ihre Tränen zu unterdrücken, und es war ihr fast unmöglich, etwas zu essen, und als die Mutter mitleidig sie auf andere Gedanken bringen wollte und sagte: »Denke nur, unsere Katze hat Junge bekommen,« konnte Gretchen keinen Laut von sich geben; es wären sonst wieder Tränen gekommen.

      Das Essen war kaum vorbei, als Gretchen auch schon das Zimmer verließ und hinunterrannte in den Garten, wo sie sich ganz verzweifelt auf die Bank im Gartenhäuschen warf und, den Kopf auf den Tisch gelegt, bitterlich weinte. Immer hörte sie in Gedanken wieder Luisens trübselige Worte: »Es ist immer so,« und sie mochte gar nicht daran denken, daß das arme Kind nun Recht behalten sollte.

      »Nun, nun, was gibt's denn eigentlich?« fragte plötzlich die Mutter, die ihr Kind im Garten aufgesucht hatte.

      »Ach, Mutter, Mutter,« rief Gretchen und warf sich ganz außer sich in der Mutter Arme.

      »Nur still und lieb,« beruhigte die Mutter, »sage mir nur vernünftig, was du eigentlich hast.«

      Gretchen nahm sich zusammen und erzählte nun der Mutter ausführlich, wie es Luise mit der Tafel gegangen sei, wie sie ihr dann die eigene geschenkt und nachher wieder weggenommen habe, weil sie erst um Erlaubnis fragen wollte. »Ach Mutter,« schloß Gretchen, »wenn der Vater gehört hätte, wie traurig Luise war, als sie zu mir sagte: ›Es ist immer so,‹ dann hätte er mir ganz gewiß erlaubt, daß ich ihr meine Tafel schenke.«

      »Das glaub' ich selbst,« sagte die Mutter, »aber der Vater konnte es ja gar nicht wissen, er sah und hörte nur, wie sein Gretchen zu spät zu Tische kam und wie es hastig und ungestüm verlangte, seine Tafel herschenken zu dürfen. Da sagte er natürlich ›nein‹. Anstatt ihm dann verständig deine Geschichte zu erzählen, bist du in Tränen ausgebrochen, obwohl du weißt, daß er das nicht leiden kann.«

      Gretchen senkte beschämt das Köpfchen und widersprach nicht; sie fühlte wohl, daß die Mutter recht hatte.

      »Der kleinen Luise muß aber geholfen werden,« setzte die Mutter jetzt freundlich hinzu, »ich möchte selbst, daß du dein Versprechen mit der Tafel erfüllst.«

      »O Mutter, du erlaubst es also?« rief Gretchen und sah voll Hoffnung in der Mutter freundliches Gesicht.

      »Ich kann's nicht erlauben, weil's der Vater verboten hat; aber er wird's selbst erlauben, wenn er alles erfährt.«

      »O bitte, Mutter, sag' du's ihm und überrede ihn.«

      »Nein, Kind, das ist nicht meine Sache, das mußt du tun, denn du hast die Sache ungeschickt gemacht und mußt sie nun wieder zurecht bringen.«

      Gretchen wurde nachdenklich.

      »Wo ist der Vater?« fragte sie.

      »Er ist in seinem Zimmer und liest die Zeitung.«

      »Da mag er gar nicht gern von mir gestört werden, Mutter.«

      »Wenn du recht bescheiden zu ihm gehst und fragst, ob du ihm etwas erzählen dürfest, wird er dich schon anhören.«

      Aber Gretchen konnte sich nicht entschließen. Sie mochte den Vater, der sie eben erst so streng abgewiesen hatte, nicht bitten.

      Die Mutter sah, daß Gretchen einen schweren Kampf mit ihrem kleinen hochmütigen Herzen kämpfte.

      »Ei, Gretchen,« sagte sie, »ist das deine ganze Liebe für die Armen? Du verschenkst wohl alles mit leichtem Herzen, weil du weißt, daß du doch noch genug hast. Wenn du aber so einem armen Mädchen zulieb deinem Vater gute Worte geben sollst, so ist dir dies Opfer schon zu groß. Willst du lieber die kleine Luise ohne Tafel jeden Tag wieder den sauren Gang zum Lehrer tun lassen, als daß du einmal für sie zu deinem Vater gehst? Dann hat freilich die arme Luise recht, wenn sie sagt: ›Es ist immer so‹.«

      Diese letzten Worte trugen bei Gretchen den Sieg davon.

      »Ich gehe, ja, ich gehe,« sagte sie, und ohne sich noch einmal zu besinnen, verließ sie den Garten, ging hinauf und öffnete des Vaters Türe, so leise und bescheiden, wie man es von ihr gar nicht gewöhnt war. Der Vater saß in seinem Lehnstuhl und las. Er blickte auf.

      »Vater,« sagte Gretchen und trat zaghaft näher, »darf ich dir etwas erzählen?«

      »Ja, wenn's ohne Tränen geht und wenn nichts von einer Tafel drin vorkommt.«

      »Es geht ohne Tränen, aber von einer Tafel muß etwas vorkommen, sonst kann man's gar nicht erzählen.«

      »So, nun laß eben hören,« sagte der Vater, und nun erzählte Gretchen so rührend von Luisens Not mit der Tafel, von ihren schlimmen Erfahrungen mit dem Apfel und mit der Schürze und wie sie so schmerzlich wiederholt habe: »Es ist immer so,« daß der Vater endlich rief: »Jetzt ist's aber so traurig, daß mir selbst fast die Tränen kommen.«

      Ungläubig sah Gretchen zum Vater auf und lächelte: »Dir kommen sie nie, Vater.«

      »Doch, doch, wenn du nicht heute nachmittag noch dem kleinen Unglückskind eine Tafel bringst.«

      »Also darf ich?!« rief Gretchen und fiel dem Vater in hellem Entzücken um den Hals.

      »Freilich,« sprach der Vater; »ist denn aber noch eine Tafel da?«

      »Ich will gleich die Mutter fragen; sie ist im Garten,« sagte Gretchen und ging mit dem Vater hinaus.

      Aber die Mutter war längst nimmer im Garten, sie hatte sich gedacht, daß man sie bald brauchen würde, und war schon bereit.

      »Mutter, ich darf! aber haben wir denn noch eine Tafel?«

      »Nein; aber es ist noch nicht Zeit zur Schule, du kannst wohl noch zum Kaufmann gehen und eine holen. Hier ist das Geld.«

      Gretchen rannte davon.

      »Was meinst du dazu,« sagte der Vater, »wenn wir dem Kind auch noch einen Apfel schicken würden und vielleicht fände sich auch noch ein Schürzchen, das man entbehren könnte; es wäre ein gutes Werk, wenn man dem kleinen Geschöpf wieder ein besseres Vertrauen in die Menschheit einflößen könnte.«

      Die Mutter war ganz mit einverstanden und als Gretchen mit der neuen Tafel zurückkam, hatte die Mutter schon einen Apfel und eine Schürze zurechtgelegt.

      »Willst du das deiner Luise mitbringen und ihr sagen, die Menschen seien doch nicht so schlimm, wie sie meint?« fragte der Vater.

      Gretchen war's, als habe sie ihren Vater noch gar nie so lieb gehabt, wie eben jetzt. Als sie dankte, wären ihr fast Freudentränen gekommen und das durfte doch nicht sein, wenn der Vater da war.

      Gretchen ging am Schulhaus vorbei der kleinen Luise entgegen, ihre drei Schätze: Tafel, Schürze und Apfel hatte sie in ihrem Ranzen. Jetzt trafen die zwei Kinder zusammen; unser glückliches, fröhliches Gretchen und die ängstliche, trübselige Luise.

      »Ich hab' dir eine Tafel mitgebracht, noch eine schönere als die meinige, sieh nur her!« und Gretchen packte ihren Ranzen auf und zog die neue Tafel heraus. Luise sah begierig darauf, aber sie traute sich nicht, die Tafel zu nehmen.

      »Hat's deine Mutter erlaubt?« fragte sie zögernd.

      »Jawohl, die Mutter hat's erlaubt und der Vater auch, und er hat gesagt, die Menschen seien nicht so schlimm, wie du meinst, und da ist auch noch ein Apfel für dich und auch eine Schürze.«

      Nun war aber Luisens Gesicht auch nimmer trübselig, nein, es strahlte ebenso, wie das von Gretchen.

      »O, ihr seid gute Leute!« rief sie, nahm die Tafel, besah sie von allen Seiten und drückte sie zärtlich an sich. Auch das Schürzchen kam ihr wunderschön vor. Sie hätte es am liebsten gleich angezogen und hätte wohl auch gerne gleich den Apfel verzehrt, aber dazu war nun keine Zeit mehr. Jeden Augenblick konnte es zwei Uhr schlagen und die beiden Mädchen liefen eilig der Schule zu.

      »O wie hab' ich