Das erste Schuljahr. Agnes Sapper. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Agnes Sapper
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Книги для детей: прочее
Год издания: 0
isbn: 4064066111458
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sagte der Lehrer, »da bleibst du jetzt, bis alle gehen. Deine Mama hat wohl nur gemeint, du sollst dich auf dem Heimweg nicht lange aufhalten. Frage sie nur, ob man aus der Schule laufen darf, wann's einem beliebt.«

      So mußte denn der kleine Artur noch einmal seine Tafel auspacken und standhalten, bis nach einer weiteren halben Stunde der Lehrer verkündigte: »Jetzt ist die Schule aus und heute nachmittag machen wir einen Spaziergang miteinander und suchen Schlüsselblumen auf der Wiese!«

      Unter lautem Jubel verließ nun die ganze Schar das Schulhaus und in die verschiedensten Häuser des Städtchens wurde nun die fröhliche Kunde von dem versprochenen Spaziergang gebracht. Am Abend aber standen in allen Häusern der kleinen Schulkinder größere oder kleinere Sträuße von Schlüsselblumen; nur unser Gretchen war mit leeren Händen heimgekommen.

      »Hast du denn keine Blumen gefunden?« fragte die Mutter.

      »O ja, doch, aber ich habe die meinigen den andern Kindern geschenkt.«

      »Aber warum denn, sie haben doch gewiß selbst welche gefunden?«

      »O freilich, manche haben ganze große Büsche, aber ich habe ihnen die meinigen noch dazugegeben. Ich möchte nur immer alles verschenken!«

      »Hör, Gretchen, du bist eine kleine Verschwenderin. Wenn die andern selbst haben, was sie brauchen, so mußt du deine Sachen nicht an sie verschleudern.«

      »O Mama, du schenkst doch auch so oft etwas den Armen, warum darf ich's denn nicht tun?«

      »Weil du noch nicht weißt, wo es nottut zu geben und was die Armen brauchen. Sei du nur sonst immer recht gut gegen die armen Kinder, und wenn du siehst, an was es ihnen fehlt, dann erzähle mir's nur immer; soweit wir können, wollen wir ihnen helfen.«

      »Und darf ich ihnen dann etwas schenken?«

      »Gewiß; aber nie ungefragt; nicht wahr? Merke dir das.«

      Gretchen versprach es. Aber im nächsten Augenblick hatte sie es wieder vergessen über dem vielen, was sie heute erlebt und zu erzählen hatte. Die Mutter mußte natürlich alles wissen und dann kam die Lene an die Reihe. Die hatte in der Küche eine kleine Wäsche zu waschen, das war gar geschickt, da mußte sie so fest an ihrem Waschzuber bleiben und alles geduldig anhören. Sie tat's aber auch heute ganz gerne. Dann, als der Vater zum Abendessen kam, fand Gretchen noch einmal einen freundlichen Zuhörer. Ja, als es ½8 Uhr war und die Mutter, wie jeden Abend, mahnte: »Kind, es ist Zeit ins Bett zu gehen,« sagte der Vater ganz leise zu Gretchen:

      »Frag' einmal die Mutter, ob sie nicht weiß, daß Schulkinder immer bis acht Uhr aufbleiben dürfen?« Gretchen fragte gar nicht lange, sondern jubelte gleich darüber, daß sie künftig eine halbe Stunde länger aufbleiben sollte. Sie wußte schon, wenn der Vater etwas erlaubte, sagte die Mutter niemals nein.

      Endlich ging aber auch dieser glückliche Tag zu Ende. Als Gretchen im Bett lag und ihr Gebetchen gesprochen hatte, sagte die Mutter freundlich: »Gute Nacht, mein Schulkind«; »Gute Nacht, Mutter,« rief Gretchen, »ich freue mich schon wieder auf die Schule morgen.«

      Auch die Eltern freuten sich mit ihrem Kind und es war nur eine Person im Hause, die nicht zufrieden war, und das war Lene. Als die Mutter spät noch in die Küche kam, um den Kaffee für den nächsten Tag herauszugeben, hielt Lene mit dem Stiefelwichsen inne und sagte:

      »Das hätt' ich aber doch nicht für möglich gehalten, daß man unser Gretchen auf die letzte Bank setzen würde; das muß ein ganz verkehrter Lehrer sein, der so etwas tun kann, wenn der was Rechtes wäre, so hätte er auf den ersten Blick gesehen, daß unser Gretchen vorn hingehört.«

      »Aber Lene,« sagte Frau Reinwald, ganz erstaunt über den Sturm, der da losbrach, »die Kinder sind ja nach dem ABC gesetzt worden und da kommt eben das ›R‹ weit hinten.«

      »Das hat mir Gretchen wohl gesagt, aber es geht doch nicht mit rechten Dingen zu; es kommen doch noch acht Buchstaben nach dem ›R‹ und sitzen nur noch vier Kinder hinter ihr.«

      »Nun ja, es gibt eben gerade keine Kinder mit diesen Anfangsbuchstaben; du wirst auch nicht viel Namen wissen, die mit ›X‹ oder ›Y‹ anfangen.«

      »Aber der Bürstenmacher Zahn hat doch acht Kinder und beim Kaufmann Ulrich gibt's ein ganzes Rudel Mädchen, aber natürlich in diesem Jahr kommt gerade keins in die Schule!« Bei diesen Worten nahm Lene ihre Schuhbürste wieder und ließ ihren ganzen Zorn an Gretchens Stiefelchen aus, daß dieses über und über glänzte.

      »Nun, Lene,« beruhigte Frau Reinwald, »bald wird Gretchen einmal heimkommen und verkündigen, daß sie nimmer auf der letzten Bank sitzt, und das ist dann schon angenehmer, als wenn sie jetzt die erste wäre und hinunterrücken müßte.«

      Mit diesem Trost gab sich endlich auch Lene zufrieden.

       Der Hans.

       Inhaltsverzeichnis

      Der Hans war am Nachmittag zuallererst mit seinen Schlüsselblumen heimgekommen, denn der Spaziergang führte an seinem Haus vorbei. Er wohnte ganz am Ende des Städtchens, in einem einzelstehenden Häuschen, das seinem Vater, dem Schäfer Zaiserling, gehörte. Das Häuschen sah elend genug aus und war sehr klein, aber doch groß genug, denn es wohnte nur der Schäfer darin mit seiner alten Mutter und dem Hans. Der Hans hatte seine Mutter nie gekannt, sie war schon lange tot, einen älteren Bruder hatte der Hans, der war aber in Amerika; der Vater war jedes Jahr vom April bis Oktober mit den Schafen auf der Weide. Auch im Winter war er oft die ganze Woche auswärts. Die Großmutter war taub und weil sie schon so lange nicht mehr hörte, was sie sprach, so hatte sie sich das Sprechen fast ganz abgewöhnt. Auch der Hans sprach fast nie; mit wem hätte er auch reden sollen? aber durch allerlei Zeichen konnte er sich schon mit seiner Großmutter verständigen.

      Als der Hans heute heimkam, saß die Großmutter am Fenster und flickte. Der Hans legte seinen Strauß Schlüsselblumen vor die Großmutter hin; dann ging er eifrig auf die Bank zu, die am Ofen stand; dort lag sein Schulranzen, neben den setzte er sich und fing an mit dem Zipfel seiner Jacke daran zu reiben und zu putzen, bis das alte Leder wieder glänzte. Dann nahm er die Tafel heraus und machte sich daran, Striche darauf zu zeichnen, wie er es am Morgen in der Schule gelernt hatte. Als er die Seite ganz voll hatte, sah er sie prüfend an, dann löschte er alles wieder aus und fing langsam und sorgfältig noch einmal von vorn an. Erst als es dunkel wurde, legte er die Tafel weg, wetzte draußen am Brunnentrog seinen Griffel, bis er spitzig war wie ein Spieß und dann setzte er sich wieder neben seinen Ranzen und dachte an die Schule.

      Auf einmal sagte er laut vor sich hin: »Ja« und wieder »ja« und immer wieder »ja!« Wer ihn gehört hätte, der hätte wohl gedacht, er sei nicht recht bei Sinnen, aber das war er doch; ihm war wieder eingefallen, daß der Lehrer heute morgen gesagt hatte, man müsse »ja« sagen und nicht »jo«, das war dem Hans etwas ganz Neues gewesen und so sagte er denn »ja« und immer heller »ja« und freute sich daran, wie andere Kinder, wenn sie ein schönes Lied singen lernen. Inzwischen war es dunkel geworden im Zimmer, denn ein Licht zündete die Großmutter nur im Winter an. Von Georgi an wurde es gespart. Wenn man nichts mehr sah, so legte man sich ins Bett. So war's Sitte im Schäferhaus. Bis jetzt hatte der Hans noch nichts von einem Abendgebet gewußt; heute aber, als er in seinem Bettlein lag, kam die Großmutter noch einmal her zu ihm, legte ihre alten, zitternden Hände zusammen und sagte mit ihrer leisen, eintönigen Stimme: »So hat dein Vater gebetet als Kind:

      Herr, hilf, daß ich als treuer Knecht

       Dir dienen möge fromm und recht

       Mit heil'gem Ernst und Streben.

       Laß nützen mich die flücht'ge Zeit,

       Bald kommt die ernste Ewigkeit,

       Hilf mir zum ew'gen Leben.«

      Der Hans horchte begierig. Es kam ihm gar selten vor, daß er etwas Neues zu hören bekam. Nie hatte ihn jemand einen Spruch oder ein Lied gelehrt. Heute aber hatte die