Das erste Schuljahr. Agnes Sapper. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Agnes Sapper
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Книги для детей: прочее
Год издания: 0
isbn: 4064066111458
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hatte und wieder weg wollte, hielt der Hans sie fest.

      »Willst du's noch einmal hören?« fragte die Großmutter, und als der Hans nickte, fing sie den Vers wieder an und der Hans sprach ihn mit. Als sie fertig waren, griff er gleich wieder nach den Händen der Großmutter und sie merkte, daß er das Gebet auswendig lernen wollte. Da setzte sie sich auf den Rand seines Bettes und sagte es ihm geduldig vor, bis der Hans endlich seinen Finger auf ihren Mund legte – er wollte es allein probieren. Die Großmutter hörte nichts und sah im Dunkeln kaum mehr, wie sich seine Lippen bewegten, aber sie sollte bald merken, daß er das Lied konnte, denn in seiner Freude zog er ihren Kopf herunter zu sich und gab seiner alten Großmutter einen Kuß, was ihm früher noch nie eingefallen war, dann schob er sie sanft weg, zum Zeichen, daß er sie nimmer brauche. Von diesem Tag an betete Hans jeden Abend seinen Vers und je länger er in die Schule ging, um so besser verstand er die schönen Worte.

       »Es ist immer so!«

       Inhaltsverzeichnis

      »Kaum acht Tage bist du in der Schule und schon ist deine Tafel zersprungen! Auf einer solchen Tafel kann man nicht schreiben lernen, morgen bringst du eine neue Tafel mit, sonst geht's dir schlecht; verstehst du?«

      So sprach der Lehrer eines Morgens zu der kleinen Luise Seiz, die neben Gretchen saß. Am nächsten Tag aber, als die Kinder ihre Tafeln vor sich hinlegten, damit der Lehrer ihre Aufgabe ansehen konnte, hatte Luise noch dieselbe zersprungene Tafel. Gretchen bemerkte dies sogleich, deutete mit dem Finger auf die Sprünge und sah Luise ganz besorgt und fragend an. Diese sagte kein Wort. Der Lehrer ging von einer Bank zur andern und kam endlich an die letzte.

      »Muß ich wieder die zerbrochene Tafel sehen?« rief er die Kleine ärgerlich an; »hab' ich dir nicht gesagt, du sollst eine neue mitbringen?« Dabei nahm er ihre Tafel, brach die losen Stücke vollends auseinander, so daß sie klirrend auf den Boden fielen und nur noch ein kleines Stück im Rahmen stecken blieb.

      »Nun wirst du wohl bis heute nachmittag eine neue bringen, denk' ich.« Der Lehrer ging weiter, die Kleine aber hob die Trümmer der zerbrochenen Tafel auf und weinte so schmerzlich, daß es jedermann erbarmen mußte, nicht nur unser warmherziges Gretchen, das neben ihr saß. Aber der Lehrer beachtete es nicht, er war an die Wandtafel getreten und schrieb dort schön und deutlich, daß es alle lesen konnten, ein »i« vor.

      »Heute sollt ihr den ersten Buchstaben schreiben lernen,« sprach er, »ihr habt lange genug Striche gemacht, jetzt kommt das »i« an die Reihe.«

      Hurtig fuhr Gretchens Griffel über ihre Tafel, für sie war das »i« nichts Neues mehr, sie hatte schon bei der Mutter alle Buchstaben schreiben gelernt. Als sie sah, daß Luise vor Weinen gar nicht schreiben konnte, sagte sie leise zu ihr:

      »Komm', ich schreib dir's,« und bedeckte nun sorgfältig das kleine dreieckige Stück Schiefer, das noch im Rahmen geblieben war, mit möglichst schönen »i«. Daß aber Luise trotzdem noch weinte, konnte sie nicht recht begreifen, und als die Freiviertelstunde kam und die Kinder vor's Schulhaus hinuntersprangen, nahm sie Luise beiseite und fragte sie, warum sie denn keine neue Tafel mitgebracht habe.

      »Ich bekomme keine, auch morgen nicht,« sagte Luise ganz verzweifelt; »mein Vater hat gesagt, er könne mir jetzt keine kaufen.«

      »Aber wenn's der Lehrer will, muß dir dein Vater doch eine neue kaufen,« meinte Gretchen.

      Aber Luise schüttelte den Kopf. »Es ist kein Geld mehr da. Erst am Samstag bekommt der Vater seinen Lohn. O, der Lehrer wird mich alle Tage schlagen,« klagte Luise schluchzend.

      Diesen Jammer konnte Gretchen nicht mitanhören. Sie besann sich nicht lange, lief schnell hinauf ins Schulzimmer, holte ihre eigene Tafel, gab sie der kleinen Unglücklichen und sagte:

      »Da, ich schenke dir meine, wir haben Geld, wir können eine neue kaufen.«

      Nun hättet ihr aber sehen sollen, wie es plötzlich auf dem kleinen, tränenüberströmten Gesicht aufleuchtete, wie wenn die Sonne unter dichtem Gewölk hervorbricht, so verbreitete sich ein Schimmer von Glückseligkeit auf diesem Kindergesicht.

      »Ist's auch dein Ernst?« fragte Luise noch zweifelnd, und als Gretchen dies fröhlich bejahte, drückte sie die neue Tafel fest an sich und trug sie sorgfältig, damit sie ihr gewiß nicht hinunterfalle und zerbreche, wie die erste.

      Als die Freiviertelstunde aus war, erzählte der Lehrer eine biblische Geschichte. Da war unter allen Kindern keines, das so gespannt auf jedes Wort hörte, wie der Schäfer-Hans. Ihm war das alles ganz neu. Überhaupt hatte ihm noch nie im Leben jemand eine Geschichte erzählt. Der Lehrer bemerkte wohl, daß dieser Schüler keinen Blick von ihm verwandte, wenn er ihn aber etwas fragte, so brachte der Kleine doch keine Antwort heraus, so daß sich der Lehrer wunderte, denn er wußte nicht, wie wenig der Hans im Reden geübt war und wie stumm es bei ihm zu Hause zuging. Da war Gretchen schon anders. Die war immer flink mit Red und Antwort bei der Hand. Nur heute schien sie nicht recht bei der Sache. Mit Schrecken war ihr eingefallen, daß die Mutter ihr verboten hatte, ungefragt etwas zu verschenken und nun hatte sie's doch getan! Was würde die Mutter sagen! Wenn ihr nur Luise die Tafel noch einmal zurückgäbe, bis sie um Erlaubnis gefragt hätte.

      Als die Schule vorüber war, ging Gretchen mit Luise die Treppe hinunter und sagte zu ihr: »Gibst du mir nicht meine Tafel noch einmal? du bekommst sie schon heute Nachmittag wieder, aber weißt du, es ist mir eingefallen, daß ich vorher die Mutter fragen muß.«

      Luise nahm augenblicklich die Tafel wieder aus ihrem Ranzen, sah zu, wie Gretchen diese in den ihrigen schob und sagte ganz ergeben: »Ich hab' mir's schon gedacht.«

      »Was hast du dir gedacht?«

      »Daß es nicht dein Ernst ist.«

      »Freilich ist's mein Ernst, ich frage gleich die Mutter, ich weiß ganz gewiß, daß sie's erlaubt.«

      Luise schüttelte ungläubig den Kopf.

      »Es ist immer so,« sagte sie und ging fort. Gretchen aber konnte es nicht ertragen, daß sie so traurig war und lief ihr nach.

      »Was ist immer so?« fragte sie.

      »Daß man einem etwas verspricht, und daß es dann nicht wahr ist.«

      »Aber bei mir ist's nicht so.«

      »Gerade so hat neulich des Müllers Mariechen gesagt, wie ich ihren Ball aus dem Brunnenloch geholt habe. Sie hat mir einen Apfel versprochen und hat mir doch keinen gegeben; und am Sonntag da habe ich unserer Nachbarin ihre kleinen Buben gehütet und einer hat mir die Schürze zerrissen. Sie hat gesagt, ich soll nicht weinen; sie gehe selbst zum Vater und sage ihm, daß ich nichts dafür könne und eine neue Schürze wolle sie mir auch geben. Aber sie ist nicht zum Vater gekommen, sie hat keine Zeit gehabt und den Stoff hat sie nicht gefunden, aus dem sie mir eine Schürze hat machen wollen. Es ist immer so.«

      »Aber bei uns ist's nicht so!« rief Gretchen, »du wirst's schon sehen,« und nun lief sie eiligst heim, denn sie hatte sich schon zu lange bei Luise aufgehalten.

      »Mach schnell, daß du hineinkommst,« sagte Lene, »die Suppe steht schon auf dem Tisch, du kommst zu spät.«

      Das Tischgebet war wirklich schon gesprochen und der Vater sah ärgerlich auf Gretchen, die vom raschen Lauf ganz erhitzt aussah und die sich nun, ganz erfüllt von ihrer Angelegenheit, ohne Entschuldigung an den Tisch setzte und sofort begann:

      »Mutter, nicht wahr, ich darf meine Tafel der Luise Seiz schenken, sie hat die ihrige zerbrochen.«

      »Da dürfen wir viele Tafeln kaufen,« sagte die Mutter, »wenn du immer deine hergeben willst, so oft eines von den fünfzig Schulkindern die seinige zerbricht.«

      »O Mutter, laß mich's doch,« sagte Gretchen gleich so stürmisch und dringend, daß der Vater ärgerlich rief: »Was soll denn das wieder für eine Torheit sein! Seine Schultafel, die man selbst braucht, verschenkt man nicht. Davon kann