Das erste Schuljahr. Agnes Sapper. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Agnes Sapper
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Книги для детей: прочее
Год издания: 0
isbn: 4064066111458
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      »Nun bin ich nur begierig, was du uns heute Mittag alles erzählen kannst,« sagte die Mutter, »wie es dir gefallen hat und neben wem du sitzst.«

      »Neben wem ich sitze, das habe ich mir schon ausgedacht,« antwortete Gretchen, »ich setze mich ganz vornhin auf die erste Bank und neben mich muß auf die eine Seite Apothekers Emilie und auf die andere Seite der Schäfer-Hans.«

      »Ja,« sagte der Vater, »so wird's; sowie du in die Schule kommst, sagt der Lehrer: ›Bitte, Fräulein Gretchen, suchen Sie sich den besten Platz aus und befehlen Sie, wer neben Ihnen sitzen soll.‹« Gretchen verstand gleich, was der Vater meinte.

      »Darf man sich denn nicht hinsetzen, wo man will?« fragte sie.

      »Nein, mein Kind,« sagte der Vater, und er sah nun ganz ernst aus: »In der Schule darf man weder sitzen noch stehen, weder kommen noch gehen, wie man will, sondern man muß sich immerfort und in allem nach dem Lehrer richten. Merke du dir das recht, dann wirst du eine glückliche Schulzeit haben; und nun muß ich fort; leb' wohl, mein Schulkind.«

      Der Vater ging und auch die Mutter verließ das Zimmer. Gretchen war ganz ernst geworden; die Worte des Vaters gefielen ihr nur halb. Schon eine gute Weile stand sie nachdenklich am Fenster, dann ertönte Glockengeläute von der Kirche und Lene kam herein.

      »Gretchen, bist du fertig? es läutet schon.«

      In dem Städtchen Föhrenheim, in dem die Familie Reinwald lebte, ist es Sitte, daß die Kinder, ehe sie zum erstenmal in die Schule gehen, von ihren Eltern in die Kirche geführt werden, und so machte sich nun auch Frau Reinwald mit Gretchen auf den Weg. Lene sah ihnen vom Fenster aus nach und sagte vor sich hin: »Es ist ein großes Kind, unser Gretchen, und ein schönes Kind und ein gescheites Kind; es werden nicht viele solche in die Schule kommen. Gewiß wird sie die Erste.« Mit diesem stolzen Gefühl verließ Lene das Fenster.

      In der Kirche sammelten sich nach und nach die kleinen Knaben und Mädchen mit ihren Vätern oder Müttern. Auch der Schäfer-Hans war diesmal nicht allein, ein altes Großmütterchen begleitete ihn.

      Nun sprach der Pfarrer gar freundlich und herzlich zu den Kindern. Gretchen horchte aufmerksam zu und verstand alles, was er sagte.

      Zum Schluß wurde noch ein Lied gesungen, ein Gebet gesprochen, dann verließen die Kinder das Gotteshaus und wurden wieder von Vater oder Mutter geleitet, aber nur noch bis zur Türe des Schulhauses. Dort trennten sich die Eltern von den Kindern und die Treppe hinauf ging's nun schon allein.

      Gretchen hatte keine Angst: sie sprang lustig hinauf mit der ganzen Schar der neuen Schulkameraden und bald wuselte alles unruhig durcheinander in dem großen Schulzimmer. Der alte Lehrer war auch da und sprach noch ein paar Worte mit dem jungen Lehrer. Dann verließ er das Zimmer. Herr Stein nahm nun ein Lineal und klopfte mit diesem so stark auf den Katheder, daß alle Kinder erschraken und es plötzlich ganz stille wurde im Zimmer.

      »Nun wird eines nach dem andern beim Namen gerufen und wer gerufen wird, kommt zu mir her; die andern aber sind ganz stille,« befahl Herr Stein und rief sofort den ersten Namen: »Franz Abenheim«.

      Des Holzhackers Franz trat vor.

      »Sieh, du wirst der Erste, weil dein Name mit A anfängt; wir wollen sehen, wie lange du auf dem ersten Platz bleibst!« Jetzt kam der Berger und so ging's fort, bis alle Knaben ihren Platz hatten und nur der Schäfer-Hans noch dastand. Nun rief der Lehrer: »Johannes Zaiserling«. Da trat der Schäfer-Hans vor und setzte sich an den letzten leeren Platz. Das konnte Gretchen nicht mitansehen.

      »Der heißt ja gar nicht so,« sagte sie, »der heißt Schäfer-Hans.« Sie wußte nicht, daß der Vater des Hans ein Schäfer war, aber Zaiserling hieß. Der Lehrer lachte, aber er drohte dabei mit dem Finger und mahnte: »Warte du, bis du gefragt wirst,« und der Schäfer-Hans kam auf den letzten Platz. Nun kam die Reihe an die Mädchen. Eine Bank nach der andern füllte sich und immer stand unser Gretchen noch außen. Ihr Gesichtchen wurde immer länger und trübseliger, denn sie fand es gar nicht nett, daß sie so weit hinten sitzen sollte. Nun war nur noch die letzte Bank frei. Da ertönte endlich der Ruf: »Margarete Reinwald«. Der Lehrer führte sie selbst an ihren Platz und sagte freundlich zu ihr: »Nur munter, du wirst bald weiter hinaufkommen.«

      Neben sie kam Luise Seiz zu sitzen, ein ärmlich gekleidetes Mädchen, und nachdem noch drei weitere Mädchen ihren Platz in der letzten Bank gefunden hatten, waren alle Bänke voll und alle Kinder aufgehoben.

      »Wißt ihr jetzt alle eure Plätze?« fragte der Lehrer und alle Kinder riefen zumal: »Ja«; aber es klang bei vielen nicht wie »Ja«, sondern wie »Jo«.

      »In der Schule sagt man nicht ›Jo‹, da sagt man ›Ja‹; ruft alle: ›Ja‹.« Nun klang das »Ja« schon besser, aber dem Lehrer noch nicht schön genug.

      »Noch einmal ›Ja‹,« und nun riefen alle, so hell sie nur konnten: »Ja«.

      »So, jetzt habt ihr schon etwas gelernt,« sagte der Lehrer, »und nun schlägt's auch schon 10 Uhr, jetzt dürft ihr alle eine Viertelstunde hinunterspringen und euer Brot essen, und wenn es Viertel schlägt, kommt ihr wieder herauf und jedes setzt sich an seinen Platz.«

      Lustig stürmte die Schar der Kleinen hinaus und hinunter auf den freien Platz vor dem Schulhaus. Die meisten Kinder hatten ein Stück Brot bei sich. Gretchen aber, die keines mitgebracht hatte, wußte sich schon zu helfen: sie wohnte ja so nahe. Sie sprang nur nach Hause.

      »Schon wieder da?« fragte Lene ganz verwundert, als Gretchen heraufstürmte und »Ja, kommst du schon wieder?« rief ebenso erstaunt die Mutter, denn sie hatte schon Gretchens Schritte auf der Treppe erkannt.

      »Ja, ich möchte mir nur schnell ein Stück Brot holen, ich muß gleich wieder fort,« rief Gretchen, die von dem raschen Lauf noch ganz atemlos war. Lene brachte schnell den Brotlaib herbei, die Mutter schnitt ein Stück herunter, Gretchen nahm es, rannte wieder davon und rief noch von der Treppe herauf: »Heut Mittag erzähl' ich alles, es ist wunderschön in der Schule!« und fort war sie wie der Sausewind. Die Mutter aber lachte und sagte zu Lene:

      »Nun, der Anfang ist wenigstens nicht zu streng, wenn jetzt schon Freiviertelstunde ist!« und sie ging ins Zimmer, setzte sich an den Nähtisch und dachte: »Wie still ist's doch, wenn das Kind nicht da ist« und Lene, die eben »Flädle« zur Suppe backte, legte eines beiseite und sagte sich: »Das muß ich doch unserm Schulkind aufheben.«

      Mit dem Schlag Viertel fanden sich die kleinen Abc-Schützen wieder in ihrem Schulzimmer ein. Die meisten Kinder fanden gar schnell ihr Plätzchen wieder, nur einzelne kannten sich nicht gleich aus und unter diesen war auch Apothekers kleine, ängstliche Emilie. Als Gretchen schon am Platz saß, stand das schüchterne Kind noch zweifelnd da, seine Augen füllten sich mit Tränen und es sah ratlos umher. Schnell begriff Gretchen Emiliens Verlegenheit. Sie sprang noch einmal auf und wollte auf Emilie zugehen. Der Lehrer aber sah dies, klopfte mit dem Lineal auf den Pult und rief laut: »Jedes bleibt an seinem Platz.«

      »Ich gehe gleich wieder hinein,« antwortete Gretchen ungeniert, huschte schnell zu Emilie hin und führte sie an ihre Bank. Der Lehrer hatte begriffen, warum Gretchen nicht augenblicklich folgte, und ließ sie gewähren; die kleine Emilie faßte aber von diesem Tag an ein großes Zutrauen zu Gretchen und wandte sich in allen Nöten an sie.

      Die Kinder mußten nun ihre Tafeln nehmen und gerade Striche machen lernen; dies war schon eine ernste Arbeit und sie hatte vielleicht eine Viertelstunde gedauert, als mitten unter den Knaben sich einer erhob, seine Tafel in den Ranzen schob und sich anschickte, die Schule zu verlassen.

      »Wohin, wohin?« fragte der Lehrer erstaunt und alle Kinder sahen auf den Kleinen. Es war Artur, der Sohn des Doktors.

      »Ich gehe jetzt heim,« erklärte der Kleine.

      »Halt,« sprach der Lehrer, »so geht das nicht, jetzt ist die Schule noch nicht aus.«

      Aber Artur ließ sich nicht so schnelle irre machen.

      »Meine Mama hat gesagt, ich soll mich nicht so lang aufhalten,« erwiderte er und ging fest auf die Türe zu. Ehe er sich's