»Ändern Sie die Fassung des Vertrages in dieser Form ab. Lassen Sie sich Zeit. Ich möchte es nicht noch einmal lesen müssen, es dürfen also keine Fehler unterlaufen. Morgen legen Sie mir den neuen Text dann vor. Sagen Sie alle Besprechungen ab, die für morgen vormittag notiert waren. Ich muß heute noch wegfahren und werde wahrscheinlich erst morgen oder übermorgen zurückkommen. Auf jeden Fall werde ich von unterwegs anrufen.«
Brugger strahlte, als er seinem Herrn später den Wagenschlag öffnete. Viel zu lange hatte es für ihn keine richtige Arbeit gegeben. Die täglichen Stadtfahrten rechnete er nicht. Nun konnte man wieder einmal über die Landstraßen jagen. Als Sörensen das Ziel nannte, horchte Brugger auf. Ein zufriedenes Lächeln legte sich auf sein Gesicht. Er entsann sich noch gut an die herrlichen Tage auf Birkenhöhe. Auch in der Stadt war es sehr schön gewesen. Hoffentlich hielt es den Chef auch dieses Mal dort länger fest. Ihm, Brugger, lag gar nichts daran, schon morgen oder übermorgen wieder zu Hause zu sein. Die eigene Behausung hatte man ja sonst immer um sich.
*
In Magdalene Gräfenhans Augen trat ein triumphierendes Leuchten, als Lisbeth ihr meldete, daß ein Herr Dr. Sörensen darum bitte, der gnädigen Frau seine Aufwartung machen zu dürfen.
Er war also gekommen. Endlich war er gekommen!
»Führen Sie den Herrn in den blauen Salon, Lisbeth, er möchte sich einen Augenblick gedulden.«
Sie eilte in ihr Ankleidezimmer hinüber. Wie dumm, daß sie gerade heute darauf verzichtet hatte, sich besonders zurechtzumachen. Nun mußte alles so häßlich schnell gehen, sie konnte ihn doch nicht warten lassen. Es dauerte aber dann doch eine gute Viertelstunde, bis sie zufrieden von dem hohen Spiegel zurücktrat. Wenn ich nur wüßte, welches Parfüm er liebt, überlegte sie, und wählte dann eines der kostbarsten, die sie besaß.
Mit jugendlich eleganten Bewegungen betrat sie wenig später den Salon. Dr. Sörensen erhob sich sofort, um ihr die Hand zu küssen.
»Entschuldigen Sie, gnädige Frau, daß ich so unangemeldet bei Ihnen Besuch mache. Ich kann auch nicht sagen, daß es zufällig geschieht, weil ich gerade hier in der Nähe bin. Vielmehr ist es so, daß ich eigens hierherkam, um Sie zu sprechen.«
Magdalene Gräfenhan nahm lächelnd den großen Strauß leuchtender Chrysanthemen in Empfang. Sie wunderte sich etwas darüber, daß es keine Rosen waren. Aber die wuchsen jetzt nur noch in Treibhäusern, und er hatte sie hier sicherlich nicht bekommen.
Sörensens Augen blickten zur Tür. Würde Inge jetzt eintreten, würde sie die Blumen nehmen und in eine Vase stellen? Er hatte, als sie draußen vorfuhren, suchend die Fenster angeblickt. Es hätte doch sein können, daß Inge zufällig nach dem vorfahrenden Wagen sah. Aber nichts hatte sich geregt. Wo mochte sie nur sein?
»Setzen Sie sich doch, Dr. Sörensen. Ich freue mich wirklich sehr, daß Sie Ihr Versprechen gehalten haben. Entsinnen Sie sich an unseren Spaziergang durch den nächtlichen Garten? Ich habe oft daran zurückgedacht.«
»Gnädige Frau«, sagte Sörensen, der plötzlich das Gefühl hatte, sofort von sich und Inge sprechen zu müssen, um gleich jede peinliche Situation zu vermeiden, »ich komme in einer ernsten Herzensangelegenheit zu Ihnen. Ich…«
»Dr. Sörensen«, fiel ihm Magdalene ins Wort, »quälen Sie sich nicht, ich weiß doch, was Sie sagen wollen. Sie sind zu mir gekommen, nun braucht es keiner weiteren Worte. Sie sehen mich in einem freudigen Schreck, ich habe nicht zu hoffen gewagt, daß wir beide zu…«
»Doch, gnädige Frau, ich muß sprechen, hören Sie mich an! Ich hoffe, daß ich Ihre Verzeihung erlange, daß Sie Inge und mir verzeihen werden.«
Frau Gräfenhan rührte sich nicht. Was sagte der Mann da? Er kam gar nicht zu ihr, sondern zu Inge? Das war doch nicht möglich! Was sollte Inge denn mit Dr. Sörensen zu schaffen haben, sie kannte ihn doch gar nicht?
Erschüttert sah Sörensen, wie groß die Enttäuschung war, die er dieser Frau hatte bereiten müssen. Was konnte er nur tun, um ihr, ohne sie damit noch mehr zu verletzen, klarzumachen, daß sie sich von Anfang an in einem Irrtum befunden hatte?
»Ich bin es gewesen, den Ihre Tochter beim Baden kennengelernt hat«, sagte er jetzt erklärend. »Wir haben wohl beide vom ersten Tage an gefühlt, daß wir füreinander bestimmt sind. Inge kam dann eines Tages nicht mehr. Bis dahin habe ich nicht einmal gewußt, welchen Namen Ihre Tochter trug, nur durch einen Zufall erfuhr ich diesen. Wir hatten ja kaum miteinander gesprochen und uns nur darüber gefreut, den anderen täglich zur selben Stunde wiederzusehen. Ich war sehr enttäuscht, als ich dann allein blieb.«
Magdalene Gräfenhan atmete heftig. Sie hatte sich nun wieder soweit in der Gewalt, daß sie ihre bittere Enttäuschung wenigstens unterdrücken konnte.
»Sprechen Sie weiter, Dr. Sörensen!«
»Ich danke Ihnen, verehrte gnädige Frau, daß Sie mir so bereitwillig zuhören und, so hoffe ich, auch für meine Handlungsweise Verständnis aufbringen. Ich habe später versucht, Inge hier in Ihrem Haus wiederzusehen. Dem alten Herrn von Dörendorf vertraute ich mich an. Seiner Vermittlung verdanke ich die Einladung zu Ihrem Fest. Am liebsten hätte ich schon an diesem Abend mit Ihnen gesprochen, gnädige Frau. Aber ich wußte ja nicht, ob Inge auch an mir Gefallen gefunden hatte, so wie ich an ihr. Sie hatten dann die große Güte, mich mit Herrn Oberregierungsrat Kammermaier bekannt zu machen.«
»Sie brauchen mir nichts weiter zu sagen, Doktor, ich weiß, daß er nichts für sich behalten kann. Er hat Ihnen von Inge erzählt und warum sie zu meiner Schwester fahren mußte.«
»Ja, gnädige Frau, da ich sowieso auf Birkenhöhe eingeladen war, ergab es sich dann zu meiner großen Freude, daß ich Inge wiedersehen konnte. Gnädige Frau, ich liebe Ihre Tochter. Ich wäre der glücklichste Mensch, wenn Sie mir Inge anvertrauen würden. Ich werde sie stets auf Händen tragen und ihr der beste Mann sein, den man sich denken kann.«
Frau Gräfenhan mußte die Augen schließen. Nun hatte er es gesagt.
Vom ersten Augenblick an hatte er immer nur Inge gemeint. Zu ihr, der Mutter, kam das Glück nicht mehr. Hatte sie denn überhaupt ein Recht, für sich ein neues Liebesglück zu verlangen? Wie leichtfertig war ihre erste Ehe durch sie zerstört worden. Sie hätte geduldiger sein müssen. Heute wußte sie das.
Sie schämte sich plötzlich maßlos.
Eberhard Sörensen wartete auf eine Antwort. Warum sprach Frau Gräfenhan nicht? Endlich hob diese den Kopf.
»Inge ist nicht im Haus. Ich bin ihretwegen in großer Sorge. Sie ist davongelaufen, und ich kann Ihnen nicht einmal den Grund nennen. Irgendein Mißverständnis muß es sein.«
Sörensen war erschrocken aufgestanden.
»Ich habe es geahnt. Wäre ich doch schon vor Tagen hierhergefahren! Sagen Sie mir, wo ich sie finden kann, ich hole sie zurück.«
»Sie ist nach Badenweiler zu ihrem Vater gefahren.«
»Wissen Sie den Namen des Hotels?«
»Ich glaube, Römerbad.«
»Darf ich mich sofort verabschieden, gnädige Frau? Ich werde erst wieder Ruhe finden, wenn ich Inge gesund vor mir sehe.«
Er liebt sie über alles, dachte Frau Gräfenhan resigniert.
»Ich wünsche Ihnen von Herzen eine glückliche und erfolgreiche Reise. Bringen Sie mir meine Tochter wieder. Inge muß Sie sehr liebhaben, ich weiß es jetzt und werde Sie als meinen Schwiegersohn in diesem Haus gern willkommen heißen.«
Eberhard Sörensen neigte sich tief über Magdalenes Hand.
*
Inge war am nächsten Morgen sehr spät aufgewacht. Eilig badete sie und zog sich an. Bestimmt wartete der Vater schon mit dem Frühstück auf