Der Fremde hatte die Arme über die Brust gekreuzt. Das Lächeln um seine Lippen hatte fast etwas Mitleidiges, als er jetzt sagte: »Sie sind ein netter Kerl, Connidge, aber leider etwas zu schrullig!«
»Was –«
Der Fremde sagte hart: »Jetzt rede ich! Was ich Ihnen zu sagen habe, ist –«
Flammende Zornesröte überflutete das Gesicht des Sheriffs. »Sie haben mir gar nichts zu sagen!«
Da geschah es wieder. Und diesmal schien es dem Sheriff noch schneller gegangen zu sein.
Der große Revolver lag wieder in der Linken des Fremden.
»Sie werden mir jetzt zuhören, Connidge! Ich habe keine Zeit, Ihrem Starrsinn nachzulaufen.«
Der Hüter des Gesetzes der Stadt Elk stand wie ein begossener Pudel da und starrte auf den Revolver, hob dann den Blick in die Augen des Fremden, die plötzlich etwas von der Eiseskälte eines zugefrorenen Bergsees zu haben schienen.
»Ich habe heute morgen oben im See einen Mann gefunden«, erklärte der Fremde, während er den Revolver zurück ins Halfter schob. »Er liegt nur ein paar Inches unter der Eisdecke und ist deutlich zu erkennen. Links auf seiner Weste steckt ein Stern.«
Connidge schien plötzlich die letzten Minuten völlig vergessen zu haben. »Ein Sheriff? Heavens! Wo liegt er? Weit von hier?«
»Yeah. Ich habe in kurz nach fünf gefunden. Seitdem bin ich geritten, über Moran hierher.«
»Teufel auch, das ist ja ein gewaltiges Ende! Und das sind Sie seit dem Morgengrauen geritten?« Connidge warf einen Blick durch das Fenster auf die Straße. Als er den Falben sah, putzte er sich geräuschvoll die Nase. »Heavens, welch ein Pferd!« Er ging zur Tür, stieß sie auf und starrte den Falben an. »Damned, das ist der prächtigste Gaul, den ich je gesehen habe! By gosh. Wo ist Ihnen der denn zugelaufen?«
Der Fremde ging auf das enthusiastische Gerede des Sheriffs nicht ein. Statt dessen gab er Connidge einen ausführliche Beschreibung des Toten. Am Schluß sagte er noch einmal: «Er hatte graues Haar, ein dunkles, faltiges Gesicht. Seine Augen waren grau und...«
Connidge wandte sich um. »Kenne ich nicht«, sagte er. »Hören Sie, Mann, was wollen Sie sich wegen eines Toten verrückt machen? Sind Sie ein US-Marshal oder ein Staatenreiter, daß Sie sich um einen Mann kümmern mußten, der im See erfroren ist?«
»Er ist nicht erfroren, Sheriff«, versetzte der Fremde schroff, »er ist erschossen worden.«
»Was?« Wie eine Viper fuhr Connidge zurück. Seine Augen wurden klein und lauernd. »Woher wissen Sie das?«
»Weil er ein Loch in der Jacke hat.«
»Ein Loch in der Jacke! Was besagt das? Jeder kann ein Loch in der Jacke haben. Sehen Sie sich meinen Frack an. Der hat mehr Löcher, als ich Dollars in der Tasche habe.«
»Ich sage Ihnen, daß er erschossen worden ist.«
»Yeah«, knurrte der Sheriff und legte den Kopf auf die Seite. »Sie verstehen ja etwas davon, nicht wahr, Mister.«
»Ja, ich verstehe etwas davon.« Der Fremde hatte plötzlich eine steile Falte auf der Stirn. »Sie kennen den Mann also nicht?« fragte er schroff.
Connidge schüttelte den Kopf. »Nein, ich kenne den Mann nicht, der so aussieht. Und sicher keinen Sheriff. Und da, wo der Tote im Eis liegt, ist McNallys County. Er ist ein wacher Bursche und ständig auf dem Ritt und wird sich um die Sache kümmern...«
Der Falbreiter hatte nicht weiter zugehört. Er war hinunter zu seinem Pferd gegangen, hatte die Zügelleinen wortlos freigemacht und sich in den Sattel gezogen.
Grußlos war er davongeritten.
Das letzte Haus der Stadt war eine Schmiede. In der offenen Werkstatttür stand der Blacksmith und hämmerte auf einem glühenden Eisenstück herum.
Der Fremde ritt an die Schmiede heran. »Hallo!«
Der Schmied hob seinen Kopf. Sein rußiges Gesicht war trotz der Dezemberkälte schweißglänzend.
»Nur eine Frage, Mister. Wo sitzt Sheriff NcNally?«
Der Schmied wischte sich mit dem schwarzbehaarten Unterarm über die Stirn. »Jim McNally?« Ein Lächeln kroch in seine Augenwinkel, dann musterte er den Reiter von oben bis unten. »Ich an Ihrer Stelle würde mich erst gar nicht nach ihm erkundigen, Mann.«
Das Gesicht des Fremden gefror.
Und der Schmied spürte es. Der Blick, der ihn aus den stahlblauen Augen traf, ließ ihn erschaudern. Deshalb beeilte er sich zu erklären: »Nichts für ungut, Mister. Er wohnt oben in Survey...«
Der Schwarzlederne tippte auf den breiten Rand seines schwarzen, flachkronigen Hutes und trabte davon.
Gegen Abend begann es zu schneien.
Der Mann machte nur einmal eine kurze Pause, zündete sich in einer winzigen Talmulde oben am Westrand des Jacksonsees ein kleines Campfeuer an, machte sich Kaffee und verzehrte einen Teil des Proviants, den er noch bei sich hatte.
Kurz vor Morgengrauen sah er dicht am Seeufer, geschützt in einer Einbuchtung der hier nahe ans Wasser herantretenden Felsen liegend, die Stadt vor sich.
Survey.
Die Stadt schlief noch.
Der Fremde ritt in die Mainstreet und machte vor einem im Stein erbauten Haus, das die Aufschrift »Boardinghouse« an der Front trug, halt.
Auf sein Klopfen erhielt er keine Antwort. Statt dessen drang plötzlich ein Geräusch an sein Ohr, das er genau kannte und auf das er zahllose Male in seinem Leben hatte reagieren müssen.
Irgend jemand hatte den Hahn eines Gewehres gespannt.
Der Fremde flog nicht herum, riß nicht seinen Colt aus dem Halfter.
Ganz langsam wandte er sich um.
Drüben, in der Gasse zwischen zwei Häusern, stand ein Mann. Er war mittelgroß, untersetzt, hatte einen vierkantigen Schädel und zu weit auseinanderliegende grünliche Augen.
In der schweren Pelzjacke wirkte er noch massiger als er war. Alles an ihm war breit. Sein Schädel, seine Nase, sein Mund, sein Kinn, seine Schultern, seine Haltung, alles.
Das Gewehr hatte er schußbereit vorm Brustbein liegen.
Unverwandt blickte der Fremde ihn an.
Endlich brach der Mann mit dem Gewehr die Stille. »Nun, Mister, wo fehlt’s?«
»Ich habe da an der Tür des Boardinghouses geklopft.«
»Yeah!«
Der Fremde sah ihn an. »Was wollen Sie mit dem Gewehr?« fragte er gelassen.
»Einem Tramp Beine machen.«
Der Schwarzlederne ging langsam von dem flachen Vorbau auf die Straße. Mit vom Reiten noch steifen Beinen überquerte er die Straße.
Er hielt genau auf den Mann mit der Pelzjacke zu.
Der war ruhig stehengeblieben. Das Gewehr immer so haltend, daß der Lauf auf die Brust des Falbenreiters zeigte.
Der kam näher.
Plötzlich bellte er kehlig: »Bleib stehen!«
Der Fremde ging weiter.
»Du sollst stehen bleiben.«
Sein Gesicht wurde fahl und seine Augen weit. Er wich mit dem Gewehr einen halben Schritt zurück.
Da endlich blieb der Fremde stehen. »Nehmen Sie das Gewehr runter.«
Er hatte es nicht laut gesagt. Auch nicht drohend. Ganz ruhig und sachlich. Und dennoch lag etwas in seiner Stimme, das auch dem rauhen Burschen in der Pelzjacke unter die Haut ging.
»Was soll das?« knurrte