Well, der Schwarzlederne wäre weitergeritten, wenn der Tote nicht auf seiner linken Brust einen blinkenden silbernen Stern getragen hätte.
Der Reiter richtete sich wieder auf und blickte den Toten unter der Eisdecke so gründlich an, prägte sich sein Aussehen so fest ein, daß er es so leicht nicht mehr vergessen konnte.
Es war ein großer Mann, der da lag. Er hatte ein dunkles, hartes Gesicht, und seine starren Augen spiegelten trotz der Bläue des Himmels ein kaltes Schiefergrau wider. Viele scharfe Falten hatten dieses Gesicht gezeichnet. Unter dem schwarzen Hut, der noch fest auf dem Kopf des Toten saß, blickte strähniges Grauhaar hervor. Das blaue Kattunhemd wurde oben am Hals von einem roten Tuch zusammengehalten. Die Fellweste war verwaschen grau und trug links über dem Herzen den Stern. Und genau unter dem Stern war ein fingerdickes schwarzes Loch in der Weste, dessen Ränder dunkelrot gefärbt waren.
Er trug noch seinen Waffengurt, und rechts im abgegriffenen Halfter steckte ein alter Colt vom Kaliber 44.
Ganz klar und deutlich konnte der Reiter den Toten sehen, sein Bild in sich aufnehmen. Die dünne Eisdecke, die sich über ihn zog, ließ ihn wie durch ein Fenster oder eine dünne Wasserschicht erscheinen.
Endlich wandte sich der Schwarzlederne ab, ging zu seinem Pferd und führte es vom Eis. Am Ufer zog er sich in den Sattel, wandte sich um und warf noch einen Blick zurück, nahm dann die Zügel auf und ritt im scharfen Trab am Seeufer entlang nach Osten.
Gegen elf Uhr am Vormittag erreichte er Moran. Eine Kistenholzstadt wie all die anderen in den Middleweststaaten.
Der Reiter trabte durch die breite
Mainstreet und hielt vor dem kleinen Holzbau, der oben ein weit in die Straße hineinhängendes Schild mit der Aufschrift »Sheriffs Office« trug.
Als er die Tür des Sheriff-Büros öffnete, schlug ihm eine dicke, überhitzte, von einem scheußlichen Tabak verdorbene Luft entgegen.
Ein Gesicht, das eine frappierende Ähnlichkeit mit einem Seehund hatte, sah ihm entgegen.
»Morning!«
»Morning!«
Der Seehundskopf senkte sich wieder und vergrub sich in eine alte, vergilbte Gazette.
»Was gibt’s?« kam es hinter der Zeitung hervor.
»Ich suche einen Sheriff...« Und nun beschrieb der Falbreiter den Toten, den er im Eis gefunden hatte.
Der Mann mit dem Seehundschnäuzer schüttelte den struppigen Kopf. Ohne aufzublicken knurrte er: »Kenne ich nicht.«
»Sind Sie hier der Sheriff?«
»Yeah.«
»Haben Sie keinen Deputy?«
»Doch.«
»Und auf den paßt die Beschreibung nicht?«
»Nein.«
»Sie wissen es sicher?«
Unwillig hob sich der Kopf des Seehundmannes. »He, was wollen Sie? Ich werde doch noch Jim Bliff kennen! Er ist seit drei Jahren mein Deputy, mißt eins-sechzig und das auch nur mit doppelten Hacken. – Sonst noch was?«
»Kennen Sie sonst keinen Sternträger in der Umgebung, auf den die Beschreibung paßt?«
»Nein«, unterbrach ihn der Sheriff grob. »Und nun will ich Ihnen was sagen, Mister. Diese Zeitung ist fünf Wochen alt. Zuerst hatte sie der Bankier, weil er sie in Sheridan gekauft hat. Er hat nämlich das meiste Geld.
Yeah, und dann bekam sie der Mayor, weil er eben der Mayor ist. Sie müssen zugeben, daß ich naturgemäß dann an der Reihe gewesen wäre. Aber nichts da, Mister Dull kam mir zuvor und schwatzte sie dem Mayor ab. Ich mußte hinter dem verdammten Krauter herlaufen, und heute morgen, vor knapp einer Stunde erst, habe ich sie gekriegt. Sie werden zugeben, daß ich nun ein heiliges Anrecht darauf habe, sie zu lesen.«
Der Fremde wandte sich ab.
Hart fiel die Tür hinter ihm ins Schloß.
Drüben, schräg gegenüber, war ein Saloon.
Palace-Bar, stand in großen roten Lettern über der Balustrade.
Der Fremde ging auf die Schenke zu.
Es war ein enger, muffiger, schlauchartiger Raum, dessen vier Tische restlos besetzt waren.
Vorn rechts an der Theke lehnte ein halbes Dutzend Männer.
Der Schwarzlederne schob sich zwischen sie und wandte sich an den triefäugigen Keeper. »Mister, ich hätte eine Frage...«
Als er nach einigen Minuten die muffige Schnapshöhle verließ, war er nicht klüger als vorher.
*
Der Reiter hatte sich nach Süden gewandt.
Nur wenige Stunden später, an Nachmittag, ritt er in Elk ein.
Der Reiter hielt auch hier sein Pferd vor dem Office des Mannes an, der in dieser Stadt das Gesetz vertrat.
Jereboam Connidge hatte in den Sezessionskriegen die Zehen beider Füße verloren. Das gab ihm einen etwas sonderbaren Gang. Auch sein linkes Auge war auf »dem Felde der Ehre« geblieben. Aber jeder, der geglaubt hatte, ein Sheriff mit nur einem Auge sei eben kein Sheriff, der hatte sich gründlich geirrt. Connidge war einer der ganz scharfen Sternträger, die der Rinderstaat Wyoming damals hatte.
Als der Fremde jetzt ins Office trat, war Connidge damit beschäftigt, seine Blumen zu gießen.
»Was gibt’s?« fragte er über die Schulter.
Der Falbreiter trug ihm sein Anliegen vor.
»So, Freundchen, du suchst also einen Mann?« Ehe der Fremde noch etwas erwidern konnte, schnarrte der Sheriff: »Ich will dir mal was sagen, Amigo. Du bist hier in Elk. Und in Elk ist Jerry Connidge Sheriff. Was das bedeutet, solltest du wissen. Daß du es nicht weißt, beweist mir deine Quasselei. Du suchst also einen Mann?« Er stemmte die Arme in den Rücken und schob den kleinen Bauch vor. »Sieh mal an, was du nicht sagst! Das ist ja mal was ganz Neues: Eine prächtige Sache, nicht wahr? Vielleicht könnte Nat Buntline eine hübsche Story daraus machen.«
Der Fremde wollte zum Ende kommen und sich erklären, aber Connidge machte eine wegwerfende Handbewegung.
»Ruhe! Jetzt rede ich! Hör zu, Freund, ich habe dir bereits erklärt, daß hier in der Stadt seit einem vollen Jahrhundert Jerry Connidge den Stern trägt. Das bedeutet, daß hier niemand macht, was er will. Schon gar nicht sucht hier jemand einen Mann.
Hier wird kein Mann gesucht. Weil hier keiner ist, den Sie zu suchen haben, Mann. Scheren Sie sich raus, schwingen Sie sich auf Ihren Klepper, und sehen Sie zu, daß Sie einen dicken Fetzen Land zwischen sich und mich bringen.«
»Hören Sie, Sheriff, lassen Sie mich doch wenigstens aussprechen. Ich habe oben im...«
»Was Sie oben haben, Brother, will ich nicht wissen. Sie machen jetzt lange Beine, kriechen auf Ihren Gaul und machen blanke Hufe!«
»Well, Sheriff. Aber daß Sie ein Hammel sind, das möchte ich nicht für mich behalten. So long!«
Die rechte Hand des Mannes zuckte zum Colt. Ehe der Sheriff sein Schießeisen aus dem Halfter hatte, war der Mann drüben an der Tür in einer halben Pirouette herumgefahren; in seiner linken Faust blinkte ein langläufiger, sechskantiger Revolver.
»Aber, Sheriff, Sie wollten mir doch keine Kugel in den Rücken schicken?«
Connidge starrte den Mann verblüfft an.
Endlich öffneten sich seine Lippen. »He, Sie, was war denn das?«
Der Schwarzlederne ließ den übergroßen Revolver mit dem Bügel um den Mittelfinger rotieren, um die Waffe gleich darauf mit einem eleganten Handsalto ins Halfter gleiten zu