Eduard von Keyserling – Gesammelte Werke. Eduard von Keyserling. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Eduard von Keyserling
Издательство: Bookwire
Серия: Gesammelte Werke bei Null Papier
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783962814601
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vor, und Am­bro­si­us mach­te sich mun­ter ans Ru­dern.

      Jen­seits der Er­len­bü­sche ward der Fluss brei­ter, zu bei­den Sei­ten dehn­te sich fla­ches Land aus, ab­ge­mäh­te Wie­sen, hie und da ein Korn­feld, wie ein Stück gel­ber Sei­de, in der Fer­ne ein Dorf, in dem rote Licht­pünkt­chen er­wach­ten. Im­mer mehr wei­te­te der Fluss sich aus. Die Blät­ter der Was­ser­ro­sen bil­de­ten blan­ke In­seln auf dem Was­ser, oder eine Ge­sell­schaft von Schach­tel­hal­men stand bei­ein­an­der – vie­le dün­ne grü­ne Li­ni­en. Das Ge­wir­re der Pflan­zen nahm zu. Was­ser­i­ris, Kal­mus­stau­den, Kol­ben­rohr ge­sell­ten sich zu den Schach­tel­hal­men und Was­ser­ro­sen, der gan­ze Fluss war nur noch ein wei­tes Feld für die­se wun­der­li­chen Hal­me, al­ler­ort spit­ze, zit­tern­de Blät­ter und Sten­gel, weit – weit – bis dort an die Wie­se, die vol­ler Ver­giss­mein­nicht und Ried stand.

      In dem Röh­richt fest­ge­fah­ren, fast ganz von ihm über­deckt, hielt der Kahn; er konn­te nicht wei­ter. Rosa ju­bel­te. Hier war es schön! Nichts als ni­cken­de grü­ne Spit­zen und ein heim­li­ches Flüs­tern. Hin­ter dem schwar­zen Streif des fer­nen Wal­des stieg der Mond auf – über­groß, und dich­te Wol­ken­stri­che leg­ten sich ho­ri­zon­tal über den Him­mel, schmal und rot, wie Mes­ser­sti­che. Vor die­sem ge­walt­sa­men Auf­leuch­ten wur­den die Ster­ne matt und flim­mer­ten ängst­lich.

      »Ganz präch­tig!« be­merk­te Am­bro­si­us. »Hier kann man in des Wor­tes ver­we­gens­ter Be­deu­tung sa­gen: groß­ar­tig.«

      Schön war es, und den­noch mach­te es das Herz schwer. Rosa lehn­te ih­ren Kopf an Am­bro­si­us’ Schul­ter und blick­te stumm den fort­flat­tern­den En­ten nach. Als Am­bro­si­us sich räus­per­te, um eine Rede zu hal­ten, leg­te sie ihm die Hand auf den Mund. Schwei­gen woll­te sie; da­sit­zen und zu­se­hen, wie der Mond lang­sam den Him­mel hin­auf­stieg, wie die Nacht sich über das Land brei­te­te, wie die Spit­zen des Rohrs dun­kel und re­gungs­los wur­den; lau­schen woll­te sie den Tö­nen rings­um, dem Gur­geln des Was­sers, dem schläf­ri­gen Sings­ang des Erd­kreb­ses, lau­schen und nichts den­ken. Jen­seits die­ser stil­len, ver­träum­ten Welt lag et­was Har­tes, Schmerz­haf­tes, an das Rosa nicht den­ken moch­te. Im­mer hät­te sie so da­sit­zen mö­gen, zu­ge­deckt von grü­nen Hal­men, ein­ge­schlä­fert vom halb­lau­ten Spre­chen der Som­mer­nacht.

      Am­bro­si­us hat­te den Arm um die Schul­tern sei­ner Ge­lieb­ten ge­legt. Der Mond, die schö­ne Nacht be­geis­ter­ten ihn und mach­ten ihn zärt­lich; der star­ke Duft der Was­ser­pflan­zen, die grü­ne Däm­me­rung, in die das Schilf den Kahn hüll­te wie grü­ne Vor­hän­ge ein Ehe­bett, das heim­li­che Rau­schen, das wie heim­li­ches Küs­sen, wie ab­ge­ris­se­ne Lau­te ei­nes lüs­ter­nen Ge­heim­nis­ses klang. All die­ses stieg ihm zu Kopf, er­hitz­te sein Blut. Mit hei­ßen Lip­pen und zit­tern­den Hän­den tas­te­te er an dem Mäd­chen hin. Rosa wehr­te ihn ru­hig ab. »Still!« sag­te sie. »Sieh, Amby, du musst das nicht tun. Sie sol­len nicht recht be­hal­ten. Wenn du wüss­test, wie trau­rig ich bin, wie sehr ich mich vor mor­gen, vor Lan­ins, vor al­lem fürch­te, du wür­dest nicht sol­che Dumm­hei­ten ma­chen. Weißt du, wir müs­sen fort, ganz fort­ge­hen, dann tue ich al­les, was du willst. Aber zu­erst fort; wir bei­de ganz al­lein. Du hei­ra­test mich schnell, und wir ge­hen in eine große Stadt, wo du Dich­ter wer­den kannst. Nicht wahr?«

      »Ja«, er­wi­der­te Am­bro­si­us ein we­nig be­trof­fen.

      »Mor­gen schon kommst du zu uns und sprichst mit Papa«, fuhr Rosa eif­rig fort. Die­ses Mäd­chen­hirn, mit sei­ner Vir­tuo­si­tät im Träu­men und Plä­ne­schmie­den, hat­te sich be­reits al­les zu­recht­ge­legt. Lan­ins soll­ten se­hen, dass sie nicht tief un­ter Am­bro­si­us stand; ge­ach­tet, reich und glück­lich woll­te sie sein.

      Am­bro­si­us nahm die­se Er­öff­nun­gen mit Un­be­ha­gen ent­ge­gen. Es ging ihm durch den Sinn, dass er die­se Sa­che an­ders auf­ge­fasst habe, als Rosa sie zu neh­men schi­en. Er sah Schwie­rig­kei­ten, Streit, al­ler­hand Wi­der­wär­tig­kei­ten dar­aus ent­ste­hen. Aber das schö­ne Mäd­chen an sei­ner Sei­te er­reg­te zu sehr sei­ne Sin­ne, er fühl­te sich wie im Rausch, und wie im Rausch er­schi­en ihm je­des Hin­der­nis klein und je­des Un­ter­neh­men aus­führ­bar. Um Rosa zu be­sit­zen, konn­te er al­les tun, das war sein ein­zi­ger kla­rer Ge­dan­ke. »Ja – wenn du denkst«, sag­te er lei­se. Er hät­te zu al­lem ja ge­sagt.

      »Wir wol­len uns sehr – sehr lieb­ha­ben«, ver­setz­te Rosa fei­er­lich. Am­bro­si­us tat ihr leid; wie be­trübt er da­saß, mit sei­nen ro­ten Wan­gen und hei­ßen Hän­den.

      »Du darfst nicht trau­rig sein«, trös­te­te sie ihn und küss­te müt­ter­lich sei­ne Stir­ne, dann mahn­te sie zur Heim­fahrt.

      Müh­sam muss­te der Kahn sich aus dem Ge­strüpp hin­aus­ar­bei­ten. Wie har­te, kal­te Fin­ger schlug das Schilf an Ro­sas Ge­sicht und ba­de­te es in Tau. Im Fah­ren pflück­te sie Was­ser­ro­sen, die schwer von Trop­fen wa­ren, und wenn Rosa ihre Hand in das Was­ser tauch­te, mit­ten in die Pflan­zen­de­cke hin­ein, er­schrak sie, denn die schlüpf­ri­gen Wur­zeln wa­ren weich und lau wie Men­schen­hän­de.

      Mit großem Kraft­auf­wand muss­te Am­bro­si­us ge­gen den Strom ru­dern, und er ver­rich­te­te sei­ne Ar­beit schwei­gend und in­grim­mig. Plötz­lich schau­te er auf und sag­te: »Du meinst also, wir sol­len fort?«

      »O ja, weit fort!«

      »Gut.«

      Rosa lä­chel­te; ge­wiss, sie woll­te noch sehr glück­lich wer­den.

      Fünfzehntes Kapitel

      Die Mor­gen­son­ne brann­te un­er­bitt­lich auf das un­re­gel­mä­ßi­ge Pflas­ter der Schul­stra­ße nie­der, auf die grau­en Lat­ten der Zäu­ne, auf die kläg­lich be­stäub­ten Baum­zwei­ge, die aus den Gär­ten auf die Stra­ße nie­der­zu­lan­gen wag­ten. So ein­sam, so drückend schwül wie heu­te war die­se Stra­ße Rosa noch nie er­schie­nen. Müde die Schul­ta­sche hin und her schwen­kend, ging Rosa auf das Schul­ge­bäu­de zu. Es war ein schwe­rer Gang! Die­ses rote Haus mit den grü­nen Fens­ter­lä­den, den her­ab­ge­las­se­nen Vor­hän­gen, den tin­te­be­fleck­ten Pa­pier­fet­zen, die sich auf den Trep­pen­stu­fen her­um­trie­ben, es er­füll­te sie mit Wi­der­wil­len und Ban­gen. Wann war es? Wie lan­ge war sie nicht dort ge­we­sen? Sie rech­ne­te nach. Un­mög­lich! Nur drei Tage? Es schi­en ihr eine Ewig­keit zu sein. In die­sen drei Ta­gen war aus der aus­ge­las­sens­ten Schank­schen Schü­le­rin ein sehr erns­tes Mäd­chen ge­wor­den, das die wun­der­lichs­ten Plä­ne und ein schwe­res Herz mit sich her­um­trug.

      An der Trep­pe zö­ger­te Rosa. Eine klei­ne rote Hand schob den Vor­hang zu­rück, zwei brau­ne Au­gen schau­ten her­aus, ver­schwan­den wie­der, und gleich dar­auf reg­ten sich alle Vor­hän­ge, und hin­ter al­len späh­ten neu­gie­ri­ge Mäd­chen­au­gen her­vor. »Wa­rum tun sie so ängst­lich?« frag­te sich Rosa, »soll­te Fräu­lein Schank schon da sein?« – Sie trat in das Schul­zim­mer. Die Mäd­chen stan­den in Grup­pen an den Fens­tern oder sa­ßen auf den Bän­ken und Ti­schen bei­ein­an­der. Rosa sah es den Stel­lun­gen und Mie­nen so­fort an, dass et­was In­ter­essan­tes vor­ge­fal­len war. So pfleg­te es in der Schul­stu­be aus­zu­se­hen, wenn ir­gend­ein Er­eig­nis die Mäd­chen­köp­fe er­hitz­te. Jetzt herrsch­te tie­fe Stil­le, alle Au­gen rich­te­ten sich auf Rosa, und in die­sen neu­gie­ri­gen,