Wenn die Träume laufen lernen 1: IBIZA. Gabriele Ketterl. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Gabriele Ketterl
Издательство: Bookwire
Серия: Wenn die Träume laufen lernen
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783958694057
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meine malträtierten Füße. Dann setzte er sich neben mich, zog ein sauberes Taschentuch aus der Hose und beugte sich zu mir. »Sieh mich an.«

      »Das willst du nicht sehen.«

      »Überlass mir, was ich sehen will.« Unbeeindruckt von meiner Gegenwehr hob er meinen Kopf an. »Cara, ich will doch nur, dass du endlich erkennst, was wirklich in dir steckt. Los, putz dir die Nase und dann hab ich eine Überraschung für dich.«

      »Mag nicht.« Ich biss mir auf die Zunge. War ich jetzt vollkommen verblödet?

      Ihn störte das offenbar nicht. Ohne viel Federlesen hielt er mir das Tuch an die Nase. »Nun mach schon.«

      Da ließ ich mir von einem Mann, den ich bis vor vier Tagen noch nicht einmal gekannt hatte, die Nase putzen. Ich musste übergeschnappt sein. Lange grübeln konnte ich nicht. Carlos stand auf und nahm mich kurzerhand auf die Arme.

      »Sekunde, du willst mich doch jetzt nicht tragen, oder?« Ich musterte ihn vollkommen entgeistert.

      »Das siehst du doch.«

      Er trug mich durch den Seiteneingang des Proberaumes hinaus zu den Jeeps, öffnete mit einem Fuß gekonnt eine Beifahrertür und setzte mich auf dem Sitz ab. »Ich zeig dir was, das dir sicherlich gefallen wird.«

      Ich machte mich so klein wie irgend möglich. Die ganze Sache war mir unfassbar unangenehm und ich argwöhnte schon, dass dies eine Art Abschied werden sollte.

      Weit gefehlt. Carlos fuhr mit mir zu einem abgelegenen Strand, an dem nur ein paar Canarios in die gewaltigen Brecher sprangen.

      »Ich geh aber nicht schwimmen, das sag ich dir gleich. Es sei denn, du willst mich ertränken, was ich durchaus verstehen könnte. Dann wäre dein Problem gelöst und du hättest mich von der Backe.«

      Er schüttelte nur leicht den Kopf und sah mich vorwurfsvoll an. »Was denkst du eigentlich von mir. Ist das der Eindruck, den du von mir hast?« Carlos setzte sich auf eine der strandnahen Klippen und zog mich auf seinen Schoß. »Ich zeige dir heute den schönsten Sonnenuntergang der Insel, den hast du dir wahrlich verdient.«

      Und tatsächlich versank wenige Minuten später die Sonne hinter den Bergen und tauchte den schwarzen Strand in ein rotgoldenes Licht. Es war traumhaft schön. So schön, dass ich um ein Haar vergaß, dass ich auf Carlos‹ Schoß saß, ungeschminkt und wahrscheinlich noch immer etwas verheult.

      »Gefällt es dir? »

      Ich nickte leicht und fand endlich meine Stimme wieder. »Ja, sehr schön, vielen Dank.«

      »Warte kurz hier. Nicht weglaufen.«

      »Sehr witzig. Aber nein, es ist viel zu toll. Wo willst du hin?« Er blieb mir die Antwort schuldig.

      Carlos holte von einer kleinen Bodega Tapas, Orangensaft und ein paar der leckeren spanischen Vanillekekse.

      Während wir schweigend aßen, musterte er mich fortwährend. Ich wagte nicht, den Mund aufzumachen. Ich wollte weder diese spezielle Stimmung zerstören noch das hören, von dem ich fürchtete, dass er es sagen könnte. Nämlich, dass ich meine Koffer packen sollte und zurück nach Deutschland fliegen. Endlich begann er zu reden.

      »Cara, du musst lernen, an dich zu glauben. Denn das tust du nicht. Die wahre Cara versteckt sich hinter Sarkasmus und Scherzen auf deine eigenen Kosten. Hör auf damit. Das hast du nicht nötig. In den letzten Tagen hast du enorme Fortschritte gemacht. Ich werde ab heute ein Auge auf dich haben.« Ich hörte ein leises Glucksen. »In jeder Beziehung.«

      Carlos hielt mir seine Saftflasche entgegen. »Na komm, einen Toast auf eine Freundschaft, von der ich mir sicher bin, dass sie eine ganz besondere wird. »

      Den nächsten Tag durfte ich mich vom Training ausruhen und wurde dafür von Silvie und Jaime mit Beschlag belegt. Jaime arbeitete mich in den organisatorischen Ablauf ein, Silvie zeigte mir, wie die Pläne für die Animation aufgestellt wurden. Ich gab mir große Mühe und tatsächlich behielt ich nicht nur alles, ich schaffte es auch, mit Silvies Hilfe den Plan für die nächste Woche zusammenzustellen.

      Kaum war ich fertig, entführte Silvie mich zur Kinderbetreuung. »Auch das musst du im Notfall können. Wenn eine der Kinderanimateurinnen krank ist, müssen wir einspringen.« Silvie verzog gequält den Mund. »Du wirst eines schnell lernen: Wer nervt, sind nie die Kinder, es sind fast immer die Eltern. Mit den Knirpsen kommt man gut zurecht.«

      Hier traf ich die Italienerin Roberta sowie Lise, die aus Holland kam, zum ersten Mal, da sie mit den Kindern am Strand gewesen waren, als ich mich dem Team vorgestellt hatte. Beide Frauen erwiesen sich als ausgesprochen sympathisch und liebten ihren Job.

      »Kinder sind einfach klasse, die Erwachsenen sind eher nicht so mein Ding.«

      Schon nach den wenigen Tagen im Club wusste ich genau, wovon Roberta sprach.

      An diesem Abend half ich zum ersten Mal an der Rezeption des Costa Azul aus, da ich für die Show noch untauglich war. Silvio freute sich über die Unterstützung, noch dazu, da für den nächsten Tag eine sehr große Gruppe erwartet wurde und noch viel vorbereitet werden musste. Wir arbeiteten fröhlich plaudernd vor uns hin, bis langsam das Ende in Sicht kam. Ich füllte den letzten Gästebogen aus und legte ihn samt Schlüssel in das passende Fach. Mein Blick fiel auf die Uhr im Rezeptionsbereich. »Schon so spät. Ob ich es noch schaffe, einen Teil der Show zu sehen? Heute hat Carlos doch seinen großen Auftritt in der Flamencotruppe.«

      »Aha, Carlos.« Silvio verdrehte theatralisch die Augen.

      Ich verstand nicht ganz. »Was genau meinst du mit: Aha, Carlos?«

      Silvio zupfte nervös an seiner blauen Clubkrawatte herum. »Na ja, nichts Bestimmtes. War nur so klar, dass du auch sofort auf ihn abfährst.«

      Aber sonst ging es ihm gut? Ich holte tief Luft. »Moment mal. Ich fahr hier auf niemanden ab, auch nicht auf Carlos. Wie kommst du denn bitte auf die schräge Idee?«

      Schulterzuckend lehnte er sich an den Tresen. »Das bietet sich doch an. Er sieht ja auch wirklich gut aus, das muss ich ihm lassen. Abgesehen davon ist er ein hervorragender Tänzer und seinen Job macht er auch prima. Seit er hier ist, sind die Shows der Hammer.«

      Ich versuchte mich an einem gelangweilten Blick. »Ich weiß noch immer nicht, worauf du letztendlich hinauswillst.«

      Silvio seufzte herzerweichend. »Caroline, bitte, du bist ein kluger Kopf und weißt sehr gut, was ich meine. Jede Frau auf diesem Gelände, ob Angestellte oder Gast, fällt jedes Mal beinahe in Ohnmacht, wenn Carlos am Horizont auftaucht. Ich denke einfach, du solltest wissen, dass er alles poppt, was nicht bei Drei auf der nächsten Palme ist. Der Kerl ist nichts für eine Beziehung. Ich will nur nicht, dass du nachher sagst, niemand hätte dich vor ihm gewarnt.«

      Gut, hier musste ich dringend für klare Verhältnisse sorgen. »Silvio, ich habe nicht im Geringsten das Bedürfnis, mich in eine wie auch immer geartete Beziehung zu stürzen, okay? Ich habe wirklich genug mit mir selbst zu tun. Das was ich hier tue, das will ich gut machen. Falsch! Das muss ich gut machen, das bin ich mir schuldig. Ich bin Carlos einfach nur dankbar, dass er so geduldig mit mir arbeitet und mir dabei hilft, voranzukommen. Du musst wissen, ich bin eine bekennende Bewegungs-Legasthenikerin. Wer denkt, aus mir eine Tänzerin zu machen, der muss schon sehr viel Vertrauen haben.«

      Ich wandte mich zu einem Ehepaar um, das an den Tresen kam, um seinen Schlüssel abzuholen. Es bekam den Schlüssel und ein paar Tipps für Ausflüge in die Berge samt kanarischen Lokalen. Als die zwei sich verabschiedeten, nickte Silvio mir zu.

      »Das machts du ziemlich professionell.«

      Ich nickte erleichtert. »Für irgendwas muss meine Ausbildung ja gut gewesen sein.«

      An diesem Abend schlenderte ich sehr nachdenklich zurück zu unserem Studio. Auf dem Weg vernahm ich die Klänge einer Gitarre und blieb stehen. Ich warf einem Blick auf meine Armbanduhr. Kurz vor Mitternacht. Lief die Show etwa doch noch? Neugierig spähte ich um die Ecke des gemauerten Amphitheaters des Clubs. Nein, das war nicht mehr die Show. Die Gäste waren weg,