Wenn die Träume laufen lernen 1: IBIZA. Gabriele Ketterl. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Gabriele Ketterl
Издательство: Bookwire
Серия: Wenn die Träume laufen lernen
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783958694057
Скачать книгу
man den Atlantik, der in unterschiedlichsten Blautönen glänzte und glitzerte. Weiße Schaumkronen tanzten auf den Wellen, während sich im Norden das eindrucksvolle Bergmassiv des Pico del Teide auftürmte. Ich spürte, dass Carlos mich offenbar sehr interessiert musterte. Dann erklang seine Stimme, in der eindeutig ein Lächeln mitschwang. »Ah, jetzt.«

      Ich brauchte eine Weile, ehe ich begriff, dass das mir gegolten hatte.

      »Wie, jetzt

      Er lächelte, streckte eine Hand aus und strich mir eine Haarsträhne hinter mein Ohr.

      »Jetzt bist du angekommen. Willkommen zuhause, Caroline.«

      »Cara, einfach nur Cara.« Die Bemerkung war mir entschlüpft, ehe ich mir der Zweideutigkeit bewusst wurde. Cara hieß auf Spanisch ja nun einmal meine Liebe.

      Sein Lächeln war eine Unverschämtheit. »Das auch, sehr gerne sogar.«

      Ich zog eine – hoffentlich – tadelnde Grimasse. »Nicht das Cara. Mich nennt eben jeder nur Cara, nicht Caroline.«

      »Was habe ich denn deiner Meinung nach gerade gedacht?«

      Seufzend war ich tiefer in meinen Sitz gerutscht. »Ich sag jetzt gar nichts mehr, ehe ich mich um Kopf und Kragen rede.«

      Er lag schon richtig. Ich war zuhause.

      Der Empfang im Costa Azul, etwas außerhalb von Puerto de la Cruz direkt an den Klippen gelegen, war sehr herzlich. Jaime begleitete mich in den Proberaum des Teams, wo bereits alle mit neugierigen Blicken auf uns warteten. Hier sah ich die meisten von ihnen zum ersten Mal.

      Ich kannte nur Fernando von meinem letzten, noch privaten, Aufenthalt. Wie ich erfuhr, war Carlos seinerzeit noch im Süden der Insel gewesen, um die Crew in Playa de las Americas auf Vordermann zu bringen. Schade eigentlich. Jaime stellte mich als neues Crewmitglied vor und ich wurde sofort zehn Zentimeter kleiner. Die Mädchen waren bildhübsch und warteten mit tollen Figuren auf. Die Jungs sahen fast alle aus wie aus einem Modemagazin, groß, muskulös und verflixt attraktiv. Ich lernte Andy kennen, der sich als technisches Mädchen für alles vorstellte und mich ein wenig an Sweet-Sänger Brian Connolly erinnerte. Mit Oliver, dem Poolguard aus Frankreich, und José, dem Rettungsschwimmer, ging es weiter. Irgendwann surrte mir der Kopf und ich hatte die Hälfte aller Namen wieder vergessen.

      Silvie, die bis dahin Alleinregentin über ein geräumiges Studio gewesen war, bekam mich kurzerhand als Mitbewohnerin zugeteilt.

      Ich hatte in diesem Moment vor allem eines: Angst.

      Wie sollte ich mit diesen durchtrainierten und eleganten Wesen mithalten können? Ich stolperte ja schon bei normalem Discofox über meine eigenen Füße. Langsam beschlich mich die Furcht, ich könnte diese Aktion doch ein wenig unterschätzt haben. Mist! Kaum wagte ich den ersten Schritt in eine selbstbestimmte Zukunft, zack, schon steckte ich im Schlamassel.

      Als hätte Jaime meine Gedanken gelesen, wandte er sich mir nach der Vorstellungsrunde zu. »Caroline, du bist nicht nur neu, du kennst auch die aktuelle Show nicht. Ich denke, es ist das Beste, wenn Carlos dich so schnell wie möglich unter seine Fittiche nimmt und mit dir trainiert.«

      Ich wurde noch kleiner. Super! Nun musste der Arme schon wieder für mich Kindermädchen spielen. Leider war Jaime aber noch nicht fertig. »Carlos ist Perfektionist. Der hat dich sehr schnell da, wo du sein musst, um in der Show mitmachen zu können.«

      Perfektionist? O Gott, das wurde ja immer schlimmer. Ich kam nicht dazu, weiter über meine Situation nachzugrübeln. Carlos warf einen Blick auf die über dem Eingang hängende Uhr.

      »Na dann, liebe Cara. Lass uns keine Zeit vergeuden. Wir sehen uns in einer halben Stunde hier. Turnschuhe und bequeme Sportkleidung hast du dabei?« Ich nickte zaghaft. Zu einer Antwort sah ich mich nicht in der Lage. Ich würde mich bis auf die Knochen blamieren, so viel war sicher.

      Silvie, die von meinen wirren Überlegungen nichts mitbekam, ergriff meine Hand und zog mich mit sich. »Komm, ich zeig dir dein zukünftiges Zuhause. Dann kannst du dich auch gleich umziehen.«

      Okay, hier wurde nicht lange gefackelt.

      Eine gute halbe Stunde später stand ich in weißem Shirt, rosa Jogginghose und meinen Sportschuhen vor dem Proberaum. Von drinnen erklang bereits laute Musik. In diesem Augenblick allerdings übertönte mein wummernder Herzschlag alles andere, zumindest für meine Ohren. Auf mein Klopfen reagierte niemand, also trat ich ein.

      Carlos tanzte in engem Shirt, Jeans und barfuß zu einem spanischen Lied durch den Raum. Das sah so leicht, so elegant und gekonnt aus, dass ich am liebsten sofort umgekehrt wäre.

      Dummerweise erblickte er mich sofort. »Gut, da bist du ja. Dann können wir gleich anfangen. Hattest du schon einmal Tanzunterricht?«

      Ja, den hatte ich gehabt. Ganze drei Stunden, bis ich die Frotzeleien der anderen nicht mehr ertragen konnte und die letzten sieben Stunden schwänzte.

      »Nicht so richtig.« Ich knetete meine Hände und wich seinem fragenden Blick so gut wie möglich aus. »Ich bin nicht so die Ginger Rogers. Mir mangelt es an Grazie.«

      Er schwieg eine gefühlte Ewigkeit. »Sag mal, kann es sein, dass du dir nicht allzu viel zutraust?«

      »Erfahrungswerte«, brummelte ich in meinen nicht vorhandenen Bart.

      »Das lass bitte mich beurteilen. Du willst bei uns mitmachen? Dann musst du zeigen, was in dir steckt.«

      Genau da lag mein Problem. »Tänzerisch ist das wohl nicht so viel.«

      »Wir werden sehen.« Er ging zu der Stereoanlage, aus deren Boxen noch immer spanische Klänge ertönten. Sein Blick glitt über einen Stapel mit Schallplatten. »Ah, da ist es. Du stellst dich neben mich und tust exakt das, was ich tue, okay?«

      Ich mochte seinen Optimismus.

      Carlos legte eine alte Nummer von Elvis auf und stellte sich in Position.

      »Komm, es geht los.«

      Und ich musste tanzen. Nein, nicht frei durch den Raum schweben oder so. Ich musste Schritte lernen, immer und immer wieder. Aus Minuten wurden Stunden, aus Stunden Tage.

      Nach drei Tagen war ich körperlich und nervlich am Ende. Zwar begannen meine Füße langsam damit, das zu tun, was von ihnen erwartet wurde, nur drohte nach den Anstrengungen mein Körper zu versagen. An diesem Nachmittag hatte Carlos mich bereits vier Stunden durch den Raum gehetzt. Inzwischen kannte ich jede Bodendiele. Nicht vom Tanzen, vom Hinfallen! Meine Füße taten so weh, dass mir übel war. Trotzdem kam es mir nicht in den Sinn, mich zu beklagen. Schließlich hatte ich es so gewollt.

      Nach einer weiteren halben Stunde Bee Gees knickten meine Knie ein, einfach so. Ich schaffte es nicht mehr, mich aufzurichten. Mein ganzer Körper bestand nur noch aus Schmerzen. Die Tränen liefen mir in Strömen über die Wangen und ich verbarg mein Gesicht in den Händen.

      Die Musik verstummte und rasche Schritte näherten sich mir.

      »Cara! Nimm die Hände weg, bitte!«

      »Nein. Ich schäme mich so.«

      Sanft legten sich seine Finger über die meinen. »Wieso solltest du dich schämen? Du arbeitest wie eine Wahnsinnige, du tust dein Möglichstes, und das ist bewundernswert. Komm, steh auf, ich helfe dir.«

      Ich schüttelte den Kopf. »Ich kann nicht. Es tut so weh.«

      »Was tut weh?« Carlos‹ Stimme klang besorgt.

      »Meine Füße. Und meine Beine auch, ich kann sie nicht mehr bewegen.«

      Carlos half mir, mich zu setzen. Dann zog er mir vorsichtig meine Turnschuhe und Socken aus. »Mein Gott, Cara, warum sagst du denn nichts? Das müssen ja tierische Schmerzen sein. Ich helfe dir, warte.« Er stand auf und verschwand.

      Langsam ließ ich meine Hände sinken und riskierte einen Blick auf meine Füße. Die Zehen waren dunkel von verkrustetem Blut und an beiden Fersen prangten dicke Blutblasen. Oha, das sah ja noch schlimmer aus,