Wenn die Träume laufen lernen 1: IBIZA. Gabriele Ketterl. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Gabriele Ketterl
Издательство: Bookwire
Серия: Wenn die Träume laufen lernen
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783958694057
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bitte.«

      Sie eilte geschäftig von dannen und mir graute es. Sommerkleider und ich, das passte nicht zusammen. Allzu gut erinnerte ich mich an den charmanten Kommentar meiner Mutter: Kind, du bist einfach der Typ für elegante Hosenanzüge. Deine Beine und dein Hintern sehen in Röcken wirklich nicht gut aus.

      Viel grübeln konnte ich nicht, denn die Verkäuferin kam mit einem bodenlangen Traum in Pink und Weiß zurück.

      Carlos war sichtlich angetan. »Schön, das probierst du bitte an.«

      Gut, er würde ja dann sehen, was er davon hatte. Mit zusammengekniffenen Lippen schnappte ich mir das Kleid und verschwand in der Umkleidekabine. Es passte wie angegossen. Die weißen Träger gingen an der Brust langsam in Rosé über. Ich schnürte das Oberteil, so gut ich konnte, und rückte meinen Busen zurecht. Ab der Taille fiel das Kleid weit und fließend bis zum Boden. Der Farbton wurde zunehmend kräftiger und war am Saum richtig schön knallig pink. Ich drehte mich unentschlossen vor dem kleinen Spiegel. Es half alles nichts, wenn ich mich ganz sehen wollte, musste ich aus der Kabine und vor den großen Spiegel. Unsicher schob ich den Vorhang zur Seite und trat in den Verkaufsraum. Die Verkäuferin klatschte begeistert in die Hände. »Ich wusste, dass es dir perfekt stehen wird. Das Kleid ist wie für dich gemacht.«

      Carlos, der an einem Kleiderständer diverse Oberteile betrachtete, drehte sich zu mir um. Seinen Gesichtsausdruck zu deuten war nicht schwer. Er strahlte und begutachtete mich eingehend von Kopf bis Fuß, sagte allerdings kein Wort. Nicht gut für mein Ego, gar nicht gut.

      »Carlos, was meinst du? Soll ich es lieber wieder ausziehen?«

      Er schüttelte nur den Kopf, kam auf mich zu, fasste mich an den Schultern und schob mich vor den Spiegel. »Sieh dich an. Du bist wunderschön, meine Prinzessin. Verstehst du denn immer noch nicht, was da für eine wunderbare Frau in dir steckt? Lass sie heraus, ich bitte dich.« Es schien ihm egal zu sein, dass die Dame uns mit großen Augen und offenstehendem Mund beobachtete. Er drehte mich zu sich herum und legte seine Hände an meine Wangen. »Ab heute bitte ich mir Selbstbewusstsein aus, hast du mich verstanden? Ich will, dass du an dich glaubst, auf dich und dein Können vertraust. Ich will die starke Cara sehen, die du bist, auch wenn du es noch immer nicht zu glauben scheinst. Ich bin so stolz auf dich. Ich lasse dich ab sofort nicht mehr aus den Augen.« Er küsste mich auf die Stirn. »Du und ich, wir werden ein Dream Team, hast du verstanden? Und du wirst nie wieder allein sein. Versprochen.«

      Er sollte Recht behalten.

      

      

      

      

      

      

      

      

      

      

      

      

      

      

      

      

      

      

      

      

      

      

       Club Costa Azul, Teneriffa, Dezember 1985

      Uns war allen etwas mulmig, als Jaime die komplette Crew an einem kühlen Wintertag – wobei 22 Grad nicht unbedingt als Winter durchgehen – in den Proberaum beorderte. Ich ahnte, dass Carlos wusste, worum es ging, der aber schwieg eisern. In Windeseile gingen wir die letzten Tage und Wochen durch, fanden aber nichts, was wir angestellt haben könnten.

      Mit uns waren vier Fremde im Raum, die uns skeptisch musterten, drei Männer und eine aparte junge Frau mit dunklem Pagenkopf. Ehe wir uns einander vorstellen konnten, eilte Jaime in den Raum und bat um Ruhe. »Leute, ich hoffe, ich habe euch nicht allzu sehr erschreckt. Keine Angst, das wird weder eine Standpauke – auch wenn ich da wohl so zwei, drei Gründe finden könnte, nicht wahr, Fernando? – noch sonst etwas Tragisches. Ich glaube sogar, dass ihr euch freuen werdet. Ihr seid das beste Team, das ich seit Jahren hier erleben durfte. Ich muss zugeben, ich bin wirklich stolz auf euch. Jetzt aber heißt es, bald für eine Weile Abschied voneinander zu nehmen.« Jaime bemerkte wohl sofort, dass der letzte Satz uns beunruhigte. »Ich sagte eine Weile, also eine Sommersaison. Ihr macht noch bis März hier weiter, dann aber geht ihr als Team in den Club in Santa Eulalia auf Ibiza. Die Crew dort ist sehr gut, macht das aber seit inzwischen vier Jahren. Wir brauchen frischen Wind. Leon, der Chef, freut sich schon sehr auf euch.« Er wandte sich um und bat die Neuankömmlinge freundlich, näherzukommen. »Und damit auch die dortige Surf- und Segelschule in gute Hände kommt, darf ich euch Clive, seine Frau Kristen und ihr Team aus Neuseeland vorstellen. Sie waren ein Jahr im Süden im Einsatz, im Club von Playa de las Americas.«

      Clive, ein großer, durchtrainierter Kerl mit weißblondem Haarschopf und Dreitagebart, musterte uns freundlich der Reihe nach und nickte uns zu. Dann stellte er uns Tim, den Jungen mit hellblonden Korkenzieherlocken und Neill, einen besonnen wirkenden Mann mit rotblonder Mähne und verwilderten Piratenbart vor. Wir wussten sofort, dass wir uns gut verstehen würden, auch wenn Clive eher von der wortkargen Sorte war.

      Jaime ließ uns etwas Zeit, ehe er den Faden wieder aufnahm. »Ibiza ist anders als Teneriffa. Verrückter, vom Publikum her anspruchsvoller, da die Leute mit hohen Erwartungen auf die Partyinsel kommen. Ich weiß, ihr werdet euer Bestes geben. Und vertraut mir, Ibiza hat seinen ganz eigenen Zauber.«

      Wie wahr!

      Drei Jahre später

       Strand von Santa Eulalia, Ibiza, 1988

      »Woran denkst du?«

      »Wer, ich?«

      »Nein, Pablo. Natürlich du.«

      Carlos‹ Mund war direkt neben meinem Ohr und ich spürte seinen warmen Atem an meinem Hals.

      »Ich musste an den Tag denken, an dem du mich vor über drei Jahren vom Flughafen abgeholt hast.«

      Ich hörte sein leises Lachen. »Ob du es glaubst oder nicht, aber daran denke ich auch oft. Ich war hundemüde und total angenervt, weil Jaime mich geschickt hat und nicht jemanden vom Empfang oder einen der Securitys. Kindermädchen für ein neues Teammitglied und so. Und dann habe ich dich gesehen und mein Leben war nie wieder wie zuvor.«

      Ich brachte meinen Mund nahe an sein Ohr. »Übertreib es nicht.«

      »Dios mío!! Was habt ihr denn schon wieder für Geheimnisse?«

      »Etwas, das du wohl nie verstehen wirst. Kümmere du dich lieber darum, die nächsten Tage zu überleben.« Carlos schätzte es nicht besonders, unterbrochen zu werden.

      Fernando bearbeitete weiter Robertas Lockenpracht. »Ja, dann werde ich wohl doch die entzückende, kleine Norwegerin klarmachen müssen.«

      Im nächsten Augenblick zuckte Carlos leicht zusammen und auch Fernando sah erschrocken zu mir herüber. Wohl vor allem, weil Roberta ihm einen Hieb auf den Oberschenkel verpasst hatte, der nicht zu verachten war.

      Ich hob genervt die Arme und ließ sie zurück auf Carlos‹ Oberschenkel fallen. »Leute, ganz im Ernst. Das wird langsam lächerlich. Nur weil ich durch einen dummen Zufall letzten Januar in den Genuss gekommen bin, dabei zuzusehen, wie mein vollkommen bescheuerter und mittlerweile Ex-Freund seine Zunge bis zum Anschlag im Hals einer minderjährigen Norwegerin versenkt, müsst ihr das Land nicht von der Weltkarte streichen, klar? Ich meine, es gibt Schlimmeres, als beobachten


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