Prompt mischte sich Enttäuschung in die Stimme. »Na gut, dann stelle ich dich zu ihm durch. Mach es gut. Hoffentlich bis bald mal wieder. Hasta lluego.« Weg war er.
Als Jaimes dunkle und ernste Stimme erklang, rutschte mir kurzfristig mein Herz in die Hose. Es kostete mich schon viel Überwindung, überhaupt zu sprechen, aber es gelang mir. »Jaime, guten Abend. Hier ist Caroline Montrose, ich weiß nicht, ob du dich an mich erinnern kannst. Aber ich habe eine Frage an dich, eine sehr wichtige Frage.«
Jaime konnte sich erinnern.
2
Vier Wochen später
München, Juni 1985
Stefanie drückte mich so fest, dass mir kurzzeitig die Luft wegblieb.
»Hey, Süße, atmen sollte ich schon ein bisschen. Auch wenn’s jetzt gerade nicht so wichtig erscheint.« Mein Blick huschte ein letztes Mal hinauf zu den Fenstern meiner Wohnung. »Und es ist wirklich alles okay so für dich?«
Stefanie seufzte theatralisch. »Hörst du jetzt endlich auf? Nicht nur, dass ich deine echt schöne Wohnung möbliert übernehmen kann, du lässt mir auch noch so viel tolles Zeug hier, vor allem deine Platten und Kassetten. Ideal, dass wir denselben Musikgeschmack haben. Ich verspreche dir, ich passe gut darauf auf. Und wenn du was davon haben willst, dann meldest du dich und ich schicke es dir. Hast du alles eingepackt, was du brauchst?«
Ich sah auf meinen riesigen Koffer und meine große Reisetasche. Die zehn Kilo Übergepäck hatte ich vorab bezahlt. »Ja, das sollte genügen. Alles andere gibt’s auch auf Teneriffa. Und dir gefällt die Wohnung wirklich?«
»Jetzt schalt mal einen Gang runter. Natürlich gefällt sie mir.« Sie warf einen raschen Blick auf die Vorhänge. »Bisschen viel Pink vielleicht, aber auch daran werde ich mich gewöhnen.« Sie wandte sich mit unsicherer Miene wieder mir zu. »Und du bist sicher, dass ich nicht zum Flughafen mitkommen soll?«
»Ganz sicher. Ich fühl mich ja jetzt schon total mies. Ich hasse Abschiede.«
Sie zog eine traurige Grimasse. »Ich auch. Deine Familie wird dich wohl kaum verabschieden?«
Ich schulterte meine Umhängetasche. »Ganz gewiss nicht. »
Ich erinnerte mich mit Grausen. Als ich meinem Vater meine Pläne eröffnete, das Studium abzubrechen und auf unbestimmte Zeit für den Club Costa Azul zu arbeiten, reagierte er so, wie man es von ihm erwarten konnte.
»Ja glaubst du denn, dass ich das tolerieren werde? Denkst du, ich finanziere dein Leben und deine teure Ausbildung, um meine Tochter dann als Animationsdame in einem billigen Feriendorf zu erleben? Bildest du dir ein, ich ließe es zu, dass du unseren guten Namen in den Dreck ziehst? Was denkst du, was unsere Freunde sagen, wenn jemand dich dort sieht?«
Ich konnte nicht anders, ab und an wollte meine Zunge meinen Tod. »Aber liebster Papa, das wird doch wohl kaum passieren, denn wer von deinen stinkreichen und überkandidelten Freunden würde denn schon in einem billigen Feriendorf Urlaub machen?«
»Hüte deine unverschämte Zunge, junge Dame. Fangen wir doch damit an, dass ich deinen Luxus nicht länger finanzieren werde. Ab heute bist du auf dich gestellt. Wollen wir doch einmal sehen, wann meine Tochter bettelnd wieder vor meiner Tür steht.«
Wie so oft vergaß mein edles Familienoberhaupt, dass ich mich schon seit Jahren zu einem guten Teil selbst finanzierte. Dass man in München mit vierhundert Mark im Monat nicht wirklich weit kam, schien er nicht zu begreifen. Er war aber noch lange nicht fertig.
»Und ich warne dich, solltest du mich in dieser Klitsche irgendwie blamieren, sollte mir etwas zu Ohren kommen, was meinem Ruf Schaden zufügt, dann sorge ich persönlich dafür, dass du in deinem ach so geliebten Spanien kein Bein mehr auf den Boden bekommst. Ich habe die Mittel und Wege, dafür zu sorgen, dass du bettelnd zurückgekrochen kommst.«
Es war mir sehr schwergefallen, nicht zu weinen. So wenig Vertrauen und so wenig Glaube an die Fähigkeiten seines Kindes waren wahrlich deprimierend.
Doch einem Charles Montrose widersprach man nun einmal nicht. Man führte ohne Widerworte seine Anweisungen aus, denn schließlich wusste er stets die beste Lösung.
Und nun lehnte sich ausgerechnet die eigene Tochter gegen ihn auf. Welch ein Eklat!
Ich war aufgestanden, hatte meine Tasche genommen und ihm mitgeteilt, dass er sich ab sofort aus meinem Leben heraushalten sollte, denn ich wäre ein paar Tage über Achtzehn und somit absolut alleine lebensfähig. Vaters Unterkiefer klappte dermaßen weit nach unten, dass ich befürchtete, er würde seinen Mund nie wieder zu bekommen.
Als ich die Villa meiner Eltern verließ und durch den Garten zum Tor lief, begannen die Tränen dann doch zu fließen. Es tat unendlich weh, dass die Menschen, die mich am besten kennen sollten, mich geringer einschätzten als alle anderen in meinem Leben.
Schon am nächsten Tag fand ich die Nachricht in meinem Briefkasten, dass meine finanzielle Unterstützung mit dem heutigen Tag eingestellt sei und er sich für meinen Wankelmut und meine kindische Verhaltensweise zutiefst schäme.
Ich reagierte nicht mehr darauf.
Jetzt, zwei Wochen später, stand ich vor dem hübschen, kleinen Mietshaus im Stadtteil Ramersdorf und wollte Stefanie nicht mehr loslassen. Sie würde mir fehlen, das wusste ich schon jetzt. Steffi hingegen sah das ganz pragmatisch.
»Du glaubst doch nicht ernsthaft, dass du mich lange los bist? Ich komm dich natürlich besuchen.« Sie drückte mir einen Kuss auf beide Wangen und wedelte mich in Richtung des Taxis. »Und jetzt verschwinde, sonst heule ich doch noch los wie ein Schlosshund.«
Ich kletterte in den Fond des Wagens, Steffi drückte die Tür zu und wir fuhren los. Ich blickte durch das Rückfenster und winkte, bis meine Freundin hinter einer Hecke verschwand und wir auf die Hauptstraße einbogen. Dass ich weinte, merkte ich erst, als der Fahrer mir wortlos ein Taschentuch nach hinten reichte
Drei Jahre später
Club Costa Azul, Santa Eulalia, Ibiza, August 1988
Das Grauen hatte ein Gesicht!
Und zwar meines, wenn ich gezwungen wurde, um vier Uhr dreißig aufzustehen – und zwar am Morgen. Aber alles Jammern half nichts, heute war ich an der Reihe, die britischen Gäste zu verabschieden, die uns nach einer oder wahlweise zwei Wochen wieder verließen. Die Brit-Bomber, wie wir die Maschinen der englischen Billig-Airline zu nennen pflegten, flogen zu unmöglichen Zeiten. Nur so war es ihnen möglich, die Tiefpreise zu garantieren, zu denen sie ihre Passagiere durch die Welt karrten. Unter anderem auch hierher nach Ibiza. Sie kamen vorrangig aus den weniger wohlhabenden Gegenden von Liverpool und Manchester. Viele konnten sich nur wegen der günstigen Preise einmal im Jahr den Urlaub leisten. Für sie war das Costa Azul eine Luxusdestination und unsere Chefs wussten das. Während andere wie die Deutschen, Italiener und Schweden, die den Großteil unserer Gäste ausmachten und genug Geld mitbrachten, den Luxus einer anständigen Reiseleitung genossen, waren die Brit-Bomber nach Ankunft und Verfrachtung in den Bus sich selbst überlassen. Unser Clubchef Leon fand das traurig, deshalb fiel uns die Ehre zu, die Verabschiedung der Gäste zu übernehmen – morgens um