Wenn die Träume laufen lernen 1: IBIZA. Gabriele Ketterl. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Gabriele Ketterl
Издательство: Bookwire
Серия: Wenn die Träume laufen lernen
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783958694057
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was dort geschah, und da ich mir nicht sicher war, ob ich stören würde, wandte ich mich wieder ab.

      »Cara, hey, Cara! Komm her!«

      Überrascht drehte ich mich wieder um. Fernando winkte mir zu und rückte demonstrativ ein Stück zur Seite. Erfreut huschte ich zu ihm und setzte mich neben ihn. Nun konnte ich auch erkennen, was meine Kolleginnen und Kollegen so begeisterte.

      Carlos!

      Nur mit einer schwarzen, engen Hose bekleidet, tanzte er zum Spiel des Flamencogitarristen eine Sevillana. Er tat es voller Anmut, mit der Geschmeidigkeit einer Raubkatze und einer gehörigen Portion Sexappeal. Seine langen Haare fielen ihm ins Gesicht und man sah die dunklen Augen zwischen den Strähnen blitzen. Langsam wurde mir klar, wovor Silvio mich warnen wollte. Verdammt, war der Kerl anziehend.

      Der Nacht wurde noch lang und schön. Der Barkeeper, der eigentlich schon aufräumte, mixte für die anderen Mädels und mich eine leichte Lumumba mit Sahne und Schokostreuseln. Fernando gab seine Anekdoten vom Strand zum Besten, und als Carlos sich umgezogen hatte, gesellte er sich zu uns.

      Silvie stupste mich irgendwann fragend an. »Na, was meinst du, kannst du es mit uns allen eine Weile aushalten?«

      Ich nickte so heftig, dass meine langen Ohrringe gegen meine Wangen klatschten. »O ja, und ich denke nicht nur eine Weile.«

      Roberta schmunzelte, nahm ihr Glas und meinte: »Das trifft sich gut. Wir haben nämlich beschlossen, dich nicht mehr herzugeben.«

      Carlos erhob sich von seinem Sitzplatz, kam langsam auf mich zu, legte einen Zeigefinger unter mein Kinn und hob es leicht an. »Da hörst du es. Du kommst hier nicht mehr weg.« Dann spürte ich einen Kuss auf meinen Haaren und weg war er.

      Ich war im Himmel gelandet.

      Das Leben im Himmel war anstrengend, und zwar verdammt anstrengend. Es kostete mich noch einmal vier Wochen, Unmengen an Pflaster für meine Füße und viele, viele Tränen. Nicht nur einmal wollte ich alles hinwerfen und aufgeben. Das aber ließ Carlos nicht zu.

      »Vergiss das sehr schnell. Was du begonnen hast, das bringst du zu Ende. Hier wird auf gar keinen Fall gekniffen. Feigheit steht dir nicht, weißt du?«

      Und so machte ich weiter. Ich trainierte täglich, absolvierte meine Schichten in den diversen Einsatzgebieten und lernte von Roberta Badminton. Hier stellten sich die Erfolgserlebnisse schneller ein als beim Tanzen. Schon nach einem Monat wurde ich für die Badminton-Stunden mit den Gästen eingeteilt. Ein Lichtblick am Horizont!

      Während ich mir einredete, dass ich niemals als Teil der großen Abendshow auf der Bühne stehen würde, zumindest bei den Tänzen, sah Carlos das ganz anders. Es waren weitere sechs Wochen ins Land gegangen, als er eines Nachmittags nach zwei Stunden hartem Training die Musik abstellte und mich musterte. »Ich denke, es ist so weit.«

      Ich schluckte. »Was ist so weit? Du machst mir Angst, Carlos.«

      »Ich möchte, dass du am Wochenende bei der großen Show dabei bist.«

      Ich erschrak. »Ich bin noch nicht bereit dafür. Ganz sicher nicht.«

      Er nickte. »O doch, das bist du. Du tanzt die beiden Nummern, die wir in den letzten Tagen einstudiert haben.«

      »Grease und Footloose? Das schaffe ich niemals.« Ich war entsetzt und verunsichert.

      Carlos seufzte laut. »Hörst du sofort damit auf, alles was du tust, alles was du kannst, infrage zu stellen? Muss ich wirklich ärgerlich werden, ehe du endlich aus deinem Schneckenhaus kommst? Du stellst dich am Samstagabend auf die Bühne, keine Widerrede. Ich will nichts mehr hören.«

      »Ich bin zu groß und zu dick. Ich pass nicht in die Kostüme. Mit was soll ich denn tanzen?«

      »Himmel, Cara! Wenn du so weitermachst, schicke ich dich im Taucheranzug auf die Bühne. Ernsthaft. Manchmal weiß ich bei dir tatsächlich nicht weiter.« Er sah auf die Uhr. »Okay, wir haben etwas Zeit. Geh duschen und zieh dich um. Ich hol dich in einer halben Stunde bei euch im Studio ab.«

      Er schob mich kurzerhand aus dem Proberaum und ich trottete wie ein begossener Pudel zu Silvie.

      In Windeseile verwandelte ich mich wieder in ein menschliches Wesen und half Silvie, während ich wartete, unsere Behausung auf Vordermann zu bringen. Silvie war für ihre Verhältnisse ungewöhnlich schweigsam.

      Sie machte mich neugierig. »Ist etwas passiert? Du bist doch sonst nicht so ruhig?«

      Sie pflückte zwei Shirts vom Sofa und warf sie in den Wäschekorb. »Hm, ich weiß nicht, wie ich es sagen soll. Es ist schwer in Worte zu fassen. Weißt du, wir alle mögen Carlos sehr, er ist ein wunderbarer Kerl, aber wir kennen auch die andere Seite.«

      Ah, da lag der Hase im Pfeffer. »Du meinst die Seite, die teilweise zwei Touristinnen gleichzeitig den Urlaub versüßt?«

      Sichtlich überrascht wandte sie sich mir zu. »Du weißt es ja doch.«

      Ich schüttelte nachsichtig den Kopf. »Natürlich. Was denkst du denn? Ich müsste ja blind sein.«

      »Ähm, ja dann. Denkst du, du kannst ihn …« Silvie stockte. Das Gespräch war ihr eindeutig unangenehm. »Also, ich meine, glaubst du, dass du ihn ändern kannst?«

      »Nein, warum sollte ich. Er ist perfekt, so wie er ist.«

      Ein ungläubiger Ausdruck schlich sich auf ihr Gesicht. »Bedeutet das, dass du gar keine Beziehung mit ihm willst?«

      Ich schnaubte leise. »Jetzt hast du es erfasst. Nein, will ich nicht. Die Freundschaft, die sich zwischen uns entwickelt, ist einfach nur schön. Mehr will ich nicht. Das habe ich Silvio auch schon gesagt.«

      Silvie prustete lauthals los. »War ja klar, dass der dich vor ihm warnt. Nur weil er niemanden abbekommt, spielt er das Gewissen für uns alle. Roberta hat er auch schon vor Fernando gewarnt. Aber im Ernst, ich bin erleichtert. Ich habe wirklich Angst gehabt, du könntest verletzt werden.«

      »Da besteht keine Gefahr, versprochen.«

      Im selben Moment klopfte es an unserer Tür, und ohne ein »Herein« abzuwarten, steckte Carlos seinen Kopf ins Zimmer.

      »Hey Silvie, ich entführe Cara nach Puerto de la Cruz. Wir gehen shoppen.«

      »Wir tun was?« Ich fühlte mich geringfügig überfahren.

      »Einkaufen, mein Liebling, ich helfe dir dabei, dein Image aufzumöbeln. Und jetzt auf, auf, die Zeit ist knapp. Beweg dich, corazón.«

      Ich bedachte meine feixende Freundin mit einem drohenden Blick und flüsterte. »Du sagst jetzt lieber nichts.«

      Seit einer guten Stunde schleppte Carlos mich auf der Promenade von einer Boutique in die nächste. Noch nie hatte mir einkaufen so viel Spaß gemacht. Es war aber auch herrlich, wenn man mit einem Mann wie ihm im Laden stand, er Klamotten auswählte und ausgiebig an mir herumzupfte, sobald ich darin steckte. Mittlerweile war ich im Besitz von zwei neuen Jeans, einem sexy himmelblauen Corsagen-Oberteil und einem engen, ärmellosen weißen Rollkragenpulli.

      Nicht nur, dass er alles bezahlte (»Keine Bange, das hol ich mir schon wieder ...«), nein, er schleppte auch noch die Tüten. Gerade standen wir auf der Promenade mit Blick auf das Meer und Carlos musterte mich mit sorgenvoll gerunzelter Stirn.

      »Was? Du willst nicht noch etwas kaufen, oder? Das genügt doch wohl.«

      Er trat hinter mich, legte seine Lippen an mein Ohr und flüsterte: »Wann es genügt, sage immer noch ich.«

      »Macho!«

      Schmunzelnd deutete er auf eine kleine Boutique, zu der einige Stufen hinaufführten. »Da hinein, los mach schon.«

      Die Verkäuferin wandte sich uns mit gelangweiltem Blick zu, als wir den Laden betraten. Kaum entdeckte sie Carlos, veränderte sich ihr Gesichtsausdruck wie von Zauberhand. »Hola, was kann ich für euch tun?«

      »Wir brauchen ein niedliches Sommerkleid für die Lady hier.«