»Da wären wir, junger Herr!« rief Martens bekannte Stimme, der nun vom Kutscherstuhl über das Rad hinabkletterte und dann das Deckleder vor der Chaise zurückschlug. »Guten Abend, Mamsell!«
Mamsell nickte nur schweigend; sie wußte nicht, was das bedeuten solle. Aber schon wurde sie von einem stattlichen jungen Mann begrüßt, den sie erstaunt und knicksend in die Stube nötigte. Ein paarmal, während sie eilig die Briefe auf dem Tisch zusammenräumte, wanderte ihr Blick stutzig und forschend zwischen seinem Antlitz und dem noch vor ihr liegenden Lichtbildchen hin und wider. Als er aber nach Ablegung seiner schweren Wildschur mit der Hand über das buschige braune Haar strich und der eigensinnige Wirbel sofort wieder emporschnellte, da flog ein Lächeln glücklicher Gewißheit über ihr Gesicht. Sie streckte beide Arme nach ihm aus; und: »Meine liebe Tante Meta!« rief der junge Mann. Und das alte Mädchen, das noch eben so allein gewesen, hielt plötzlich einen ihres Blutes in den Armen; und ein stattlicher Junge war’s.
»Aber wo ist dein Vater?« begann sie nach einer Weile, während der Neffe fast verlegen geworden wäre unter dem langen, zärtlichen Blick der Tante. »Er wollte ja doch selber kommen?«
»In der Stadt, Tante Meta; und ich bin hergeschickt, um dich zu holen.«
Sie wurde unruhig, zitternd in großer Erregung ging sie in der Stube umher; planlos griffen ihre Hände nach dem und jenem und legten es wieder fort. »Aber ich habe die Magd ja fortgeschickt!« sagte sie.
»Aber, Tante, dein alter Marten ist ja wieder da.«
Und sie ging an den Ofen und nahm die Kaffeekanne aus der Röhre. »Ich will mich fertig machen, Friedrich. Trink indes ein Täßchen und setz dich in den Lehnstuhl!«
So, während sie dazwischen bald eine Pfeffernuß auf seine Tasse legte, bald aufs neue wieder einschenkte, hatte sie endlich ihre Pelzkappe aufgesetzt und sämtliche Mäntel und Tücher umgetan. Fast hätte ihr jetzt der Mut gefehlt, ihren jungen Gast zu stören; er saß so lächelnd da, und wie ihm alles schmeckte! Aber die Sehnsucht nach ihrem Bruder gönnte ihr nun selbst keine Ruhe. Nachdem Marten hereingerufen und gehörig instruiert war, traten sie reisefertig vor die Haustür. Der Mond war indessen aufgegangen; unten von den Wiesen blinkte der Strom herauf. Friedrich, während er die Tante in den Wagen hob, stand noch einen Augenblick und sandte wie prüfend seine Augen über die ungeheuere dunkle Fläche. »Und das ist das Wasser, Tante, wo ihr heute die großen Karpfen gefangen habt?«
»Freilich, Friedrich, und den schönen Hecht nicht zu vergessen.«
»Und dort über dem Wasser liegt der Eichenbusch?«
»Woher weißt du denn das alles, Junge?« rief Tante Meta aus dem Fond der Chaise.
»Nun, was hätte dein alter Marten mir denn unterwegs erzählen sollen? – Aber mehr Leute müßtest du haben, und jüngere«, rief er, indem er zu ihr in den Wagen stieg, und es klang der Tante fast ein wenig übermütig, als er lachend und ihre Hand ergreifend hinzusetzte: »Ihr seid hier eine gar zu ehrenfeste Gesellschaft!«
Ihre Antwort verhallte in dem Geräusch des abfahrenden Wagens. Bald hatten sie die Chaussee erreicht, und nach Verlauf einer kleinen Stunde rollten sie über das Straßenpflaster der Stadt. Hie und da sahen sie im Vorüberfahren noch einen verspäteten Weihnachtsbaum brennen; im allgemeinen schien die eigentliche Feierstunde schon vorüber, nur die bettelnden Haufen der kleinen Weihnachtssänger zogen noch unermüdlich von einer Tür zur andern. Ein paar große Gebäude waren besonders hell erleuchtet; aber Tante Meta schloß die Augen, als sie daran vorüberkam; denn hier wohnten die »neuen Beamten«, wie sie noch immer von ihr genannt wurden, obgleich schon ein ganzer Nachwuchs für sich und die verhaßte Sprache Geburtsund Heimatsrechte der deutschen Stadt in Anspruch nahm.
Auf dem Markt vor dem stattlichen Hause des Senators hielt der Wagen. Die Frau Senatorin empfing ihre alte Freundin an der Tür. »Nicht wahr, Meta«, sagte sie, indem sie auf die große Außendiele traten, »weniger tat es nicht, um dich zu deinen Freunden in die Stadt zu bringen?«
Meta war zu bewegt, um zu antworten. Während die Magd ihr die Reisekleider abnahm, blickte sie zur Linken in den geräumigen Kaufladen, wo sie einst mit Ehrenfried in mancher Morgenfrühe vergebliche Pläne für ein bescheidenes Lebensglück entworfen hatte. Aus der Wohnstube an der anderen Seite des Flurs hörte sie zwei Männerstimmen in lautem Gespräch; die eine kannte sie, die andere war ihr fremd geworden. Die Sprechenden mochten beide die Ankunft des Wagens überhört haben.
Als Meta mit ihrem Neffen hereintrat, sah sie neben dem Senator einen kräftigen älteren Mann mit lebhaft gerötetem Antlitz am Ofen stehen; das volle buschige Haupthaar war schneeweiß. Mitten in seiner lauten Rede brach er ab und sah sie wie zweifelnd mit seinen dunklen Augen an, aber in demselben Augenblicke hielt er die alte Schwester in den Armen.
»Da hast du ihn, Meta«, rief der Senator, »es ist noch immer der alte HofFegut. Wo der keine Rosen sieht, da werden niemals welche wachsen!«
Dann kam die Freude des Wiedersehens; ein langes, inniges Gespräch; ein stilles, gegenseitiges Betrachten. Aber der Erzähler war meist der Bruder; während er vor ihr stehen blieb, hatte sie sich, wie von dem Übermaß der Freude niedergedrückt, auf einen Stuhl gesetzt. Ihre Hände auf die Knie gelegt, sah sie zu ihm empor und lauschte seinen Worten. Fast blieb die Tasse dampfenden Tees unberührt in ihrer Hand, welche die Senatorin ihr gereicht hatte. »Ja, ja, Christian«, sagte sie, »dein Gesicht ist noch das alte; es läßt nur anders bei den weißen Haaren.«
»Meinst du«, rief er lachend, »aber sie lassen sich auch noch jetzt von keinem Schulmeister niederstreichen. Versuch es nur!« Und er legte die Hand der Schwester auf sein Haupt. »Und nun genug von der Vergangenheit, wir wollen den Weihnachtsabend nicht vergessen!« Dann seinem Sohne und dem Senator einen Wink gebend, führte er sie in das gleichfalls erhellte, hinter der Wohnstube gelegene Zimmer; die andern folgten nach. – Es brannte hier kein Weihnachtsbaum; in diesem Hause hatte seit vielen Jahren keiner mehr gebrannt; denn der Senator war kinderlos. Aber auf dem mit einem grünen Teppich bedeckten Tische standen, jeder mit drei brennenden Kerzen, die sonst nur für die Festtafel bestimmten silbernen Armleuchter; zwischen den Leuchtern vor des Senators emailliertem Schreibgeschirr lag ein beschriebenes Blatt Papier, daneben eine frisch geschnittene Feder.
Meta sah ihren Bruder fragend an.
»Schwester«, sagte er, »du bist es, die bescheren soll; noch einmal sollst du deine gesegnete Hand auftun und diesmal, denke ich, dir zur Freude.«
Und seine Hand auf den beschriebenen Bogen legend, fuhr er fort: »Wir haben die Punktationen eines Kaufkontrakts über den Heidehof aufgesetzt: Verkäufer ist unser Freund Albrecht hier, als Käufer sind aufgeführt die Geschwister Meta und Christian Hansen. Die Vollziehung einer andern Punktation über den Eichenbusch – denn der, wie die Sachverständigen und dein alter Marten sagen, gehört notwendig mit dazu – wartet nur auf den Abschluß dieses Handels.«
»Also du«, sagte Meta, »warst der Käufer?«
»Ich