Der Schimmelreiter und andere Novellen (103 Titel in einem Band). Theodor Storm. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Theodor Storm
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027203963
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Spargel auf seiner Seite bloß gelegt. Ehrenfried sah eine Weile zu mir hinüber. ,Das ist richtig, Mamsell Meta!’ sagte er dann, indem er sorgfältig den Spargel aus der Erde hob. Wir gingen suchend an diesem und noch zwei anderen Beeten auf und ab, aber die Ernte war nur spärlich.

      Als ich ihm mein Teil hinüberreichte, sagte er: ,Für eine Person sind das zu viele und für zwei zu wenig.’ Und er hatte dabei so einen eigenen Ton, Herr Lehrer, daß mir schon war, als spreche er das nur so sinnbildlich. ,Freilich’, erwiderte ich, ,Herr Ehrenfried; aber wir haben schon die von gestern, und morgen gibt es wieder welche, und wenn wir dann übermorgen noch etliche bekommen, so reicht es für die ganze Familie.’ Er tat einen Zug aus seiner Pfeife und stieß ein paar blaue Ringe in die Luft. ,Ja’, sagte er dann, ,mit den Dingen, die unser Herrgott wachsen läßt, da macht sich das von selbst, aber …’—,Wie meinen Sie denn: aber, Herr Ehrenfried?’ – ,Ich meine mit den Kapitalien’, sagte er, ,die der Mensch sich sauer verdienen muß; da könnte das bißchen Leben leicht zu kurz werden.’ Und ich verstand noch immer nicht, Herr Lehrer, wo das hinaus sollte. ,Kann ich Ihnen in etwas dienlich sein, Herr Ehrenfried?’ fragte ich. – ,Sie wissen vielleicht, Mamsell Meta’, fuhr er fort, ohne meine Frage zu beachten, ,ich habe ein kleines Vermögen, ein sehr kleines, wovon meine Schwester bislang die Zinsen genossen hat. – Sie bedarf deren nun nicht mehr.’ Und er schwieg einige Augenblicke und dampfte heftig aus seiner Pfeife. ,Dieses kleine Vermögen’, begann er dann wieder, ,ist für mich allein zu viel, denn was ich bedarf, erhalte ich von unserm Herrn Prinzipal; aber es ist wiederum zu wenig, um ein eigenes Geschäft zu beginnen.’ Und zögernd setzte er hinzu: ,Sie besitzen auch von Vaters wegen eine Kleinigkeit, Mamsell Meta; was meinen Sie, wenn wir zusammenlegten? Ich denke fast – es würde reichen.’ – – Und sehen Sie, Herr Lehrer, so legte ich denn meine Hand in die seine, die er mir über das Gartenbeet hinüberreichte. Es war kein Übermut dabei, aber es war beiderseits doch treu gemeint. – – Wir gingen noch eine Weile in dem großen Steige auf und ab und besprachen uns, daß wir die Sache noch geheimhalten und beide noch ein paar Jahre in unserer Kondition bleiben wollten, damit wir die Ausstattung davon zurücklegen könnten. Mitunter standen wir still und hörten, wie noch immer drunten aus der Marsch die Lerchen sangen.

      So gingen ein paar Jahre hin, und wir gewannen ein rechtes Vertrauen zueinander. Oft in der Morgenfrühe, wenn noch die Häuserschatten über der Gasse lagen, trafen wir uns draußen vor der Haustür. Wenn Ehrenfried hinausging, um die Eisenwaren auf dem Beischlag auszustellen, war ich schon draußen vor der Haustür und putzte an der Tür den großen Messingklopfer. ,Nun, Meta’, sagte er dann wohl, ,ich denke, wir werden unser Glück doch nicht verschlafen!’ – Er stand schon in Handel um ein kleines Haus und wir begannen es in Gedanken miteinander einzurichten; wir kannten schon jedes Stück Gerät in unseren Stuben und jeden Topf, der auf unserm Herde kochen sollte. Oft sprachen wir so in der Morgenstille miteinander, bis dann die ersten Bauerwagen die lange Straße herabklapperten und sich auf dem Markte aufstellten.

      Es kam anders, Herr Lehrer. Der Krieg brach aus, und niemand hatte Zeit, noch an sich selbst zu denken. Eines Mittags, da zuerst die Freischaren mit ihren Schlapphüten und Pistolen in die Stadt kamen, steht ein großer bärtiger Mann vor mir und reicht mir seinen Quartierzettel. Es schoß mir in die Knie, da ich ihm ins Gesicht blickte. Es war mein Bruder. ,Christian!’ rief ich, ,was in Gottes Namen willst du jetzt hier?’ – ,Meta’, sagte er, ,das Herz ist immer noch zu Haus; es hat mir keine Ruh gelassen!’ – Und so hatte er das Geschäft einem Kompagnon anvertraut und Frau und Kind bei seinen Schwiegereltern untergebracht. Ehrenfried schüttelte den Kopf. ,Was soll das nützen’, sagte er, ,wir haben junges Volk genug, die Älteren werden schon später daran kommen, sobald es nötig ist.’ Und als Christian ihn an den Schultern faßte: ,Sei nicht so griesgrämig, Ehrenfried, und mach mir das Herz nicht schwer; es hilft doch nichts, ich muß schon jetzt mit dreinschlagen’, da blieb er doch bei seinem Stück: ,Es muß alles in der Ordnung sein.’ Er hatte nun einmal so das Temperament nicht, Herr Lehrer. Aber auch der Herr Senator sah oft nachdenklich darein, wenn späterhin der Christian uns seine Kriegsberichte schickte. Endlich, wir müssen wohl sagen, leider Gottes, wurde es Frieden.«

      Der Lehrer nickte, aber er unterbrach seine Freundin nicht.

      »Unsere guten Leute wurden in die Fremde getrieben, und die Fremden kamen und setzten sich im Lande fest. Mein Bruder saß wieder drüben in seinem Geschäft und bei seinen Büchern. Ich will keinem unrecht tun; aber er mochte es doch wohl nicht in den rechten Händen gelassen haben; denn es war mir nicht entgangen, daß zwischen ihm und unserm Herrn plötzlich ein eiliges Schreiben hin-und widerlief; und als ich gelegentlich anfragte, drückte der Herr mir die Hand und sagte:,Sorge nur nicht zu sehr, Meta; in dem Kampfe um die alte Heimat ist er mit einer Schmarre davongekommen; er muß nun hinterher noch um die neue kämpfen; aber du weißt, dein Bruder ist ein tüchtiger Mann; und nun laß uns sorgen und geh du in deine Küche!’ Ich sorgte aber doch; denn von Ehrenfried hatte ich gehört, daß auch unsern Herrn Senator schwere Verluste getroffen hatten.

      Mittlerweile wurde es wieder einmal Frühling und es war mir fast, als wenn es von der Sonne käme, die nun so hell in den dunklen Laden schien, daß Ehrenfried eines Morgens wieder von einem Hauskauf zu reden anfing, und daß wir uns dann endlich das Wort gaben, auf den Herbst unsere Sache in Ordnung zu bringen. Wir hatten es schon auf den nächsten Sonntag festgesetzt, daß wir der Herrschaft unsere Heimlichkeit offenbaren wollten; da, am Freitagnachmittag – wir sollten auf den Abend eine kleine Gesellschaft haben und ich war eben auf meine Kammer gegangen, um mich ein wenig anzukleiden – bringt mir der Ladenbursche einen Brief von meinem Bruder. Und da stand es denn geschrieben: er war am Bankerott. Aber mein Kapital, was ich von unserm Vater hatte, das – so schrieb er – konnte ihn noch retten. Ich verschloß den Unglücksbrief in meine Schatulle; dann entsann ich mich, daß noch Radieschen zum Nachtisch aus dem Garten geholt werden sollten. Ich nahm ein Körbchen und schlich die Treppe hinab, um unbemerkt aus dem Hause zu kommen; denn ich hätte um alles jetzt dem Ehrenfried nicht begegnen mögen. Ich weiß nicht, wie ich hinten aus dem Hause und die kleine Straße hinab nach dem Garten gekommen bin. Vorn an der Pforte hätte ich fast den Herrn Senator umgerannt. ,Ei, Meta’, rief er, und hob lachend den Finger gegen mich, ,mit der Küchenschürze über die Straße!’ Aber so alteriert war ich, Herr Lehrer; das war mir all mein Lebtage noch nicht passiert.

      Es wurde schon Abend, und es gemahnte mich recht wie damals; denn der Flieder duftete und von unten aus der Marsch kam auch wieder wie dazumal ein sanfter Vogelgesang.

      Aber ich ging mit dem leeren Körbchen in dem großen Steige auf und ab und zerriß mir unachtlich die Kleider an den Stachelbeerzäunen. Meine Gedanken verloren sich in die alte Zeit, in das Kämmerchen, wo mein armer Bruder und ich als Kinder in unseren schmalen Bettchen schliefen. Mir war wieder, als höre ich nebenan im Wohnzimmer die Schwarzwälder Uhr zehn schlagen; und nach dem letzten Schlage wird drinnen das Schreibpult abgeschlossen und mein Vater öffnet leise die Kammertür. Wie oft, wenn ich noch wachend lag, hatte ich heimlich durch die Augenlider geblinzelt, wenn er sich über seinen Liebling beugte und sorgsam das Deckbett über ihm zurechtlegte, damit nur keine Zugluft die nackten Gliederchen berühre; bis dann des Vaters Hand sich auch auf mein Haupt legte und ich von seinen Lippen einen Laut vernahm, den ich nicht verstehen konnte, aber den ich doch in meinem Leben nicht vergessen habe. – Die hülfreiche Hand unseres Vaters lag längst im Grabe; aber was sie mit saurem ehrlichem Fleiß erworben, das war noch da; ich hatte es, und es reichte noch, um die Blöße seines Lieblings zuzudecken. – Und doch, was sollte aus Ehrenfried und mir nun werden? – Aber wir lebten ja geborgen, wir gaben nur einen Herzenswunsch daran; der arme Christian hatte sich nicht bedacht, da er alles hinter sich ließ, um seiner Heimat in ihrer Bedrängnis beizustehen.

      So hatte ich in schweren Gedanken meinen Korb mit Radieschen gefüllt und trat nun aus dem Garten, dem kleinen Hause gegenüber, was dazumal dem Steinmetzen gehörte. Die Sonne spiegelte sich in den Fensterscheiben, und ich stand eine Weile und betrachtete es mir; denn es war dasselbe, um welches Ehrenfried in Handel stand. Da fielen meine Augen auf die goldene Inschrift eines neuen Grabsteins, der neben der Haustür an der Mauer lehnte; und, Herr Lehrer, ich las die Worte: »Niemand hat größere Liebe, denn die, daß er sein Leben lässet für seine Freunde.’«

      »Evangelium Johannes, Vers dreizehn im