Die Erzählerin schwieg. »Ich dächte«, hob der Lehrer an, indem er fast mit einer ehrfürchtigen Scheu auf seine Freundin blickte, »Ihr Herr Bruder sei ein Mann in auskömmlichen Verhältnissen; so ist er wenigstens in der Leute Mund.«
»Er ist es geworden, Herr Lehrer – später, und er hat mir das Darlehn auch bei Heller und Pfennig und mit allen Zinsen zurückbezahlt; aber es war kurz vor Ehrenfrieds Tode und schon in seiner letzten Krankheit. – – Ja, was ich sagen wollte, ein paar Tage vor seinem Ende, des Ehrenfried mein ich, war viel Besuch in seiner Kammer; die Gerichtspersonen waren dort gewesen, und auch unsern Nachbarn, den Goldschmied, hatte ich am Morgen herauskommen sehen. Als ich nachmittags die Mixtur hineinbrachte, bat Ehrenfried, mich neben seinem Bette niederzusetzen. ,Meta’, sagte er, denn ich hatte ihm das vorhin erzählt, ,das Geld wäre nun wohl wieder beisammen, aber das Leben ist indessen alle geworden. – Da hab ich nun, als ich so dagelegen, bei mir gedacht, es müßte doch schön sein, wenn einer, wo es just die rechte Zeit wäre, so einmal aus dem Vollen leben könnte und ohne Kümmernis. Uns ist es so gut nicht geworden und unseren Eltern auch nicht; mir ist, als hätten wir alle nur ein Stückwerk vom Leben gehabt. Und weiter hab ich mir gedacht, wenn unser Kapital zusammenkäme!’ – – Und als ich das abwehren wollte, richtete er sich ungeduldig in seinen Kissen auf. ,Nein, nein, Mamsell Meta’, sagte er, ,reden Sie mir nicht dazwischen!’ – Und dann duzte er mich wieder und legte seine magere Hand auf meinen Arm. ,Es ist ja nicht um dich, Meta, aber dein Bruder Christian hat einen Sohn; ich weiß, er hat ihn tüchtig angehalten und er wird einmal dein Erbe sein. Vielleicht, um was sich viele gemüht haben, daß es nun einmal Einem zu einem ganzen Menschenleben helfen mag. Darum habe ich in meinem Testament meine verlobte Braut, die Jungfrau Hansen, zu meiner Universalerbin eingesetzt. Du wirst mir das nicht übel nehmen, Meta; wir haben es doch mal so im Sinn gehabt.’ Und als meine Tränen auf seine Hand fielen, nahm er einen goldenen Ring aus einem Kästchen und steckte mir ihn an. ,Der ist für dich allein’, sagte er, ,es schickt sich besser vor den Leuten, und’, setzte er leise hinzu, ,trag ihn auch zu meinem Gedächtnis!’«
Die alte Jungfrau schwieg und faßte wie liebkosend den schmalen Reif, den sie am Goldfinger trug. – – Es war jetzt fast dunkel in dem kleinen Zimmer; nur ein schwacher Abendschein drang durch die beschlagenen Fensterscheiben.
Der alte Lehrer war aufgestanden. »Wenn ich den Spruch auf meines armen Knaben Stein gelesen«, sagte er, »so habe ich bisher nur seiner dabei gedacht; aber«, setzte er hinzu und seine Stimme zitterte, »Gottes Wort ist überall lebendig.«
Er bückte sich, um seinen Korb mit den Festtagseinkäufen aufzunehmen, der hinter ihm in der Ecke stand. Mamsell Meta nötigte ihn, noch ein Weilchen zu verziehen, der Mond werde ja aufgehen. Er dankte; »die Meinen warten«, sagte er, »es ist noch eine Stunde Weges bis nach Haus.« Da sie den Gast nicht halten konnte, zündete sie ein Licht an den glimmenden Kohlen im Ofen an und packte noch eine große Düte mit den Weihnachtspfeffernüssen der Frau Senatorin, die sie alles Widerstrebens ungeachtet zu den anderen Dingen in den Korb legte; sie erkundigte sich auch – wie hatte sie es nur vergessen können! – nach dem zehnjährigen Töchterchen, dem Nesthäkchen ihres alten Gastes, und er schüttelte ihr die Hand und sagte nicht ohne eine kleine Feierlichkeit: »Ich danke für die Nachfrage, werteste Mamsell, sie wächst zu unserer Freude heran.«
Dann ging die Tür auf und die Magd trat herein; in vollem Anzug, den Hut auf dem Kopfe. »Ich bin fertig, Mamsell«, sagte sie; »wenn sonst nichts zu besorgen ist, so möchte ich nun zu meiner Mutter gehen.«
»Du kannst gehen, Wieb; sei aber morgen zeitig wieder da«, beschied Mamsell Meta. »Nimm auch dem Herrn Lehrer seinen Korb, du hast ja denselben Weg.«
Der alte Mann ließ sich das gefallen. »Sie ist ja mein Schulkind gewesen«, sagte er freundlich nickend.
»Und zeig dem Herrn Lehrer den Weg oberhalb über den neuen Steg«, fuhr Mamsell fort, »das spart ein Viertelstündchen.«
Wieb schüttelte den Kopf. »Das geht nicht«, sagte sie, indem sie den Korb des Lehrers nahm; »der neue Weg ist unter Wasser; wir müssen unterhalb über den alten Steg, und dann den Fußweg durch den Eichenbusch.«
Der Lehrer nickte. »Der Eichenbusch soll verkauft sein«, bemerkte er beiläufig; »so hörte ich heute in der Stadt.«
»Verkauft?« fragte Mamsell Meta; denn es fiel ihr ein, daß bei ihrer Kahnfahrt Marten gerade mit diesem Grundstück den Heidehof hatte vervollständigen wollen. »An wen denn verkauft, Herr Lehrer?«
»An einen Fremden; den Namen habe ich nicht gehört.«
»Hm«, dachte Mamsell Meta, »da ist also der Herr Senator diesmal doch zu spät gekommen.«
Dann geleitete sie ihren Gast vor die Haustür. – Es war kalt, die Sterne standen schon am Himmel, nur ein schwacher Schein am Horizont