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drückte; »ich habe den Spruch seitdem nicht mehr vergessen. Es stand nun fest in mir, daß ich das Geld geben mußte. – Aber als ich dann aus dem hellen Sonnenschein in unser großes dunkles Haus trat, fiel es mir doch wieder schwer aufs Herz, so daß ich’s nicht von mir bringen konnte, bis auf den Abend. Als die Herren in der Oberstube an ihrem L’Hombre saßen, ging ich hinab in den Laden. Ehrenfried stand an der Bank und zählte Nägel in Pakete, was sonst der Lehrling zu tun hatte, aber der war zu seinen Eltern über Land. Ich erschrak fast, da ich seine Stimme hörte. ,Nun, Meta’, sagte er, ,wo hast du denn gesteckt! Der Steinmetz ist bei mir gewesen von wegen dem Hause, und morgen – wird alles in Richtigkeit kommen.’ – Es schoß mir in die Knie, und ich zitterte; denn er sah so seelenvergnügt dabei aus. Ich vermochte nur stumm den Kopf zu schütteln. ,Was fehlt dir, Meta?’ fragte er. ,Nichts fehlt mir, Ehrenfried; aber wir dürfen das Haus nicht kaufen.’ Und als er mich erstaunt ansah, erzählte ich ihm alles und was ich zu tun entschlossen war. Aber währenddessen wurde sein Gesicht immer ernster und strenger; und als ich zufällig niederblickte, sah ich, daß er sich mit dem Eisenstifte, den er in der Hand hielt, den Daumen blutig gerissen hatte. ,Und du willst das Geld geben?’ fragte er, und seine Stimme klang so gleichgültig, als gehe das ihn selber gar nicht an. ,Ja, Ehrenfried, ich kann nicht anders.’ – ,Nun freilich, Meta; dann reicht’s nicht mehr.’-Er schwieg und begann wieder seine Nägel einzuzählen. ,Ehrenfried’, sagte ich, ,sprich doch zu mir; wir hatten’s für uns beide bestimmt; du mußt dein Wort mit dazu geben!’ Aber ich bat umsonst; er sah nicht auf. ,Wenn dir dein Bruder näher ist’, sagte er, und begann seine Pakete einzuschlagen und wegzupacken. Indem wurde ich nach oben gerufen, und als ich nach einer Stunde wieder in den Laden hinabging, war Ehrenfried in seine Kammer gegangen. – Nur der Allmächtige weiß, was ich die Nacht mit mir gerungen habe; eine Stunde um die andere hörte ich unten vom Flur herauf die Wanduhr schlagen. Ich konnte mein Leben nicht für meine Freunde hingeben, aber das bißchen Silber, Herr Lehrer, das konnte ich doch. Es war ja auch nicht um mich; ich sah wie eine Waage vor mir: auf der einen Schale war der Name ,Ehrenfried’ und auf der andern der meines Bruders; ich sann und sann, bis mir das Hirn brannte, aber es wurde nicht anders, wenn die eine Schale sank, so stieg die andere. – Ich mag wohl endlich eingeschlafen sein; denn als ich die Augen aufschlug, kam schon die Morgendämmerung durch die kleinen Scheiben, und als ich mich ermunterte, hörte ich draußen vor der Kammer auf dem Gange einen Schritt. Mitunter blieb es eine Weile an der Tür; dann ging es wieder vorsichtig auf und ab. Ich stieg aus dem Bett und kleidete mich an, und indem glaubte ich auch den Schritt zu kennen. Als ich bald darauf aus der Tür trat, stand Ehrenfried vor mir. Sein Gesicht war blaß, aber freundlich. Er streckte mir schweigend seine Hand entgegen und hustete ein paarmal, als ob er sprechen wollte. ,Es hat nicht sein sollen, Meta’, sagte er endlich; ,wir wollen’s dem lieben Gott anheimstellen.’ Dann drückte er mir noch einmal die Hand, nickte mir zu und ging die Treppe hinab an sein Geschäft. – Noch an demselben Tage schrieb ich meinem Bruder. – Zwischen mir und Ehrenfried ist dann von diesen Dingen nicht mehr die Rede gewesen; wir lebten wieder still nebeneinander fort, und allmählich war es zwischen uns fast wie es sonst gewesen; auch das »du« gebrauchten wir nicht mehr, wenn wir, was selten geschah, einmal zusammen sprachen. Aber in den Garten hinter dem Speicher bin ich seitdem nicht gern gegangen, und wir haben uns auch niemals wieder dort getroffen. – Die Jahre vergingen, wir wurden alt, und die Stadt um uns wurde immer fremder.«

      Die Erzählerin schwieg. »Ich dächte«, hob der Lehrer an, indem er fast mit einer ehrfürchtigen Scheu auf seine Freundin blickte, »Ihr Herr Bruder sei ein Mann in auskömmlichen Verhältnissen; so ist er wenigstens in der Leute Mund.«

      »Er ist es geworden, Herr Lehrer – später, und er hat mir das Darlehn auch bei Heller und Pfennig und mit allen Zinsen zurückbezahlt; aber es war kurz vor Ehrenfrieds Tode und schon in seiner letzten Krankheit. – – Ja, was ich sagen wollte, ein paar Tage vor seinem Ende, des Ehrenfried mein ich, war viel Besuch in seiner Kammer; die Gerichtspersonen waren dort gewesen, und auch unsern Nachbarn, den Goldschmied, hatte ich am Morgen herauskommen sehen. Als ich nachmittags die Mixtur hineinbrachte, bat Ehrenfried, mich neben seinem Bette niederzusetzen. ,Meta’, sagte er, denn ich hatte ihm das vorhin erzählt, ,das Geld wäre nun wohl wieder beisammen, aber das Leben ist indessen alle geworden. – Da hab ich nun, als ich so dagelegen, bei mir gedacht, es müßte doch schön sein, wenn einer, wo es just die rechte Zeit wäre, so einmal aus dem Vollen leben könnte und ohne Kümmernis. Uns ist es so gut nicht geworden und unseren Eltern auch nicht; mir ist, als hätten wir alle nur ein Stückwerk vom Leben gehabt. Und weiter hab ich mir gedacht, wenn unser Kapital zusammenkäme!’ – – Und als ich das abwehren wollte, richtete er sich ungeduldig in seinen Kissen auf. ,Nein, nein, Mamsell Meta’, sagte er, ,reden Sie mir nicht dazwischen!’ – Und dann duzte er mich wieder und legte seine magere Hand auf meinen Arm. ,Es ist ja nicht um dich, Meta, aber dein Bruder Christian hat einen Sohn; ich weiß, er hat ihn tüchtig angehalten und er wird einmal dein Erbe sein. Vielleicht, um was sich viele gemüht haben, daß es nun einmal Einem zu einem ganzen Menschenleben helfen mag. Darum habe ich in meinem Testament meine verlobte Braut, die Jungfrau Hansen, zu meiner Universalerbin eingesetzt. Du wirst mir das nicht übel nehmen, Meta; wir haben es doch mal so im Sinn gehabt.’ Und als meine Tränen auf seine Hand fielen, nahm er einen goldenen Ring aus einem Kästchen und steckte mir ihn an. ,Der ist für dich allein’, sagte er, ,es schickt sich besser vor den Leuten, und’, setzte er leise hinzu, ,trag ihn auch zu meinem Gedächtnis!’«

      Die alte Jungfrau schwieg und faßte wie liebkosend den schmalen Reif, den sie am Goldfinger trug. – – Es war jetzt fast dunkel in dem kleinen Zimmer; nur ein schwacher Abendschein drang durch die beschlagenen Fensterscheiben.

      Der alte Lehrer war aufgestanden. »Wenn ich den Spruch auf meines armen Knaben Stein gelesen«, sagte er, »so habe ich bisher nur seiner dabei gedacht; aber«, setzte er hinzu und seine Stimme zitterte, »Gottes Wort ist überall lebendig.«

      Er bückte sich, um seinen Korb mit den Festtagseinkäufen aufzunehmen, der hinter ihm in der Ecke stand. Mamsell Meta nötigte ihn, noch ein Weilchen zu verziehen, der Mond werde ja aufgehen. Er dankte; »die Meinen warten«, sagte er, »es ist noch eine Stunde Weges bis nach Haus.« Da sie den Gast nicht halten konnte, zündete sie ein Licht an den glimmenden Kohlen im Ofen an und packte noch eine große Düte mit den Weihnachtspfeffernüssen der Frau Senatorin, die sie alles Widerstrebens ungeachtet zu den anderen Dingen in den Korb legte; sie erkundigte sich auch – wie hatte sie es nur vergessen können! – nach dem zehnjährigen Töchterchen, dem Nesthäkchen ihres alten Gastes, und er schüttelte ihr die Hand und sagte nicht ohne eine kleine Feierlichkeit: »Ich danke für die Nachfrage, werteste Mamsell, sie wächst zu unserer Freude heran.«

      Dann ging die Tür auf und die Magd trat herein; in vollem Anzug, den Hut auf dem Kopfe. »Ich bin fertig, Mamsell«, sagte sie; »wenn sonst nichts zu besorgen ist, so möchte ich nun zu meiner Mutter gehen.«

      »Du kannst gehen, Wieb; sei aber morgen zeitig wieder da«, beschied Mamsell Meta. »Nimm auch dem Herrn Lehrer seinen Korb, du hast ja denselben Weg.«

      Der alte Mann ließ sich das gefallen. »Sie ist ja mein Schulkind gewesen«, sagte er freundlich nickend.

      »Und zeig dem Herrn Lehrer den Weg oberhalb über den neuen Steg«, fuhr Mamsell fort, »das spart ein Viertelstündchen.«

      Wieb schüttelte den Kopf. »Das geht nicht«, sagte sie, indem sie den Korb des Lehrers nahm; »der neue Weg ist unter Wasser; wir müssen unterhalb über den alten Steg, und dann den Fußweg durch den Eichenbusch.«

      Der Lehrer nickte. »Der Eichenbusch soll verkauft sein«, bemerkte er beiläufig; »so hörte ich heute in der Stadt.«

      »Verkauft?« fragte Mamsell Meta; denn es fiel ihr ein, daß bei ihrer Kahnfahrt Marten gerade mit diesem Grundstück den Heidehof hatte vervollständigen wollen. »An wen denn verkauft, Herr Lehrer?«

      »An einen Fremden; den Namen habe ich nicht gehört.«

      »Hm«, dachte Mamsell Meta, »da ist also der Herr Senator diesmal doch zu spät gekommen.«

      Dann geleitete sie ihren Gast vor die Haustür. – Es war kalt, die Sterne standen schon am Himmel, nur ein schwacher Schein am Horizont