Ob die ihm zugeschriebenen Schriften Spurenelemente seiner Lehre mit sich führten, blieb nicht unwahrscheinlich und zugleich unklar. Wie vormals Empedokles u.v.a. ließ Simon sich zeitweise in Samaria als Wundertäter bestaunen, als Gott auf Erdenbesuch verehren, in Palästina als dessen Sohn, in der übrigen Welt als Heiliger Geist. Man sah ihn als große Kraft Gottes. Um seine Gestalt spann sich der Mythos der simonischen Helena, die mythische Züge der Sofia annahm, weit über Maria hinausgehend und also dem Christentum wesensfremd, ersonnen oder wohl eher aufgegriffen von Justin (der selber aus Samaria kam), laut dem die heilige Prunikos (Tempelhure) Helena, die Simon »Ennoia« (seinen ersten Gedanken) nannte, bloß eine Schlampe gewesen sei. Simon aber erhob Helena über alle Frauen in göttlichen Status, wie später Madschun seine Laila, oder Salvatore Dali seine Gala, sah in ihr die trojanische Helena, die Inanna, die Athene und behauptete, andere Göttinnen und in vorangegangener Inkarnation mit ihr zusammen die Welt geschaffen zu haben, ein für männlich fixierte Christen unerträglicher Vorgang, weil natürlich keinerlei Muttergöttin bei der Schöpfung mitgemischt hatte. Gottesdienste der Simonianer, die sich vierhundert Jahre lang hielten, bestanden aus antiken Massenorgien, die so funktioniert haben sollen wie zweitausend Jahre später die AAO-Kommunen des Otto Mühl, jeder mit jeder, ohne Ansehn der Person, ohne Brautwahl, betont überkreuz, und ganz im Sinne von »Wer zweimal mit derselben pennt …«: anonymer Coitus als höchste Agape. Justins Bericht, Simon habe im Tiber eine selbstverherrlichende Säule von sich aufstellen lassen, »Simoni deo sancto«, wurde von Irenäus ungeprüft übernommen (und fiel 1574 in sich zusammen, als diese Säule archäologisch sichergestellt wurde; geweiht worden war sie der altsabinischen Schwurgottheit Semo Sancto). An die verbalen Rivalenkämpfe zwischen Simon und Petrus schlossen sich magisch vergröberte Zusatzstorys: Simon hetzte Riesenhunde auf Petrus, der sie mit geweihtem Brot fütterte, woraufhin sie sich in Rauch auflösten. Solch magisches Hokuspokus-Brimborium stand zeitlich auf jener Kippschwelle von Magie zu Hochreligion, auf der etliche Mystiker sich wiederfanden, Milarepa, Drugpa Künleg, Prospero. Auch die Versionen von Simons erschröcklichem Ende, das dann alle Bösewichte bis hin zu Don Juan und Doktor Faustus wacker zu variieren hatten, entstammten damaligen, durchschaubaren Pamphleten. Entweder saß Simon mit Aposteln unter einer Platane, fast ein schöner buddhistischer Zug, und ließ sich von ihnen eingraben, um angekündigterweise aus der Erde aufzuerstehen, in der er dann aber erstickte und liegenblieb. Oder Vergleichbares fand statt: Simon kündigte seine morgige Himmelfahrt an; tatsächlich gelang dem zaubernden Ikarus ein erstaunlicher Flugversuch, doch Petrus holte den frühen Flugkünstler à la Schneider von Ulm, allzu christlicher Legende zufolge, via Zauberformel vom Himmel, bzw. indem er die Dämonen, von denen Simon sich tragen ließ, per Gebet lähmte. Petrus betätigte sich also agonal als schadenszauberkundig, als Vorläufer des Flugobjektabschießens im PC oder außerhalb, im Weltkrieg, und Simon brach sich allzu tendenziös das Genick bzw. zerbrach in genau vier Stücke. Denkbar bis wünschenswert wären, zwecks Ausgleich, Legenden der Gegenpartei, vom Wasserläufer Jesus, der durch das Fingerschnicken eines am Ufer stehenden gnostischen Schamanen in den Wellen ertrinkt. Womöglich basiert Simons schlechte Fama auf seiner eventuellen geistigen Überlegenheit. Ausgerechnet das unbekannte Augurum, Arkanum, Mirakulum, Mysterium der simonianischen Gnosis wurde von den nicht grad unparteiischen Christianern nicht nur entstellt, ignoriert oder unterschlagen, sondern überhaupt nicht wahrgenommen. Wahrscheinlich hat die spätere Rätselfigur Simon Magus mit dem empirischen Ausgangsmodell noch weniger zu tun als der mittelalterliche Bahlhorn-Teufel Vitzliputzli (aus dem Volksbuch vom Doktor Faust) mit dem mexikanischen Kriegsgott Huitzilopochtli. Alle Quellen über Simon Magus stammten ausschließlich von seinen Gegnern, durch deren Zeilen kein günstigeres Simonbild schimmerte. Vierhundert Jahre nach ihm hieß es, er sei Leiter einer Gruppe essenischer Eremiten gewesen, Samaritaner, Bischof von Jerusalem, obendrein Jünger von Johannes dem Täufer. Je weiter man ihn weiterreichte, in der Linie der Clementinischen Homilien (Pseudoclementinen), ca. 470 n.Chr., über Apostelakten, Tertullian, Epiphanius, Ambrosius, desto verzerrter, noch falscher, dämonischer und unverzeihlicher schwoll Simon – genau wie Judas – auf, in stets verschlimmerten Übermalungen. Christianische Romane des 4. Jahrhunderts zeigten ihn, wie er Herzen in Verwirrung stürzte, wie er überall dort auftauchte, wo just Simon Petrus predigte (typisch Guru-Duell!), oder wie Simon einen riesigen Hund zum Sprechen brachte, einen geräucherten Thunfisch lebendig und eine blinde Witwe sehend machte. Simon wandelte nicht nur auf Wasser, sondern zudem auf Feuer, wenn schon, denn schon, durchdrang Berge und Felsen, brachte Statuen zum Reden, verwandelte Menschen in Tiere; umgekehrt allerdings ging das nicht, bei aller Legendenbildung! Simon schuf zudem einen Homunkulus, tausendsechshundert Jahre vor Paracelsus, und entsorgte ihn wieder, hatte immerhin zum Beweis ein Bild von ihm herstellen lassen. Laut Justinus lernte er Helena im Jüngerkreis um Dositheus kennen; laut Bischof Irenäus von Lyon holte er sie aus einem Bordell in Tyrus in Phönizien. Gotteslästerlicher Frevelmut und maßlose Verketzerung verfeinerten sich terminologisch zu blasphemischer Hybris und ethischer Diskreditierung. Eusebius übernahm des Irenäus’ Ernennung des Simon zum »Vater aller Häretiker« in Eusebs Kirchengeschichte, was von dort auch wieder alle abschrieben und verschlimmbesserten. Sündenbock und Prügelknabe Simon wurde bekämpft als Pseudomessias, ja Antichrist. Kirchenvater Hippolyt rückte ihn zum dunklen Heraklit. Man schrieb ihm unchristliche Flug- und Goldmacherkunst zu, Geisterbeschwörung, Traumdeuterei, Liebestrankbrauung. Das gesamte Mittelalter bekam keine Wahl, Simon anders zu sehen. Auch Dante Alighieri zog am selben Strang (Inferno 19). Simon wurde zum sinnenfrohen Zauberer, zusammen mit kaum wiedererkennbaren Zauberern wie Virgilius – alias Vergil – oder auch Platon. Die alten Iren verehrten Simon als Druiden. Als das Christentum nach tausendjähriger Laufzeit – kaum wiedererkennbar mutiert – hier und da fadenscheinig bröckelte, mäßigte sich das kalte Grausen, das frühe Christen beim Namen Simon Magus spürten, zu Faszination und Interesse. Eine Rehabilitierung, anders als bei Judas, kam nie so recht in Gang, mangels unverfälschten Quellenmaterials. Erwogen wurde, ob der Simon der Apostelgeschichte ein anderer sei als der Häretiker, voneinander separiert durch mehrere Generationen. Naturtypischerweise geschah Kontraselektion, Auslese des geringer Organisierten zugunsten des differenzierter Organisierten, gleichwie Paulus den Marcion (und Microsoft-Gigant Bill Gates den Apple-Riesen Steve Jobs) in den Schatten stellte, es sei denn, Simon wäre vor Ort auch bloß ein magischer Windbeutel gewesen, oder einer der x religiösen Spinner, dem nur seine schwarze Passagierschaft in der Bibel und seine lückenhafte Rätselhaftigkeit im Gedächtnis der Menschheit formal zu überleben half. Trotz aller extremen Unsicherheiten könnte er eine historischere Gestalt als Petrus sein, den Kaiser Nero hinrichtete, weil er Simon abstürzen ließ. Simons Schüler Menandros (Menander = Mondmann) stieg apokryph zu seiner Inkarnation auf.
Worte von Simon Magus: Bittet ihr den Herrn für mich, daß deren keines über mich komme, davon ihr gesagt habt. (Mündlich zu Petrus, Apostelgeschichte 8, 24)
Simon Magus über sich selbst: Ich nahm in jedem Himmel eine andere Gestalt an, je nach der Gestalt der Wesen in jedem Himmel, damit ich verborgen bliebe den Engelmächten und herabkäme zur Ennoia, die auch Prunikos und Heiliger Geist genannt wird, durch die ich die Engel geschaffen habe, die dann den Kosmos und den Menschen schufen. (Panarion haeresium XX. 2,4) – Morgen werd ich euch Gottlose und Sündhafte verlassen und mich zu Gott begeben, dessen Kraft ich selbst in abgeschwächter Gestalt noch bin. Ihr seid gefallen, ich aber, seht, bin »Er, der steht«. Und ich steige hinauf zum Vater und werde ihm erzählen: »Auch mich, deinen Sohn, wollten sie zu Fall bringen, sie, mit denen ich nichts zu schaffen habe, mich, der ich zu mir selbst zurückkehre.« (Actus Vercellensis, 31)
Andere über Simon: Es war aber ein Mann mit Namen Simon, der zuvor in derselbigen Stadt Zeuberey trieb und bezauberte das Samarische Volck und gab vor, er wäre etwas Großes, und sie sahen alle auf ihn, beide klein und groß. (Apostelgeschichte 8,9–11) – Verfluchte und verwirrte Hirngespinste, Eingebungen des Satans! (Eirenaios, 180 n.Chr. über die Lehre der Simoniten) – Hei Simon Magus! hei nach ihm euch heissende! so Gottes ding, die ihm da mitbestuhlet, fromm anverlobet sind – und ihr sie reissende / um gülden und um