Erich Mühsam: Verse eines Kämpfers (151 Gedichte in einem Band). Erich Muhsam. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Erich Muhsam
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9788027205035
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August:

      Wie arg es zugeht auf der Welt,

       wird auf Kongressen festgestellt.

       Man trinkt, man tanzt, man redet froh,

       und alles bleibt beim status quo.

       September:

      Vorüber ist die Ferienzeit.

       Der Lehrer hält den Stock bereit.

       Ein Kind sah Berg und Wasserfall,

       das andre nur den Schweinestall.

       Oktober:

      Zum Herbstmanöver rücken an

       der Landwehr- und Reservemann.

       Es drückt der Helm, es schmerzt das Bein.

       O welche Lust, Soldat zu sein!

       November:

      Der Tag wird kurz. Die Kälte droht.

       Da tun die warmen Kleider not.

       Ach, wärmte doch der Pfandschein so

       wie der versetzte Paletot!

       Dezember:

      Nun teilt der gute Nikolaus

       die schönen Weihnachtsgaben aus.

       Das arme Kind hat sie gemacht,

       dem reichen werden sie gebracht.

      Dichter und Kämpfer

       Inhaltsverzeichnis

      1913

      Unrühmlich ist es, jung zu sterben.

       Mein Tod wär sträflicher Verrat.

       Ich bin der Freiheit ein Soldat

       und muß ihr neue Kämpfer werben.

       5

      Und kann ich selbst die Schlacht nicht lenken,

       seh selbst nicht mehr das bunte Jahr,

       so soll doch meine Bundesschar

       im Siege meines Rufs gedenken.

      Drum will ich Mensch sein, um zu dichten,

       10

      will wecken, die voll Sehnsucht sind,

       daß ich im Grab den Frieden find

       des Schlafes nach erfüllten Pflichten.

      Vermächtnis

       Inhaltsverzeichnis

      Juni 1914

      Ich kann nicht wissen, wieviele noch

       mir atmende Tage gegeben sind,

       und kann nicht raten, wie lange noch

       ich Lust an den Stunden des Lebens find!

       5

      Vielleicht ruft bald die Posaune schon

       den Kämpfer und Sänger aus Streit und Zeit,

       und wägende Prediger halten schon

       das Urteil der Nachfahren strenge bereit.

       So helfe zu rechtem Vollbringen mir

       10

      ein Namenloses aus Not und Haft;

       mein Werk zur schaffen, so helfe mir

       der fremden, unfaßbaren Gottheit Kraft.

      Wenn mir zu währendem Denkmal dann

       mein Lied auf den Lippen der Jugend lacht, –

       15

      ein seliger Mensch will ich sterben dann,

       im Tode zu bleibendem Sein erwacht.

      Betäubung Gehe zur gesprochenen Version

       Inhaltsverzeichnis

      November 1914

      Ist’s nicht, als wär ich längst vorbei

       am Ziel, das meine Augen maßen?

       als wären neue Strecken frei?

       als schritt mein Fuß auf andern Straßen?

       5

      Zwar dünkt dies alles mir vertraut:

       die Bäume und am Weg der Graben;

       doch weiß ich nicht, ob ich’s geschaut,

       ob Träume mir geweissagt haben.

       Der Kirchturm lockt und ängstigt mich,

       10

      und neben mir die Frauenstimme

       klingt gleich bekannt und wunderlich.

       Sind sie das Gute oder Schlimme?

       Was ist hier Wahrheit? Was ist Schein?

       In Furcht und Hoffnung suchen viele …

       15

      Die Welt muß sehr verändert sein, –

       und wir sind weit von unserm Ziele.

      Wehe der Erde

       Inhaltsverzeichnis

      Februar 1915

      Die Sterne hängen tiefer denn je

       und starren zur Erde in angstvoller Glut.

       Sie spiegeln der Menschheit klagendes Weh.

       In ihrem Widerschein flackert Blut.

       5

      O, schaut nicht nieder auf unsre Schmach,

       so ihr von göttlichem Lichte seid.

       Des Menschengestirnes Glanz zerbrach,

       und unser Göttliches wimmert in Leid.

       Krieg heult in die Welt. Es rast der Tod.

       10

      Der Schrecken wütet. Die Erde brennt.

       Entmenschte Gebete flehn Gott in den Kot…

       O Scham vor den Sternen am Firmament!

      Wiegenlied

       Inhaltsverzeichnis

      März 1915

      Still, mein armes Söhnchen, sei still.

       Weine mich nicht um mein bißchen Verstand.

       Weißt ja noch nichts vom Vaterland,

       daß es dein Leben einst haben will.

       5

      Sollst fürs Vaterland stechen und schießen,

       sollst dein Blut in den Acker gießen,

       wenn es der Kaiser befiehlt und will. –

       Still, mein Söhnchen, sei still!