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Trink, dann wirst du ein starker Held,
ziehst mit den andern hinaus ins Feld.
Vater hat auch hinaus gemußt.
Vater ward wieder Willen und Hoffen
von einer Kugel ins Herz getroffen.
15
Aus ist nun seine und meine Lust. –
Trink von deiner Mutter Brust!
Freu dich, goldiges Söhnchen, und lach.
Bist du ein Mann einst, kräftig und groß,
wirst du das Lachen von selber los.
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Fröhlich bleibt nur, wer krank ist und schwach.
Vater war lustig. Ich hab ihn verloren,
hab dann dich unter Schmerzen geboren, –
hörst drum ewig mein bitteres Ach!
Freu dich, Söhnchen, und lach!
25
Schlaf, mein süßes Söhnchen, o schlaf.
Weißt ja noch nichts von Unheil und Not,
weißt nichts von Vaters Heldentod,
als ihn die bleierne Kugel traf.
Früh genug wird der Krieg und der Schrecken
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dich zum ewigen Schlummer erwecken...
Friede, behüt meines Kindes Schlaf! –
Schlaf, mein Söhnchen, o schlaf...
Gefährtin
Mai 1915
Stille Glut nach wilden Bränden.
Stetig du nach hundert Frauen.
Laß mich deinen guten Händen
meine Tage anvertrauen.
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Will von Kämpfen und von Plagen
unter deiner Pflege rasten,
und ich will getreulich tragen
auch die Hälfte deiner Lasten.
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Hunderttausend sterben, leiden;
Menschen töten und vernichten. –
Pflicht und Liebe helf uns beiden,
Glück und Frieden aufzurichten.
Die Schlacht am Birkenbaum
Juli 1915
Glaubt nicht, die Schlacht am Birkenbaum
sei nur ein Traum.
Sie wird geschlagen werden.
Schon lernt die ersten Schritte gehn,
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der sie wird sehn
als Ältester auf Erden.
Glaubt nicht, am Birkenbaum die Schlacht
werd über Nacht
aus Völkerhaß geboren.
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Aus gleichem Volk bekämpft das Heer
der alten Wehr
die Schar, die sich verschworen.
Und ist die tapfere Schar besiegt,
gleichwohl, so fliegt
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von ihrem Geist ein Funke
hinüber in der Feinde Reihn,
und alle werden Brüder sein,
gelabt vom selben Trunke.
Die Sieger als Besiegte dann
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ziehn Mann für Mann,
zum Hungervolk die Satten,
Befreiung feiernd von der Not
bei Wein und Brot,
unter der Birke Schatten.
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Glaubt nicht, die Schlacht am Birkenbaum
sei nur ein Traum
und eines Wahns Gebilde.
Der schönste Sieg ist nicht mehr fern,
da ohne Herrn
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Recht wird erstehn und Milde.
Barbaren
September 1915
Sie streiten, wer Barbar sei unter ihnen,
und zum Beweise, daß stets nur die andern
vor aller Nachwelt solchen Ruf verdienen,
verwüsten sie mit schrecklichen Maschinen
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Galipoli, Galizien, Serbien, Flandern,
Woldhynien und das Land der Beduinen.
Das Blut gerinnt. Es häufen sich die Leichen
im Elsaß, in Tirol, in Frankreich, Polen.
Auf hoher See und in den Tropenreichen
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ist Kampfgetöse, Mord, ist Sieg und Weichen.
Es wird gebrannt, geschändet und gestohlen,
und über Trümmern ragen Ruhmeszeichen.
Aus Wolken fetzt der Mord, vom Meeresgrunde,
und Kinder müssen sterben, Frauen, Greise.
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Den Hunger ruft man sich, die Pest zum Bunde.
Der Mutter Träne und die Todeswunde
erhabnen Planes zu der Menschheit Preise
gibt von der Heldenzeit Europas Kunde.
Und jubelnd töten sie für ihren Zaren,
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für ihren Kaiser, König, Präsidenten;
und starke Männer sinken hin in Scharen
und wissen, daß sie tapfere Streiter waren. –
Blut tropft und Jammer von den Firmamenten.
Und jeder schmäht die andern als Barbaren.
Entlarvung
November 1915
Europa hat sich abgeschminkt.