Stanislaw Przybyszewski: Romane, Erzählungen & Essays. Stanislaw Przybyszewski. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Stanislaw Przybyszewski
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027205639
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      – Das ist viel, sehr viel. Damit kann man viel ausrichten ...

      Sie schwiegen eine Weile.

      – Ist es wahr, was Kunicki behauptet, daß Sie zusammen mit Stefan Kruk die Stadtkasse hier in der Nähe erbrochen haben?

      – Vollkommen wahr.

      – Sie approbieren also die anarchistische Praxis?

      – Wenn es die Idee erfordert, sind alle Mittel heilig. Das ist durchaus keine anarchistische Erfindung. Übrigens haben wir das Geld nicht gestohlen, sondern rechtmäßig an uns gebracht. Und das ist ein großer Unterschied. Wir haben im vollen Bewußtsein der Rechtmäßigkeit unserer Tat gehandelt.

      – Sie sagen also, daß man stehlen darf, sobald es die Idee erfordert?

      – Nicht stehlen, nein; das hab ich nicht gesagt. Sie kommen da auf den juridischen Begriff des Verbrechens. Aber sobald ich sage, ich tue recht, und sobald ich den Glauben und die heilige Überzeugung habe, daß ich recht tue, verstehen Sie, einen Glauben, der auch nicht den geringsten Zweifel zuläßt, dann ist der Diebstahl eben kein Diebstahl, kein Verbrechen mehr.

      – Sie meinen, daß das einzige Kriterium des Verbrechens das böse Gewissen sei?

      – Ja.

      – Sie werfen aber dem Staate Verbrechen vor. Glauben Sie nicht, daß der Staat Alles, was er tut, mit gutem Gewissen tut? Glauben Sie nicht, daß er sich berechtigt fühlt, den Arbeiterstand der Ausbeutung des Kapitalismus preiszugeben? Folglich ist der Staat kein Verbrecher, weil das Kriterium des bösen Gewissens fehlt.

      – Subjektiv ist der Staat kein Verbrecher, vorausgesetzt, daß er von der Rechtmäßigkeit seiner Handlung überzeugt ist, woran ich nicht glaube, aber er wird es objektiv, weil die Folgen seiner Handlungen verbrecherisch sind.

      – Aber wenn die Motive gut sind, so kann ja der Staat für den Schaden nicht verantwortlich gemacht werden.

      – Deswegen muß er beseitigt werden, ganz so, wie man Irrsinnige beseitigt, die, ohne es zu wissen, Verbrechen begehen.

      – Über das Verbrechen entscheiden nur die schädlichen Folgen?

      – Ja.

      – Aber gesetzt, daß Sie um der Idee willen eine Fabrik in die Luft sprengen und dadurch Hunderte von Familien ins Unglück stürzen, dann begehen Sie doch ein Verbrechen, weil die Folgen verbrecherisch sind.

      – Nein! Denn dadurch bringe ich meine Idee ihrer Verwirklichung näher und ich bringe Millionen das Glück. Als Christus seine Lehre ausbreitete, wußte er sehr gut, daß Tausende von seinen Anhängern würden geopfert werden, er hat sie also dem sicheren Verderben preisgegeben, um Millionen das Heil zu bringen.

      – Sie glauben an Gott? fragte Olga zerstreut.

      Czerski kam plötzlich in eine große Aufregung.

      – Ich glaube an Jesus Christus, den Gottmenschen ... Aber unterbrechen Sie mich nicht. Ich habe das Recht dazu, die Natur hat es mich gelehrt. Was entscheidet über das Angenehme eines Gefühls? Doch nicht, daß es an sich angenehm ist. Die Gewöhnung an das Opium ist Anfangs sehr schmerzhaft, wird erst in der Länge zum Genuß. Über das endgültige Wesen des Gefühls entscheidet also nur die Dauer desselben. Es ist selbstverständlich, daß die ersten Folgen einer Fabriksprengung unangenehm sind, aber ...

      – Sie werden also vor keinem Verbrechen zurückschrecken?

      – Nein, kein Verbrechen, er unterbrach sie eifrig, ich werde vor keiner Handlung zurückschrecken, die meiner Idee den Sieg garantiert.

      – Und wenn Ihre Idee falsch ist?

      – Sie ist nicht falsch, denn sie ist auf der einzigen Wahrheit aufgebaut, die wir haben: der Liebe.

      – Aber wenn Ihre Mittel falsch sind?

      – Sie können nicht falsch sein, denn ihre Motive sind die Liebe. Übrigens will ich gar nicht zu diesen Mitteln greifen, selbst dann nicht, wenn ich es für nötig halten sollte. Ich habe kein Programm, wie die Anarchisten. Ich will keine Gewalttat begehen, um nicht einer Partei, welche die Gewalttat in ihrem Programm hat, zugezählt zu werden.

      – Aus Eitelkeit?

      – Nein; aus Vorsicht, nur aus Vorsicht, daß nicht die Anarchisten, also eine Partei, das Recht zu bekommen glauben, meine Tat als die Folge ihres Programms aufzufassen.

      – Sie sind ehrgeizig.

      – Nein! Aber ich bin nur in meiner Tat. Ich habe nur ein Recht, und das ist: zu sein. Und mein Sein ist meine Tat. Ja, ich habe einen Ehrgeiz, wenn Sie es so wollen: zu sein, durch meine Tat zu sein. Ich bin nicht, sobald ich fremde Befehle ausführe.

      – Das sind alte Gedanken, lieber Czerski.

      – Ich weiß nicht, ob sie alt sind, ich habe sie im Gefängnis bekommen und so sind sie meine eigenen. Ich habe sie mit großer Mühe ausgedacht. Ich war nicht gewohnt zu denken, so lange ich in der Partei war. Jetzt hab ich mich von Allem losgelöst, um allein zu sein und meine Tat mit eigenen Gedanken zu bestimmen.

      – Und wenn Sie das Geld von Falk nicht bekommen hätten, hätten Sie es sich genommen?

      – Ja.

      – Und was wollen Sie jetzt tun?

      – Ich will die Menschen lehren, sich aufzuopfern.

      Olga sah ihn fragend an.

      – Sich aufopfern können: das ist die erste Bedingung jeder Tat. Ich werde die Begeisterung des Opfers lehren.

      – Aber um sich zu opfern, muß man erst an den Opferzweck glauben.

      – Nein! Nicht aus dem Glauben entspringt das Opfer, sondern aus der Begeisterung. Das ist es eben. Sehen Sie, alle bisherigen Parteien haben Glauben, aber keine Begeisterung. Nein, sie haben keinen Glauben, sie haben nur Dogmen. Die Sozialdemokratie ist in dem dogmatischen Glauben erstorben. Die Sozialdemokratie ist das, was jede Religionsgenossenschaft ist: sie ist gläubig ohne Begeisterung. Gibt es einen Menschen, der für seinen Gott ins Feuer ginge? Nein! Gibt es einen Sozialdemokraten, der sich wegen seiner Idee ins Verderben rückhaltlos, ohne Bedenken, stürzte? Nein! Sie Alle haben die ruhige, behäbige Gewißheit des Glaubens; ihre Dogmen sind eherne Wahrheiten, um derenwillen man, weiß Gott, sich nicht aufzuregen braucht. Ich will aber den feurigen, glühenden Glauben schaffen, einen Glauben, der kein Glauben mehr ist, weil er keinen Zweck hat, einen Glauben, der in der Begeisterung des Opfers sich aufgelöst hat.

      Er kam plötzlich in einen ekstatischen Zustand. Seine Augen glänzten und sein Gesicht verklärte sich eigentümlich.

      – Sie spekulieren also auf den Fanatismus des Hasses bei der Masse.

      – Fanatismus der Liebe, sagte er strahlend, Fanatismus der Liebe zu der Unendlichkeit des Menschengeschlechtes, der Liebe zu der Ewigkeit des Lebens, der Liebe zu dem Gedanken, daß ich und die Menschheit eins, untrennbar eins sind ...

      Er variierte den Gedanken, in den verschiedensten Ausdrücken.

      – Ich werde nicht sagen: Opfert Euch, damit Ihr und Eure Kinder glücklich werdet, ich werde das Glück des Opfers an sich wieder neu lehren. Die Menschheit hat eine unerschöpfliche Fähigkeit, sich zu opfern, aber das hat die fette Kirche und der fette Sozialismus zerstört. Die Menschheit hat das Glück des Opfers vergessen in dem fetten, ekelhaften Dogmenglauben. Das letzte Mal hat sie es in den großen Revolutionen gekostet, in der Kommune, – zwecklos, nur aus Liebe zum Opfer, um das unendliche Glück der zwecklosen Selbstlosigkeit noch einmal zu genießen ... Und ich werde dies Glück wieder in Erinnerung bringen durch meine Tat ...

      Er stutzte plötzlich und sah Olga mißtrauisch an.

      – Sie glauben wohl, ich bin ein irrsinniger Phantast?

      – Es ist schön, sehr schön, was Sie da sagten, – ich verstehe Sie, sagte sie nachdenklich.

      Er schwieg lange.

      –