Ha, ha, ich Idiot ... Ja, Sie haben Recht, daß Sie dies überlegene Lächeln aufsetzen. Ja, natürlich. Ihr, Ihr –ja, was seid Ihr eigentlich? Anhänger der materialistischen Weltauffassung, Ihr habt ja natürlich alle Rätsel gelöst ... Nun, nichts für ungut, ich verstehe sehr gut, daß Ihre weltumfassenden Menschheitsideale Ihnen nicht Zeit lassen, sich in eine solche Bagatelle, wie der Mensch, »liebevoll zu versenken« – der Ausdruck stammt vom Berliner Tageblatt, »Ihre durchgreifende Tatkraft« – der Ausdruck ist von derselben Quelle – erlaubt Ihnen nicht, Ihre Zeit nutzlos zu vergeuden. Ha, ha, ha ...
Wollen Sie wirklich nicht trinken? Schade, sehr schade, ich kann eigentlich die Menschen nicht leiden, die nicht trinken.
Aber neugierig scheinen Sie zu sein. Sie möchten wohl gerne etwas Persönliches über den geheimnisvollen Herrn Falk erfahren, der Ihnen Geld zu sozialer Agitation, Broschüren und Proklamationen zur Aufreizung einer Klasse gegen die andere geschickt hat. Ha, ha, ha ... Aufreizung! nicht wahr, so heißt es offiziell ... Aber ich will gar nicht von mir sprechen, ich will nur über objektive Fragen reden ... Ha, ha, ha ...
Sehen Sie: das ist z. B. sehr interessant, wie sich ein Mensch unter dem Einflüsse einer Bagatelle verändern kann. Bagatelle, sag ich Ihnen. Lächerliche Kleinigkeit. Ich war gestern bei Iltis, ich studiere ihn nämlich. Er hat sich verheiratet. Seine Frau ist die wunderbarste Frau unter der Sonne. Ganz außerordentliche Frau. Nun, sehen Sie: sie hat wohl unmöglich früher riechen können, daß sie, in zwei Jahren meinetwegen, seine Frau werden sollte. Nicht wahr? So etwas kann man auf die Distanz von großen Zeitabschnitten nicht riechen. Ja, also damals, als sie Iltis noch nicht riechen konnte, hat sie sich verliebt. Ja, natürlich. Warum sollte sie sich nicht verlieben? Sie hat sich auch dem Manne hingegeben, den sie liebte. Das ist ja natürlich. Sie nehmen es ihr nicht übel, daß sie nicht erst die staatliche Konzession dazu erwartet hatte. Aber ich will nicht logisch urteilen, denn sonst würde ich es nur schön finden. Da nun aber das Weib immer in Bezug auf den letzten Mann existiert, und der letzte Mann solche früheren Eingriffe in seine Prioritätsrechte nicht schön zu finden pflegt, so – ja, meinetwegen sag ich, daß es von Iltis Frau nicht schön war, so voreilig zu handeln.
Also: Iltis – nein, ich weiß nicht genau, ob es Iltis ist, nein, mein Kopf ist ein wenig verwirrt, es ist wohl Jemand anderes. Nennen wir ihn Certain. Das klingt sogar sehr schön. Ich bin ganz entzückt über diesen prachtvollen Einfall. Denken Sie nur: Certain! Dieser Certain also verliebt sich in das Weib, das die für züchtige Jungfrauen verbotenen Paradiesäpfel bereits gegessen hat, und heiratet sie. Natürlich hat sie ihm Alles gestanden. Aber er! Herrgott, über solche Lappalien wird er als ein moderner Mensch und das frühere Haupt der wüstesten Bohème sich doch nicht aufregen. Interessant, nicht wahr? Aber nachträglich besinnt er sich. In seiner Seele öffnet sich eine kleine winzige Lücke, die ein seltsames Gefühl von Unbehagen ausströmt. Certain setzt sich hin, oder nein! er legt sich auf sein Ruhesofa, verschränkt die Arme unter seinem Kopfe und grübelt. Es war schon Einer da, der das Weib besaß. Das ist doch sonderbar! Dieselben Schmeichelnamen, die sie ihm sagt, hat sie schon einem Andern ins Ohr geflüstert, sie lag auch schon einem Andern um den Hals, ein Anderer hatte bereits diesen Körper an sich gedrückt ... Aber zum Donnerwetter, was ist das? Certain springt ganz erschreckt auf. Es kommt ihm vor, als ob die kleine Lücke eigentlich eine kleine Wunde wäre, die sich entzündete und nun eine unerhörte Qual verursachte. Aber lächerlich! Certain ist ganz wütend, daß er sich über solche natürliche, ja, durch den geheimen Naturzweck geheiligte Selbstverständlichkeit aufregen kann ... Ja, er legt sich die Sache sonnenklar auseinander und vergißt sie. Er ist sogar sehr froh, daß er diese posthumen Forderungen seines sexuellen Organismus so energisch zurückgewiesen hat. Er reckt sich, trällert ein Schäferliedchen, ach, wie idyllisch – aber mit den bösen Mächten – na, Sie kennen doch Ihren Schiller. Certain wird von Neuem unruhig. Eine gewisse quälende Neugierde überkommt ihn. Er geht zu seiner Frau, ist unglaublich liebenswürdig, er küßt ihr die Hände, schäkert mit ihr, redet über dies und jenes, dann fragt er plötzlich, so en passant, mit der unschuldigsten, gleichgültigsten Miene in der Welt: Du, wie war eigentlich Dein erster Mann, blond oder schwarz? Das Wort »Mann« spricht er ohne zu wissen mit einer sonderbaren Betonung. Es ist Haß, Wut, Neugierde, Alles, was Sie nur haben wollen.
Ja, er war schwarz, hatte aber merkwürdigerweise blaue Augen.
Certain zuckt unwillkürlich, er ist so gereizt, daß er nicht weiter darüber sprechen kann. – Er ist ganz außer sich, er kann ja gar nicht verstehen, was vor sich geht ...
Ha, ha, ha, armer Certain; ich will zugeben, daß er unglaublich lächerlich ist, aber so ist nun einmal der dumme Kerl beschaffen. Er will auch nicht weiter darüber nachdenken. Nein, er mag nicht. Er hat die ganze Sache ein paar Tage vergessen. Aber da plötzlich kommt es wieder, nur heftiger, schmerzhafter. Es ist fast wie Lust, sich selbst zu quälen, sich die Wunde ganz brutal aufreißen zu lassen ... Ich will die Frage offen lassen, in welchen physischen und psychischen Ursachen diese selbstquälerische Neugierde begründet sein mag, aber sie ist eben da. Er muß seine Frau ausforschen, natürlich mit dem nötigen psychologischen Taktgefühl, nur um sich nicht anmerken zu lassen, als wäre ihm etwas daran gelegen.
Er fragt also, so beiläufig, nur des psychologischen Interesses wegen, nach den näheren Umständen. Er bekommt sie zu wissen, natürlich, warum denn nicht? Er hat ja so schön und so begeistert zu ihr über freie Liebesverhältnisse gesprochen. – He, he – Sie sind auch Beide sogenannte moderne Menschen, die über dergleichen lächerliche Vorurteile längst hinausgekommen sind.
Ob sie ihn geliebt hatte? Sie denkt ein wenig nach. O ja, sie hat ihn geliebt, sehr geliebt. Certain zittert und sucht sich zu beherrschen. Die näheren Umstände? Mein Gott, die sind ja immer dieselben! und sie lacht. Er lacht natürlich auch. Aber sie solle ihm ja nur recht umständlich erzählen, es sei so ungemein interessant, und sie komme ihm dadurch so nah, wenn er ihr Leben in dem geringsten geheimen Winkel genau kennen lerne. Sie sträubt sich, aber gibt schließlich nach ... Der Schwarze hat sie gebeten, ihm ihre Liebe zu beweisen ... merken Sie nur auf, Herr Czerski, wie ich nun Alles umschreiben werde ... sie selbst habe es auch verstanden, daß dies – verstehen Sie dies geheimnisvolle »dies«? – der einzige Beweis der Liebe sei.
Aus der Gurgel des armen Certain kommt plötzlich ein sonderbarer Pfiff, den er durch nachträgliches Husten eifrig ungeschehen macht.
Er hat sie also gebeten um dies »dies« – sie sollte sich ja nur recht gut bedenken – denken Sie nur, was für ein Ausbund von weisem Edelmut dieser schwarze Herr sein mußte!
– Du hast natürlich während der ganzen Zeit, in der Du über dies entscheidungsvolle »dies« nachdenken solltest, nicht ein einziges Mal daran gedacht? Certain ist nämlich ein Psychologe.
– Nein, ich fühlte nur, daß es so kommen mußte, ich konnte, ich brauchte nicht darüber zu denken: es war notwendig.
– Für Dich oder für ihn? Certain rast nämlich vor boshafter Wut. Er hat eine fabelhafte Lust, aufzubrüllen, daß seine Lungen bersten müßten. Warum, weiß er nicht.
Sie hat nicht ganz gut verstanden, was er mit seiner zynischen Frage meinte und sieht ihn mit großen Augen an. Sie wissen: mit Augen, die eigentlich nur ein brennendes, mißtrauisches, ein klein wenig verächtliches Fragezeichen sind.
Certain kommt sofort zu sich. Beinahe hätte er ihr Mißtrauen geweckt. Er wird nun sehr vorsichtig.
Nun fragt er mit einer gewissen nonchalanten Bonhomie weiter und erfährt nach und nach so ziemlich alles Wissenswerte. Die dynamische Mechanik der Liebe ist ja fast immer dieselbe, es sind gewisse unverbrüchliche Momente ... He, he, he ...
Aber nun fließt es in dem dummen Certain über. Er kann nicht weiter hören. Er hat eine maniakalische, unbezwingbare Lust, das Weib zur Erde zu werfen und sie mit seinen Fäusten tot zu prügeln.
Tut er es?
Ach wo, wo denken Sie hin, Herr Czerski. Dazu ist der Certain viel zu wissend. Ha, ha ...
Ja so, ich habe Sie falsch verstanden. Sie als Menschheitsfreund fragen natürlich, warum er