– Sind Sie krank, Czerski?
Olga war sehr beunruhigt.
Czerski sah sie starr an. Es war, als hätte er jetzt erst gemerkt, daß sie da war.
– Nein, ich bin nicht krank. Aber was führt Sie zu mir?
– Wollen Sie eine Agitationsreise unternehmen?
Czerskis Gesicht belebte sich plötzlich.
– Daran denk ich seit drei Tagen.
– Ich habe Geld für Sie und die Anweisung, daß Sie sofort reisen sollen.
Er wurde mißmutig.
– Ich will keine Anweisungen haben, ich reise, wann ich will.
– Das Geld ist Ihnen aber nur unter der Bedingung zur Verfügung gestellt, daß Sie sofort reisen sollen.
– Warum denn sofort?
– Es ist ein großer Büchertransport an der russischen Grenze, den Sie spätestens in zwei Tagen nach Rußland schaffen müssen. Drüben wartet man schon einen Monat darauf.
– Ich will keine Dienstleistungen für irgend eine Partei verrichten. Ich habe mit einer Partei nichts zu tun. Ich bin selbst eine Partei.
Olga sah ihn nachdenklich an.
– Sind Sie wirklich nun ganz und gar ein Anarchist geworden?
– Ich bin weder ein Anarchist noch ein Sozialist, weil ich selbst eine Partei bin.
– Aber Sie haben doch Anschauungen, die von der anarchistischen Partei geteilt werden.
– Das geht mich nichts an, daß gewisse Anschauungen mich zufällig dieser oder jener Partei nahe bringen, aber deswegen will ich gar nicht zugeben, daß mich diese oder jene Partei als ihr Mitglied reklamiert.
Er schwieg nachdenklich.
– Sie wollen also nicht?
– Sind an das Geld noch sonst irgend welche Bedingungen geknüpft?
– Nein.
Er bedachte sich.
– Nun, ich kann meinetwegen den Krempel hinüberschaffen. Aber ich wiederhole, daß ich mich um keine Anweisungen kümmere, daß ich keinen Befehlen gehorchen will, daß ich außerhalb jeder Partei stehe und kein Programm anerkenne.
– Es sind eigentümliche Eröffnungen, die Sie mir machen, aber ich soll Ihnen das Geld unter allen Umständen ausliefern.
Czerski sah sie mißtrauisch an.
– Sagen Sie, Fräulein, das Geld hat Falk geschickt?
– Woher wissen Sie es?
– Ich habe ihn gestern gesprochen.
– Sie haben ihn gesprochen?
– Ja.
Er dachte lange nach.
– Falk liebt seine Frau wohl sehr?
– Ja.
– Wie kann es nur kommen, daß er gleichzeitig eine Maitresse hat? Ich habe mir darüber die ganze Nacht den Kopf zerbrochen.
Olga sah ihn ein wenig erschrocken an. Sollte sein Verstand wirklich gelitten haben?
– Eine Maitresse sagen Sie? Das ist doch wohl nicht möglich.
– Ja, eine Maitresse ... Meine frühere Verlobte.
– Fräulein Kruk?
– Ja. Er hat mit ihr einen Sohn. Sie ist gerade vom Wochenbett aufgestanden.
Olga wurde sehr verwirrt. Sie sah ihn erschrocken an, merkte dann plötzlich ihre Erregung, suchte sie zu verbergen, ihre Hände zitterten und sie fühlte, wie ihr das ganze Blut zum Herzen floß.
Czerski schien nichts zu bemerken. Er ging auf und ab und grübelte.
– Nun, das überwindet man, sagte er endlich. Das ist ein Schmerz, ein großer Schmerz, aber man überwindet es. Anfangs, als sie ihre Besuche im Gefängnis einstellte, hab ich sehr gelitten ... Ja, sehr gelitten, wiederholte er nachdenklich ... Aber ich habe es überwunden. Es ist auch gut so. Es steht jetzt nichts mehr zwischen mir und der Idee ...
Er schwieg eine Weile.
– Als ich vor drei Tagen freigelassen wurde, da überkam es mich wieder. Gestern packte mich plötzlich eine Raserei gegen Falk, ich wollte ihn beleidigen und beschimpfen, aber da bekam ich mit einem Ruck die Angst, daß etwas zwischen mich und die Idee treten könnte, und ich habe es wieder überwunden. Es ist gut so, sehr gut ...
Falk will mich wohl los werden ... Er sollte wirklich keine Angst vor mir haben. Beruhigen Sie ihn, wenn Sie ihn treffen ...
Er richtete plötzlich seine Augen scharf auf Olga.
– Glauben Sie, daß Falk das Geld geschickt hat, um mich los zu werden?
– Wann haben Sie ihn gesprochen?
– Gestern.
– Na, dann glaub ich es gar nicht. Er wartete übrigens nur darauf, daß Sie freigelassen werden. Er schätzt Sie ungemein.
– Er ist aber ein Schurke. Ja, er ist ein Schurke.
– Nein, das ist er nicht. Er ist es ebenso wenig, wie Sie. Olga sprach kalt und abwehrend.
Czerski sah sie eine Weile aufmerksam an, antwortete aber nichts.
Er ging wieder nachdenklich auf und ab.
– Die gefälschte Bulle vom Papst Pius für die Agitation auf dem Lande hat Falk geschrieben? fragte er plötzlich.
– Ja.
– Sehr gut gemacht. Sehr gut, aber ich glaube nicht, daß es ihm Ernst ist. Er spielt mit der Idee. Er experimentiert. Er will wohl ästhetische Sensationen haben?
Olga schwieg.
– Nicht wahr? Sie kennen ihn doch sehr gut... Sehen Sie, Sie antworten nicht, Sie schweigen ... He, he ... er sucht die Gefahr, ich kann mir denken, daß er mit Freuden ins Gefängnis wandern würde, nicht weil er an die Sache glaubte, sondern weil er darin eine Sühne für seine Sünden zu finden gedächte.
Czerski belebte sich immer mehr.
– Ich habe Briefe früher von ihm bekommen, viele Briefe. O, er ist scharf und geschickt. Er hat Haß und viel, vielleicht sehr viel Liebe, ich habe ihn verehrt, aber ich sehe jetzt, daß das Alles nur Verzweiflung ist. Er will sich retten, er sucht krampfhaft nach Rettung, aber er kann an nichts glauben ... Ja, er ist sehr geschickt, ich wollte ihn gestern beleidigen, ich zwang mich, ihn zu beleidigen, aber er ist geschickt und boshaft. Ja, boshaft ...
Czerski brach plötzlich ab.
– Wollen Sie Tee haben?
– Gerne.
Er bereitete nachdenklich den Tee.
– Haben Sie Fräulein Kruk in den letzten Tagen gesprochen?
– Ja. Gleich als ich aus dem Gefängnis kam, ging ich zu ihr ... Sie weiß nicht, daß er verheiratet ist.
– Nicht? Olga fuhr erschrocken auf.
– Nein! Er hat gelogen. Sein ganzes Leben ist nur eine Kette von Lügen ...
Olga kam in eine große Unruhe. Es wurde ihr schwer, länger bei Czerski zu bleiben, sie stand auf.
– Ich kann doch nicht auf den Tee warten.
– Oh, bleiben Sie ein wenig. Ich war anderthalb Jahre allein. Es ist mir so lieb, einen Menschen um mich zu wissen.
Er sah sie bittend an.
Olga faßte sich und setzte sich wieder hin.
– Sie sind sehr betrübt, Fräulein ... Ja, wir haben