Stanislaw Przybyszewski: Romane, Erzählungen & Essays. Stanislaw Przybyszewski. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Stanislaw Przybyszewski
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027205639
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wäre Alles unglaublich lächerlich, wenn es nicht so fatal wäre. Die kleine winzige Lücke erweitert sich mit rapider Schnelligkeit. Es ist wie ein Gewächs mit langen Fortsätzen, die in jede Pore seiner Seele hineinkriechen, sich in jede Öffnung mit wachsender Wut hineinzwängen und das furchtbare Gift in den ganzen Organismus verschleppen ... Ha, ha, ha ...

      Warum ich so häßlich lache? Zum Donnerwetter, Mensch! ist das nicht zum Lachen?!

      Aber so geht es weiter. Die Phantasie ist einmal in Bewegung gesetzt. Sie wird plötzlich so üppig wie ein Urwald, scharf und giftig wie ein Indianerpfeil, erfinderisch wie Edison, grübelnd und ausdauernd im Denken, wie Sokrates, der bekanntlich die ganze Nacht vor seinem Zelte stand, ohne zu merken, daß ein fußtiefer Schnee gefallen war. Glauben Sie nicht, daß der alte Herr ein wenig posierte? ... Nun, die Phantasietätigkeit des Certain ist ja auch sehr interessant.

      Er sucht sich die Beiden vorzustellen. Sie saßen im Zimmer. Er hat es vorsichtig zugeriegelt. Sie hat langsam die Haare aufgemacht, dann ihre Taille aufgeknöpft, er stand inzwischen da, heiß, zitternd und fraß an ihr mit gierigen Blicken ...

      Niedliche Bilder, was?

      Oder, passons d' une autre côté ... Er sieht sein Kind an. Es fährt ihm plötzlich durch den Kopf, durch welches Wunder es verhütet wurde, daß sie nicht früher mit dem Andern ein Kind bekommen hat. Diese Frage, und die Möglichkeit, daß sie es eigentlich hätte bekommen sollen, macht ihn ganz toll.

      Oder: er liest eine gleichgültige Geschichte von zwei Liebenden ... He, he, ... Warum war er nicht der Erste? Und diese Frage macht ihn ganz rasend vor Verzweiflung.

      Oder: er bekommt eine ihrer Jugendphotographien zu sehen. War es vorher, oder nachher? Ja, natürlich vorher. Er sieht die Photographie an, er macht eine schmerzhafte Wissenschaft daraus, er liebt sie da, liebt sie mit einer schmerzhaften Qual, er verehrt sie in einer Agonie von Wut und Verzweiflung. Warum? Warum? Warum hat sie sich nicht so, so rein, so unwissend für ihn erhalten?

      Aus Allem, was ich hier Ihnen anführte, werden Sie wohl den genügenden Eindruck bekommen haben von dem seelischen Zustande unseres Certain.

      Er verliert das Gleichgewicht. Er versucht noch, das wuchernde Unkraut herauszureißen, die Wurzeln des giftigen Übels abzuschneiden, aber es ist zu spät. Er wird die Visionen nicht mehr los. In seiner Seele kocht die Wut, der Haß benimmt ihm den Verstand, er kann sie nicht anrühren, ohne an den Andern zu denken, er kann sie nicht ansehen, ohne an ihn erinnert zu werden. Seine Seele bekommt Runzeln und graue Haare. Und doch schleppt er sich hinter seiner Frau her wie ein kranker Hund. Er kann sie nicht entbehren, er liebt sie tausendmal mehr als früher in dieser Raserei, dieser kochenden Wut und diesem Haß. Können Sie das verstehen?

      Falk schrie.

      Können Sie das verstehen? Das ist Wahnsinn! Das ist kein Schmerz, das ist ... das ist ...

      Er bekam plötzlich Angst vor sich selbst und ein wilder Wutanfall packte ihn gegen den Menschen, der ihn zwang, dies Alles wieder durchzuleben, die alten Rinden aufzureißen.

      Er ging suchend im Zimmer herum mit geballten Fäusten, er war ganz von Sinnen.

      Warum ich schreie? Weil ich Herzkrampf habe, Kolik habe ich, Stiche rings herum in der ganzen Brust ... Oh hätt ich Dich hier, Du verfluchter Satan mit Deiner Wahrheitsforderung, Deinen Heiratsanträgen ... Ha, ha, ha ... ich Janina heiraten!

      Die Kräfte verließen ihn. Er setzte sich ans Fenster. Er trocknete sich den Schweiß von der Stirne, und wurde mit einem Mal ruhig. Er verfiel in ein schweres Brüten. Nun wird er wohl verstehen, wie man dazu kommt, ein Mädchen zu verführen. Selbstverständlich wird er verstehen. Er saß und saß, wiederholte unablässig in seinen Gedanken, daß der Czerski es nun endlich verstehen müsse, und wachte wieder auf.

      Er war wohl eingeschlafen.

      Und wieder sah er auf den Himmel, auf die dunkle, kranke Schwermut des Himmels und dann fühlte er, wie die Räume sich zu weiten und mit dem Ungestüm eines wilden Gerölls zu fliehen begannen.

      Er horchte gespannt auf.

      Es war ihm, als ringelten sich die Abgründe der Ewigkeiten in noch tiefere Tiefen, als formte sich die Ruhe zu einem unendlichen Trichter, der Alles verschlang und Zeit und Ton und das Schwermutslicht der Sterne – es war ihm, als wäre er eingehüllt in dunkle, dumpfe Fernen: Alles war verschwunden, nur Eins blieb: der weite, kranke Himmel über ihm.

      Und diesen Himmel hatte er mit seinen Augen gezeugt, mit seinen Armen hatte er seine Wölbung über das Erdenall geworfen ...

      Er sprang auf.

      Es kam ihm vor, als hätte sich die Tür geöffnet und Jemand wäre hineingekommen.

      Nein! Es kam ihm nur so vor.

      Und wieder ging er auf und ab.

      Furchtbar, furchtbar, daß Einem so etwas die Seele zerstören kann. Warum? Er wurde rasend. Bin ich dazu da, um alle Rätsel zu lösen? Hab ich nicht genug in meiner Seele gewühlt? Hab ich nicht mit der größten Peinlichkeit jeden Winkel meiner Seele durchstöbert? Aber kann ich das begreifen, was unter meinem Bewußtsein liegt, was sich jenseits von dem lächerlichen Gehirnleben abspielt? Kann ich das? He? Verstehen Sie nicht, Sie dummer Mensch, daß man unter gewissen Umständen dazu kommen kann, seine Frau zu betrügen? Verstehen Sie nicht, daß es Momente gibt, in denen man ein Weib so intensiv, so unerhört hassen kann, daß man es durch den Umgang mit einem andern Weibe beschmutzen muß aus Wut, aus Schmerz, aus Raserei, aus einem kranken Rachebedürfnis? Falk schüttelte sich vor Lachen. Aus Rache, weil das arme Weib fünf Jahre früher, ja, bevor sie mich traf, mich nicht gerochen hat!

      Falk lief umher. Die Unruhe wuchs, daß er glaubte, sein Kopf müßte bersten.

      Und jetzt, gerade jetzt, wo die Qual sich legte, wo die Wunde zu vernarben begann, jetzt wird man Isa von ihm losreißen.

      Sie wird natürlich gehen.

      Er suchte sich das vorzustellen.

      Nein, unmöglich! Er war an sie gefesselt. Sie war für ihn Alles. Er konnte ohne sie nicht leben. Er war mit ihr verwachsen, er wurzelte in ihr ...

      Eins wurde ihm klar: Er mußte Czerski los werden. Aber wie, wie?

      Ein Gefühl von verzweifelter Ohnmacht befiel ihn. Er wurde schlaff und resigniert. Was konnte er machen? Jetzt mußte Alles über ihn hereinbrechen.

      Da plötzlich schoß ihm ein Gedanke durch den Kopf.

      Olga mußte die ganze Sache ordnen. Das war der einzige Ausweg.

      Er wurde froh.

      Daß er daran nicht früher gedacht hatte!

      Mit fieberhafter Eile schrieb er einen langen Brief, steckte Papiergeld hinein, siegelte das Kuvert zu, lehnte sich in den Stuhl zurück und starrte gedankenlos vor sich hin.

      Plötzlich fuhr er auf.

      Jetzt haßte er sie wieder.

      Ja, sie war daran schuld, daß er so zerrissen, so elend wurde, daß er jeden Glauben verloren hatte, daß er kein Ziel und keinen Zweck im Leben sah.

      Sie, sie war daran schuld, daß er in seinem Gehirne nur die eine große, kranke Idee hatte, die eine Wut, den einen rasenden Haß, daß er nicht der Erste war ...

      Isa, Isa, wenn das nicht geschehen wäre! ... He, he, he ... Ja, natürlich, Herr Czerski ... Natürlich? Hab ich gesagt: natürlich!? Nichts ist natürlich, Alles ist ein Rätsel, Alles ist ein Abgrund und Alles eine Qual und ein Blödsinn ...

      Es war doch am Ende besser, daß nun Alles zu Ende ging.

      Und die Qual legte sich auf sein Herz und schnürte es fest und biß sich hinein mit feinen, langen, spitzen Zähnen ...

      Die Nacht war so schwül und so weit und so dunkel.

      Er sank in sich zusammen.

      Die Welt geht zu Grunde! Die Welt geht zu Grunde ...