Stanislaw Przybyszewski: Romane, Erzählungen & Essays. Stanislaw Przybyszewski. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Stanislaw Przybyszewski
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027205639
Скачать книгу
Publikum – beiläufig gesagt, hätt ich keine üble Lust, Euch Allen auf die Köpfe zu spucken, aber das darf ich nur in Parenthese – Gott wie geschmackvoll! Also unglaublich hochgeehrtes Publikum: ich lehre Euch einen neuen Kniff, einen ungemein nützlichen Kniff ... Es ist eine Entschleierung, ein Desavouement, ein neues Testament, ein neues Erlöserheil ... Am Anfang war die pfiffige, boshafte, teuflische Natur ... Man hat Euch gesagt, sie sei gewaltig, unbekümmert, kalt und stolz, sie sei weder gut noch schlecht, sie sei weder Dreck noch Gold ... Lüge, verehrtes Publikum, infame, lächerliche Lüge! Die Natur ist boshaft, raffiniert boshaft, verlogen, hinterlistig ... das ist die Natur! He, he, he ... Natürlich sperrt das verehrte Publikum seine Kauwerkzeuge auf, als ob ein vierspänniger Heuwagen einfahren sollte ... Ein geriebener Schlaumeier ist die Natur, ein boshafter, schurkischer Teufel ... Was bin ich? Weißt dus? Weiß er es? Natürlich! Die Individualisten, die klugen Leute, die sich da in die Brust werfen und schreien: Ich bin Ich! O, die wissen es ... die Individualisten!

      Falk lachte höhnisch auf.

      Ich bin nichts, ich weiß auch nichts! O! es ist furchtbar! Furchtbar ist es! Nicht wahr, Isa? Du bist die Einzige, die das Furchtbare zu würdigen versteht ... Ich sehe, daß sich meine Bewegungen zu Handlungen kombinieren, ich höre mich reden, ich fühle gewisse Vorgänge in den Geschlechtsorganen, und eine Tat ist vollbracht! Was ist geschehen? Ein Unglück ist geschehen! Hi, hi, hi, hört Ihr den Teufel grinsen? Wer hat es gemacht? Ich?! Ich?! Wer bin ich? Was bin ich?

      Er kam in ein Verzweiflungsfieber.

      Ich habe es nicht gemacht! Mein Gott, wie kann ich etwas hindern, das schon lange in mir vorbereitet war und nur auf eine Gelegenheit wartete, um hervorzubrechen und unter seiner Lava Alles zu begraben! Wußt ich etwas davon? Kann ich hindern, daß sich ein Blick in meine Seele senkt und dort Kräfte wachruft, Kräfte, von deren Existenz ich keine Ahnung hatte? Und dafür, daß etwas Unbekanntes in mir ein Unglück angestiftet hat, soll ich büßen, dafür soll ich von meinem Gewissen gefoltert werden?

      Liebe Natur, versuch deine boshaften, tückischen Kunstgriffe an anderen Menschen; ich kenne zu gut deine Kniffe und Schliche – nein! mich zu quälen, gelingt dir nie – nie!

      Er schenkte sich ein großes Glas Kognak ein und leerte es auf einen Zug.

      Wie wundervoll Der die Sache ausgeklügelt hatte! Er wird zu meiner Isa gehen und ihr einfach sagen: Gnädige Frau, Ihr Mann ist ein Schurke, er hat mit einem fremden Weibe den Anstoß zu einer neuen genealogischen Linie, zu einer unechten Falklinie gegeben. Sie, gnädige Frau, werden sich natürlich von ihm scheiden lassen, damit Ihr Gemahl das Mädchen heiraten kann, wodurch beide Linien eine genealogische Einheit erlangen. Ha, ha, ha ...

      Aber, lieber Czerski, es fällt mir gar nicht ein, zwei echte Linien zu haben.

      Nun, dann werd ichs trotzdem Ihrer Gemahlin sagen, denn ich will Sie von der Lüge befreien, ich bin ein Tolstoj, ein Björnstjerne-Björnson, ich kämpfe für die Wahrheit ...

      Aber, lieber Czerski, verstehen Sie nicht, daß die beiden Herren senile Philosophen sind, verstehen Sie nicht, daß die Wahrheit zu einer blödsinnigen Lüge wird, sobald sie Menschen zerstört? Verstehen Sie nicht, daß es mir ein unendliches Glück wäre, zu Isa zu gehen und ihr Alles zu sagen, verstehen Sie nicht, daß mir diese Lüge eine unendliche Qual bereitet, aber die Wahrheit mir noch eine tausendmal größere bereiten, und außerdem noch Isa zerstören würde? Verstehen Sie nicht, daß Wahrheit in diesem Falle eine Idiotie, ein Blödsinn, eine ekelhafte Grausamkeit wäre?

      Das verstehen diese bornierten Gehirne natürlich nicht. Und das Unheil wird kommen. Isa? Ja, Isa wird gehen. Das ist sicher. Sie wird einfach verschwinden ... nein, sie wird mir noch die Hand zum Abschied reichen, nein – vielleicht nicht, weil ich sie durch die Andere beschmutzt habe. Ja, ganz so wird sie sagen ... Aber was dann, was dann?

      Er zerbrach sich den Kopf als müßte er notgedrungen den Stein der Weisen finden.

      Seine Knie waren schwach geworden, er fiel erschöpft auf das Sofa hin.

      Es war zweifellos. Das Andere in ihm hatte ihn zu Grunde gerichtet. Er fühlte sich endlos erschlafft, schwach und machtlos:

      Die Macht der Umstände haben den wissenden Herrn Falk vernichtet, eben weil er wissend war. Aber wenn Herr Falk zu Grunde geht, so ist es doch ganz anders, wie wenn z. B. sich die kleine Marit ins Wasser wirft, weil sie sich nicht dazu hergeben wollte, Mutter einer Falkschen Seitenlinie zu werden. Es ist roh gedacht, sehr roh, aber diese Roheit tut weh, und das ist ein Genuß ... Aber ja, geht Falk zu Grunde, so kann er es kontrollieren, den Zusammenbruch von Etappe zu Etappe verfolgen, notieren, registrieren ...

      He, he, he ... die Natur hatte er nun gründlich entschleiert. Das Gewissen hatte er auch gänzlich überwunden ...

      Wollen Sie wissen, weswegen, Sie Wahrheitsfanatiker? Sperren Sie nur Ihre Ohren gut auf, damit Sie den unsagbaren Umfang Ihrer Dummheit einigermaßen übersehen ... Hören Sie nur auf meine Gründe, auf die Gründe des Wissenden, der die Natur entschleiert hat.

      Die Natur zerstört. Gut, sehr gut! Um zu zerstören, bedient sie sich verschiedener Mittel und zwar erstens der sogenannten Naturgewalten. In diese Kategorie entfallen ihre Gemütsblödigkeiten in Form von Blitzen, Stürmen, Wasser- und Windhosen u. s. w., u. s. w.

      Zweitens hat sie sich als ein ganz hervorragend wirksames Mordmittel die Bazillen auserkoren, eine prachtvolle und unglaublich schurkische Erfindung ...

      Drittens, nein! kein Drittens! Ich bin kein Klassifikator, ich bin Philosoph, folglich überspringe ich eine niedliche Anzahl von den niedlichsten Mord- und Marterwerkzeugen, wogegen die krampfhafteste Erfindungssucht der Inquisition zahm und vor Gott wohlgefällig erscheinen muß, und gehe sogleich zum Menschen über ...

      Der Mensch! Erlauben Sie nur, daß ich tief Atem schöpfe, meine trockene Kehle mit Kognak erfrische und ein wenig Nikotin meinem Magen zuführe.

      Also der Mensch! Homo sapiens in der Linnéschen Systematik: ein selbsttätiger Apparat, versehen mit einer Registrierungs- und Kontrolluhr in Form des Gehirnes!

      Wunderbar!

      Jetzt, bitte, hören Sie nur gut zu. Ich setze mein Evangelium fort, mein großes Erlösungswerk.

      Die Natur hat sich ihrer ewigen, zwecklosen Morde geschämt. Die Natur ist verlogen und feig, sie wollte die Schuld für ihre zwecklosen Morde von sich abwälzen und hat dem Menschen ein Gehirn gegeben.

      Wissen Sie, was ein Gehirn ist?

      Ein sehr schlechter, ausrangierter, unbrauchbarer Apparat. Denken Sie sich einen schlecht funktionierenden Blutwellenschreiber. Er wird das Steigen und Fallen des Pulses natürlich aufschreiben, aber falsch, ganz falsch. Man wird nur daraus ersehen, daß ein Senken und Fallen vorhanden ist, aber nichts weiter. Sehen Sie, auf diese Weise erfährt auch das Gehirn, daß etwas in der Seele vorgeht, aber was? darüber erfährt es nichts. Kurz gesagt, wenn auch der Vergleich hinkt, und durchaus keinen Anspruch auf Exaktheit erhebt, das Gehirn wird betrogen und belogen und erfährt erst später, nachdem es Geschehenes summiert hat, daß es betrogen wurde.

      Aber damit ist die raffinierte Grausamkeit noch nicht zu Ende.

      Mit dem schlecht funktionierenden Gehirne ist noch ein niedliches Zeug von Gewissen verbunden, Jahrtausende lang daraufhin dressiert, Qual zu verursachen für die Sünden, die die Natur begeht.

      He, he, ein ganz unglaubliches Raffinement ...

      Aber auch damit ist die Sache nicht zu Ende.

      Durch einen eigentümlichen Kniff hat es die Natur dem Tölpel von Menschen eingebleut, daß es ein gewaltiger Vorzug sei, Gehirn und Gewissen zu haben.

      Denn was unterscheidet den Menschen vom Tiere?

      Der Mensch weiß, was er tut ...

      Falk horchte. Wird ihn nicht bald ein Lachkrampf überwältigen?

      Der Mensch hat das Gehirn bekommen, auf daß er den Gott scilicet die Natur erkenne, ihm für seine Wohltaten danke ...

      Nein! Ich muß aufhören. Sonst lauf ich wirklich Gefahr, Lachkrämpfe zu