Stanislaw Przybyszewski: Romane, Erzählungen & Essays. Stanislaw Przybyszewski. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Stanislaw Przybyszewski
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027205639
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seine Sätze sausten ihr im Kopfe, jagten, überstürzten sich.

      Eine trostlose Müdigkeit ließ sie ganz in sich zusammensinken.

      Und er sagte, daß sie ihn nicht liebe! Wie sagte er doch nur? Ja, die Formel sei stärker, als ihre Liebe – nein, nein! Er solle es sehen! Sie wolle ihn lieben! Sie wolle ihn umarmen! Ja, sie wolle ihn lieben. Möge Gott sie verdammen, in die tiefste Hölle stürzen, aber sie werde ihn lieben.

      Sie riß sich auf und ging ans Fenster.

      Sie versuchte zu denken.

      Draußen brauste der Frühlingswind und heulte in den Bäumen.

      Sie fühlte wieder seine Arme um ihren Nacken; sie widerstrebte nicht; sie gab sich ihm. Sie sog mit allen Poren das giftige Glück in ihren Körper, sie ließ sich nehmen, sie gab sich ihm – o, Ihm – so heiß – so warm.

      Nein! Nein!

      Endlich fand sie die Streichhölzer.

      Sie machte Licht; ein schwankender Streifen fiel auf das Gesicht der byzantinischen Madonna.

      Marit blieb gebannt stehen, willenlos ohne sich rühren zu können.

      Sie starrte mit wachsendem Entsetzen.

      In dem fiebernden Hirn des Kindes verschob sich das Antlitz der Gottesmutter zu einem höhnischen Grinsen, dann zu schmerzvollem Mitleid und nun zum furchtbaren, strafenden Ernst.

      Sie wollte sich niederwerfen, sie konnte nicht. Sie war wie eingewurzelt in den Boden. Angstschweiß trat ihr auf die Stirn; sie keuchte. Das Entsetzen schnürte ihr das Herz zusammen.

      Endlich zeigte ihr die Unbefleckte das alte, holdselige Lächeln.

      Unter dem Bett her kam ein rauschendes Knistern. Verstört sprang sie zur Seite; sie wagte nicht Atem zu holen.

      Nein, es war nur in der Tapete.

      Sie wollte fliehen; das ganze Haus saß voll von Gespenstern. Sie horchte zitternd, gespannt.

      Es war ganz still.

      Gott, wie unheimlich, wie gräßlich unheimlich. Sie müsse fliehen, weit, weit weg – zu Ihm – oh, zu Ihm –

      Nein!

      Beten!

      Nein, das konnte sie nicht. Etwas stak in ihr, das ihr die Hände auseinander bog, und wenn sie es versuchte, stieg der Schweißgeruch der Kirche wieder auf und sie hörte seinen Hohn.

      O, wie unglücklich sie war. Und Er hatte sie dazu gemacht – nein, nicht er; er war ja selbst so unglücklich.

      Was sollte sie nur anfangen? Alle, alle hatten sie verlassen.

      Sie warf sich auf das Bett und vergrub das Gesicht in die Kissen. Ein krampfhaftes Schluchzen warf sie hin und her.

      Das beruhigte sie.

      Er war so gut. Sie werde ihn so heiß bitten, daß er nichts von ihr verlangen möge, nur bei ihr bleibe und mit ihr spreche.

      – Aber er bleibt ja nicht; er geht ja fort!

      Sie sprang auf.

      – Ja, er ist schon fort ... fort ... fort!

      Sie lief in jagender Unruhe im Zimmer herum, sie preßte den Kopf mit beiden Händen.

      Ja, sie wußte es ganz genau: weg – er ist weg!

      Und von neuem riß sich ein langes, würgendes Schluchzen aus ihrer Kehle.

      Nein, nein – es ist unmöglich – er ist so gut – so gut; er geht nicht von mir.

      Erik – Erik, wimmerte sie; ich bin bei dir, ich will alles tun, nur geh nicht weg!

      Ihre Gedanken verwirrten sich; sie horchte auf ihr eigenes Schluchzen.

      Nicht beten – nicht beten! Ich will kein Himmelreich! ich will Ihn – Ihn!

      Aber die Unruhe wuchs und schäumte und kochte; sie konnte diese Qual nicht länger aushalten ... Gott, diese grinsenden Schatten an der Wand, und dies strafende Gericht der Jungfrau.

      Sie mußte fort.

      Sie zog sich fiebernd an und lief in den Park hinunter.

      Der kalte Wind beruhigte sie. Ihr wurde merkwürdig leicht. Sie dachte an nichts. Nein, sie konnte wirklich nicht denken.

      Sie ging in der Parkallee auf und ab; es wurde kälter und kälter, heftige Regenschauer durchnäßten sie bis auf die Haut.

      Sie ging wieder hinauf und legte sich ins Bett.

      Plötzlich im Einschlafen sah sie deutlich Falks Gesicht.

      Er starrte sie an, dann verzog sich sein Gesicht zur teuflischen Fratze; er biß sie mit seinen Vampiraugen, er fraß förmlich an ihrer Seele.

      Sie sah entsetzt hin. Sie wollte sich vor ihm verkriechen. Aber es war, als hätte eine ganze schwere Welt sich auf ihr Herz gelegt, sie mußte ihn unverwandt anstarren.

      Mit letzter Kraft raffte sie sich auf: das Gesicht schwand, nur ein höhnisches Grinsen sah sie noch in den verschwimmenden Zügen.

      Sie holte tief Atem und setzte sich hoch.

      Sie horchte. Etwas war in ihr, das sprechen wollte. Es bäumte sich; und höher und höher. Ein grausiges Geheimnis werde sie nun hören: Falks Seele.

      So hatte sie ihn niemals gesehen. Ihr Gehirn rang nach Klarheit. Mit unheimlicher Angst horchte sie auf ihre Zweifel. Da – : hatte er gelogen?

      Er? Ja! Sie hörte ihn, wie er jenen Namen zu ihr sprach am ersten Abend – Fräulein Perier.

      Nein, er lügt nicht ... Aber? was? was? was war es ...

      Sie konnte nicht mehr denken. Sie war zu müde. Sie lag und starrte in den Schatten.

      Draußen war es still geworden, draußen hatte sich der Wind gelegt. Auf dem holdgeneigten Antlitz der wundertätigen Jungfrau spielte der Schimmer der Kerze.

      Nein, sie dachte an nichts mehr. Vor ihren Augen war ein großes, helles Feld mit Blumen, und von weitem sah sie Falk ankommen, und jetzt ging sie zu ihm ... er war so gut, so gut ...

      VI.

       Inhaltsverzeichnis

      Am nächsten Tage war ein wunderbarer Morgen. Über der ganzen Gegend lag der tauglänzende Sonnenschein, und von den Feldern löste sich in silbrigen Schwaden der Nebel.

      Marit ging zur Frühmesse. Sie war sehr bleich, aber aus dem abgequälten, vergrämten Kindergesicht sprach eine überirdische Ruhe.

      Sie ging, in den Händen den Rosenkranz, und flehte den heiligen Geist um die Gnade der Erleuchtung an.

      Als sie in die Klosterkirche eintrat, hatte der Priester soeben das heilige Amt der Messe in einer Nebenkapelle begonnen. Marit kniete nieder vor dem Hochaltar und betete ein inbrünstiges Gebet. Seitwärts in einem Beichtstuhl saß ein junger Priester und betrachtete sie neugierig. Er hatte gleichfalls einen Rosenkranz in den Händen und seine Finger glitten mechanisch von einer Perle zur andern.

      Marit stand auf und trat an den Beichtstuhl.

      Die Beichte dauerte lange.

      Plötzlich erhob sich Marit, ging mit scheuen Schritten an eine Bank unter dem Orgelchor, setzte sich hin, verbarg ihr Gesicht in den Händen und fing zu weinen an.

      Der schamlose Mensch! Sie nach solchen Dingen zu fragen! Nein, sie mochte nicht daran denken. Ihr Kopf war ganz wirr. Sie hatte den Priester nicht verstanden. Es war unmöglich: ein Diener Gottes konnte nicht solche Fragen stellen.

      Dunkle Schamröte stieg in ihr Gesicht.

      Der rohe Sohn eines Knechtes! Ja, sie wußte, er war ein Bauer. Erik hatte Recht, daß er