Er starrte auf den See und die flirrende Mittagshitze drüben im Walde.
Marit suchte wieder das Gespräch anzuknüpfen.
– Warum er eigentlich gestern so schlecht zu ihr gewesen sei?
Schlecht? – Nein, was sie sage ...
Falk gähnte.
– Schlecht? Durchaus nicht; nur betrübt sei er gewesen. Er liebe sie. Er wolle, daß sie sich in seinen Geist einlebe, ein Stück von ihm werde. Aber im Gegenteil: Alles, was er verachte, was er für niedrig und dumm halte, das verehre sie. Alles, was er ihr sagen wolle, das könne sie nicht anhören. Er, der Freie, der Herr, könne selbstverständlich nicht ruhig ansehen, wenn das Weib, das er so unaussprechlich liebe, in so elend niedriger Sklaverei hinlebe. Er, der für sich selbst Gott und das oberste Gesetz sei, werde ganz krank, wenn er sehe, wie jede ihrer Handlungen durch irgend eine Formel von vornherein bedingt sei ...
Ja, das verdirbt, zerstört Sie mir, sprach er erregt. Sie lösen sich dadurch völlig von meinem Gehirne los. Geben Sie Almosen, so weiß ich ohne weiteres, Sie tun es, weil es in Ihrem Gesetzbuch steht: »Seid mitleidig, auf daß Ihr ins himmlische Königreich kommt.« Gehen Sie zu einem Kranken, weiß ich wieder, daß irgend eine Formel Ihnen was Schönes dafür verspricht. Für alles werden Sie entschädigt, für alles bezahlt. Fühlen Sie nicht das Niedrige, das Gemeine dieser Handlungsweise? Alles nur um des Lohnes willen; alles um der lächerlichen, eingebildeten Freuden willen, die Sie einst im Himmelreich erwarten. Ekelhaft!
Marit wurde ganz blaß.
Falk geriet in Wut.
– Tun Sie doch etwas, weil Sie es müssen, nicht weil Sie es sollen! Schmeißen Sie weg, was Ihnen nicht genehm ist! Seien Sie doch Sie, nur Sie, Sie, die herrliche, wunderbare Marit ... Ja, ja, ja! in alle Ewigkeit ja! Sie sagen, daß Sie mich lieben, und eine dumme Formel genügt, um Ihre herrlichsten, gewaltigsten Instinkte zu brechen. Und nachher beten Sie dann noch zehn Rosenkränze zur Jungfrau Maria, daß sie Ihre Seele aus den Krallen des Bösen gerettet hat. Das soll Liebe sein? Das? Das Liebe, die durch eine dumme Formel gebrochen werden kann.
Falk lachte mit wildem Hohn.
Marit saß stumm, zitternd an allen Gliedern.
– Ja, so antworten Sie mir doch! Das soll Liebe sein? Antworten Sie doch, was Sie unter Liebe verstehen!
Marit schwieg.
– Marit, antworte mir! Ich will dich nicht quälen, nein. Ich liebe dich bis zur Verrücktheit. Ich bin krank nach dir! Ja, ich weiß, daß du mich liebst, ja. Ich weiß es; nichts weiß ich sicherer ...
Falk rückte ihr ganz nahe; er umschlang sie.
– Nein, um Gotteswillen! Falk, Erik, nein. Quälen Sie mich doch nicht so furchtbar!
– Ah pardon! Tausendmal pardon. – Ja, ja, ich habe mich wieder vergessen. Gott ja, es ist auch gleichgültig. Es soll niemals mehr vorkommen ... Wollen wir nicht gehen?
Falk gähnte affektiert.
An seiner Seite ging Marit, zerrissen von Schmerz. Sie bemühte sich vergeblich, ihn zu bemeistern.
– Ja, ja; es ist alles ganz gleichgültig, wiederholte sie in ihren Gedanken.
– Nun auf Wiedersehen! Falk reichte ihr die Hand. Sie waren an der Gartentür angelangt.
Marit zuckte auf.
Er darf nicht fahren, schrie es in ihr; um Himmelswillen nicht fahren!
Sie griff nach seiner Hand.
– Sie fahren nicht, Falk? Nein? Sie dürfen nicht fahren! Machen sie, was Sie wollen, aber fahren Sie nicht.
Ihre Lippen bebten; sie konnte sich nicht mehr beherrschen.
– Fahren Sie nicht! Sie machen mich sonst unglücklich!
Ihre Stimme brach.
Falk sah sie kalt und hart an.
– Ja, das weiß ich nicht. Das hängt von den Umständen ab. Jedenfalls werden Sie noch von mir hören, bevor ich fahre.
Er sagte kurz Adieu und ging.
V.
Es war Nacht. Draußen raste ein starker Wind; von Zeit zu Zeit peitschte er gegen die Fenster dicke Regenschauer, die an den Scheiben winselnd niederflossen.
Marit saß halbangekleidet auf ihrem Bette; sie hatte nicht Kraft genug, sich auszukleiden.
Wozu auch? Sie kannte es von vielen Nächten her. Sie würde sich hinlegen, das Bett würde mit ihr im Zimmer herumtanzen, dann würde sie sich aufrichten und die Kissen zurechtrücken und in die finstere Stube hineinstarren, dann ganz aufstehen und die Stirne gegen die Fensterscheibe pressen; und so wieder von neuem, stier brütend, gedankenlos.
Das ist alles gleichgültig, alles umsonst ...
Sie wiederholte dies in ihren Gedanken mit immer neuem Schmerz.
Vor dem Bilde der wundertätigen Maria brannte das rote Öllämpchen, das sie immer von neuem gefüllt hatte, und das gespenstische Licht erleuchtete zur Hälfte das Zimmer.
Der Docht kippte um, und die Flamme fraß an dem Öl. Ein schlechter Geruch qualmte durch das Zimmer.
Die schweißige Kirche mit dem üblen Geruch – unwillkürlich dachte sie an Falks Worte.
Sie löschte die Flamme aus; nun war es ganz dunkel.
Sie stierte gedankenlos in die öde Leere des Dunkels.
Mein Gott, was wollte er nur mit ihr, was wollte er nur?
Eine glühende Blutwelle schoß in ihr Gesicht.
Sie ahnte es; sie verstand es nicht. Da mit einem Male fühlte sie seine suchenden Lippen. Es war ihr, wie wenn sich eine zackige Blitzschlange durch ihre Brust gebohrt hätte.
Sie konnte nicht denken, sie fühlte nur den wilden, begehrlichen Schauer durch ihren Körper zucken. Sie stemmte beide Hände zwischen die Knie, beugte sich vornüber und zog die Beine an sich. So saß sie zusammengekauert auf dem Rand des Bettes und horchte mit ängstlichem Schmerz auf das Unbekannte, Furchtbare.
Was war das? Das kam so oft; immer von neuem. Sie fürchtete es. Sie zitterte davor. Oh wie gerne, oh wie gerne, möchte sie ihm um den Hals fallen, heiß, wild, in stummer Leidenschaft, und ihn küssen, ja – küssen ...
Aber dann kam es wieder und machte sie verrückt; die Sinne vergingen ihr, alles tanzte dann in Kreisen um sie herum.
Das war die Sünde.
Sünde! Sünde!
Sie riß sich auf; sie flog an allen Gliedern, tastete zitternd nach den Streichhölzern, fand sie nicht; sie warf sich vor dem Bett auf die Knie.
Sie suchte sich zu sammeln, zum Gebet.
Aber Sie konnte kein Wort finden.
– Lächerliche Formeln! hörte sie deutlich Einen hinter sich höhnen.
Entsetzt drehte sie sich um. Nein, es war in ihr! Falk hatte in ihr gesprochen.
– Alles tun Sie um der eingebildeten Himmelsfreuden willen. Seien Sie doch Sie selbst!
– Gott, Gott! stöhnte sie laut.
Plötzlich kam es ihr vor, als hätte jemand ihr verboten zu beten. Sie versuchte sich zu zwingen, sie rang nach Worten.
Nein, es ging nicht. Kein Wort! Maria hatte sie verlassen.
Wofür strafte sie nur Gott so grausam? Was hatte