Deutsche Lebensbilder. Heinrich von Treitschke. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Heinrich von Treitschke
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 4064066114695
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Welt tritt er ein mit dem stolzen Bewußtsein eines apostolischen Berufs: „So bin ich drum wahrhaft Stifter einer neuen Zeit — der Zeit der Klarheit — bestimmt angebend den Zweck alles menschlichen Handelns, mit Klarheit Klarheit wollend. Alles andere will mechanisieren, ich will befreien.” — Wenn Goethe fürchtete, der eigenrichtige Mann sei für sich und die Welt verloren: für den Philosophen war das Widerstreben der Welt gar nicht vorhanden. „Wenn ich im Dienste der Wahrheit stürbe,” sagt er einfach, „was täte ich dann weiter als das, was ich schlechthin tun müßte?”

      Ein Eloge zu halten ist nicht deutsche Weise, und in Fichtes Geiste am wenigsten würde ich handeln, wenn ich nicht trotzig sagte, wie gar fremd unserer Zeit, die an sich selber glaubt und glauben soll, dieser Idealismus geworden ist, der so nur einmal möglich war und keinen Schüler fand. Seit jenen Tagen ist das Leben unseres Volkes ein großer Werkeltag gewesen. Wir haben begonnen in harter Arbeit den Gedanken der Welt einzubilden und sind darüber der Natur freundlich näher getreten. Sehr vieles nehmen wir bescheiden hin als Ergebnis der Natur und Geschichte, was Fichte dem Sittengesetze zu unterwerfen sich vermaß. Mit dem steigenden Wohlstande ist ein hellerer Weltsinn in die Geister eingezogen; ein schönes Gleichmaß von Genuß und Tat soll uns das Leben sein. Wer unter uns bezweifelt, daß die Sittlichkeit der Athener eine reinere war als die Tugend der Spartaner und dem Genius unseres Volkes vertrauter ist? Seitdem ist auch die gute Laune wieder zu ihrem Rechte gelangt, wir heißen sie willkommen selbst mitten in der Spannung des Pathos; die kecke Vermischung von Scherz und Ernst in Shakespeares Gedichten ist erst dem realistischen Sinne der Gegenwart wieder erträglich geworden. Doch eben weil jener Idealismus Fichtes unserem Sinne so fern liegt, weil längst der Zeit verfiel, was daran vergänglich war, weil Lust und Not des rastlosen modernen Lebens uns von selber ablenken von jeder Überspannung des Gedankens — eben deshalb gereicht es unseren fröhlicheren Tagen zum Segen, sich in diese weltverachtenden Ideen weltverachtender Sittlichkeit zu versenken wie in ein stählendes Bad der Seele, Selbstbeherrschung daran zu lernen und zu gedenken, daß ein tatloses Wesen dem Humor anhaftet und der Dichter sicher wußte, warum er seinem Hamlet die Fülle sprudelnden Witzes lieh. Wie beschämt muß all unsere heitere Klugheit verstummen vor dem einen Worte: „Nur über den Tod hinweg, mit einem Willen, den nichts, auch nicht der Tod, beugt und abschreckt, taugt der Mensch etwas.”

      Noch immer, leider, werden übergeistreiche Beurteiler nicht müde, das Bild des Denkers in eine falsche Beleuchtung zu rücken. Man nennt ihn einen Gesinnungsgenossen der Romantiker — ihn, dessen spartanische Strenge so recht den Gegensatz bildet zu der vornehm spielenden Ironie der Romantiker — ihn, der, obwohl nicht frei von mystischen Stimmungen, dennoch als ein herber Protestant, für alle katholisierenden Richtungen nur Worte schärfster Verachtung hatte. Auch Fichte genoß ein wenig von dem Segen jener schönen, reizvollen Geselligkeit, welche die Gegenwart nicht mehr kennt; geistreiche Frauen saßen zu seinen Füßen und stritten sich um die Ehre, ihm Famulusdienste zu leisten, wenn er über die höchsten Gegenstände der Erkenntnis sprach. Und doch ist nie ein Mann freier gewesen von jeder romantischen Vergötterung der Frauen. Abhängigkeit, Bedürftigkeit war ihm das Wesen des Weibes. Leidenschaftslos, voll warmer, treuer Zuneigung steht er ehrenfest neben seinem Weibe, gleich einem jener derben Bürger auf alten deutschen Holzschnitten; kein schöneres Lob weiß er ihr zu sagen als „männlichere Seele, Johanna!” — Das Ärgste aber in der Umkehrung der Wissenschaft hat Stahl geleistet; er nennt Napoleon das verkörperte weltschaffende Ich Fichtes. Also, in dem Helden der souveränen Selbstsucht wäre Fleisch geworden das System des deutschen Denkers, der unermüdlich eifert, es sei die Seligkeit des Ich, sich der Gattung zu opfern?! — Auch das ist vielen ein Rätsel gewesen, wie dieser schroffe, schneidige Charakter gerade aus dem obersächsischen Stamme hervorgehen konnte. Er selber sagt von seiner Heimat, sie berge „einen Grad von Aufklärung und vernünftiger Religionskenntnis, wie ihn in dieser Ausdehnung gegenwärtig kein Land in Europa besitzt”. Doch das alles sei „durch eine mehr als spanische Inquisition eingezwängt. Daraus entsteht denn eine knechtische, lichtscheue, heuchlerische Denkungsart.” In der Tat, alle Voraussetzungen echter Geistesfreiheit, eine Fülle von Bildungsmitteln, eine weit verbreitete Volkskultur waren vorhanden in dem Mutterlande der Reformation. Aber Druck von oben und das Übermaß geistigen Schaffens, dem kein großes politisches Wirken das Gegengewicht hielt, hatten in dem ohnedies mehr elastischen als massiven Stamme endlich jene Schmiegsamkeit und Höflichkeit erzeugt, welche schroffe, reformatorische Naturen nur schwer erträgt. Nächst dem schwäbischen hat das obersächsische Land die größte Zahl von Helden des deutschen Geistes geboren; aber Obersachsen verstieß die Mehrzahl seiner freieren Söhne. In allen diesen Heimatlosen, in Pufendorf und Thomasius, in Lessing und Fichte, erhebt sich der freie Geist, der solange mit der zahmen Sitte seiner Umgebung gerungen, zu schroffem Stolze; rücksichtsloser Freimut wird ihnen allen zur Leidenschaft. —

      Dem Vielgewanderten kamen endlich frohere Tage, als eine Änderung seiner äußeren Lage ihm erlaubte, seine treue Johanna heimzuführen, und der Ruf ihn traf zu der Stelle, die ihm gebührte, zum akademischen Lehramte in Jena. Schon der erste Plan des jungen Mannes war der kecke Gedanke gewesen, eine Rednerschule zu gründen in einem Volke ohne Rednerbühne. Nach seiner Auffassung der Geschichte wurden alle großen Weltangelegenheiten dadurch entschieden, daß ein freiwilliger Redner sie dem Volke darlegte, und er selber war zum Redner geboren. Zur Tat berufen sind jene feurigen Naturen, denen Charakter und Bildung zusammenfallen, jede Erkenntnis als ein lebendiger Entschluß in der Seele glüht; doch nicht das unmittelbare Eingreifen in die Welt konnte den weltverachtenden Denker reizen. Von ihm vor allen gilt das Stichwort des philosophischen Idealismus jener Tage, daß es für den wahrhaft sittlichen Willen keine Zeit gibt, daß es genügt, der Welt den Anstoß zum Guten zu geben. Auf den Willen der Menschen zu wirken, des Glaubens, daß daraus irgendwo und irgendwann die rechte Tat entstehen werde, das war der Beruf dieses eifernden geselligen Geistes. Daher jener Brustton tiefster Überzeugung, der, wie alles Köstlichste des Menschen, sich nicht erklären noch erkünsteln läßt. Daher auch der Erfolg — in diesem seltenen Falle ein sehr gerechter Richter — denn was der große Haufe sagt: „ihm ist es Ernst”, das bezeichnet mit plumpem Wort und feinem Sinn den geheimsten Zauber menschlicher Rede. Vergeblich suchen wir bei Fichte jene Vermischung von Poesie und Prosa, womit romanische Redner die Phantasie der Hörer zu blenden lieben. Sogar die Neigung fehlt ihm, freie Worte als ein Kunstwerk abzuschließen; der Adel der Form soll sich ihm gleich der guten Sitte ungesucht ergeben aus der vollendeten Bildung. Nur aus der vollkommenen Klarheit erwächst ihm jede Bewegung des Herzens; die Macht seiner Rede liegt allein begründet in dem Ernste tiefen gewissenhaften Denkens, eines Denkens freilich, das sichtbar vor unseren Augen entsteht.

      Er strebt nach der innigsten Gemeinschaft mit seinen Hörern; an der Energie seines eigenen Denkens soll ihre Selbsttätigkeit sich entzünden; er liebt es, „eine Anschauung im Diskurs aus den Menschen zu entwickeln”. „Ich würde”, sagt er schon in einer Jugendschrift, „die Handschrift ins Feuer werfen, auch wenn ich sicher wüßte, daß sie die reinste Wahrheit, auf das bestimmteste dargestellt, enthielte, und zugleich wüßte, daß kein einziger Leser sich durch eigenes Nachdenken davon überzeugen würde.” Diese Selbstbesinnung des Hörers zu erwecken, ihn hindurchzupeitschen durch alle Mühsal des Zweifels, angestrengter geistiger Arbeit — dies ist der höchste Triumph seiner Beredsamkeit, und es ist da kein Unterschied zwischen den „Reden” und den Druckschriften; alle seine Werke sind Reden, das Denken selber wird ihm alsbald zur erregten Mitteilung. Ein Meister ist er darum in der schweren Kunst des Wiederholens; denn wessen Geist fortwährend und mit schrankenloser Offenheit arbeitet, der darf das hundertmal Gesagte noch einmal sagen, weil es ein Neues ist in jedem Augenblicke, wie jeder Augenblick ein neuer ist. Doch vor allem, er denkt groß von seinen Hörern, edel und klug zugleich hebt er sie zu sich empor, statt sich zu ihnen herabzulassen. Die Jugend vornehmlich hat dies dankend empfunden; denn der die Menschheit so hoch, das gegenwärtige Zeitalter so niedrig achtete, wie sollte er nicht das werdende Geschlecht lieben, das noch rein geblieben war von der Seuche der Zeit? Der stets nur den ganzen Menschen zu ergreifen trachtete, er war der geborene Lehrer jenes Alters, das der allseitigen Ausbildung der Persönlichkeit lebt, bevor noch die Schranken des Berufs den Reichtum der Entwicklung beengen. Endlich — fassen wir die Größe des Redners in dem einen von tausend Hörern wiederholten Lobe zusammen —, was er sprach, das war er. Wenn er die Hörenden beschwor, eine Entschließung zu fassen, nicht ein schwächliches Wollen irgend