Deutsche Lebensbilder. Heinrich von Treitschke. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Heinrich von Treitschke
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 4064066114695
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Pläne würdigten: dem Philosophen war kein Zweifel, der Charakter der Pestalozzischen Erziehungsweise sei — „ihre Unfehlbarkeit”; fortan sei nicht mehr möglich, daß der schwache Kopf zurückbleibe hinter dem starken.

      Zu solchem Zwecke redet er „für Deutsche schlechtweg, von Deutschen schlechtweg, nicht anerkennend, sondern durchaus beiseite setzend und wegwerfend alle die trennenden Unterscheidungen, welche unselige Ereignisse seit Jahrhunderten in der einen Nation gemacht haben”. „Bedenket — beschwört er die Hörer —, daß ihr die letzten seid, in deren Gewalt diese große Veränderung steht. Ihr habt doch noch die Deutschen als Eines nennen hören, ihr habt ein sichtbares Zeichen ihrer Einheit, ein Reich und einen Reichsverband, gesehen oder davon vernommen, unter euch haben noch von Zeit zu Zeit Stimmen sich hören lassen, die von dieser höheren Vaterlandsliebe begeistert waren. Was nach euch kommt, wird sich an andere Vorstellungen gewöhnen, es wird fremde Formen und einen anderen Geschäfts- und Lebensgang annehmen, und wie lange wird es noch dauern, daß keiner mehr lebe, der Deutsche gesehen oder von ihnen gehört habe?” — Auch den letzten kümmerlichen Trost raubt er den Verzagten, die Hoffnung, daß unser Volk in seiner Sprache und Kunst fortdauern werde. Da spricht er das furchtbare Wort: „Ein Volk, das sich nicht selbst mehr regieren kann, ist schuldig, seine Sprache aufzugeben.” So geschieht ihm selber, was er seinem Luther nachrühmte, daß deutsche Denker, ernstlich suchend, mehr finden als sie suchen, weil der Strom des Lebens sie mit fortreißt. In diesem radikalen Satze schlummert der Keim der Wahrheit, welche erst die Gegenwart verstanden hat, daß ein Volk ohne Staat nicht existiert. — „Es ist daher kein Ausweg,” schließen die Reden — „wenn ihr versinkt, so versinkt die ganze Menschheit mit, ohne Hoffnung einer einstigen Wiederherstellung.”

      Wir Nachgeborenen haben den bewegenden Klang jener Stimme nicht gehört, welche die andachtsvollen Zuhörer zu Berlin ergriff, — und jeder rechte Redner wirkt sein Größtes durch einen höchstpersönlichen Zauber, den die Nachwelt nicht mehr begreift — aber noch vor den toten Lettern zittert uns das Herz, wenn der strenge Züchtiger unseres Volkes „Freude verkündigt in die tiefe Trauer” und an die mißhandelten Deutschen den stolzen Ruf ertönen läßt: „Charakter haben und deutsch sein ist ohne Zweifel gleichbedeutend.” — Und welchen Widerhall erweckten diese Reden in der Welt? Achselzuckend ließ der Franzose den törichten Ideologen gewähren, gleichgültig erzählte der Moniteur von einigen Vorlesungen über Erziehung, die in Berlin einigen Beifall gefunden. Die Fremden wußten nicht, aus wie tiefem Borne dem deutschen Volke der Quell der Verjüngung strömte, und kein Verräter erstand, ihnen den politischen Sinn der Reden zu deuten. Mit wieviel schärferem politischen Blicke hatte einst Machiavelli seinem Volke den allerbestimmtesten Plan der Rettung mit den bestdurchdachten Mitteln vorgezeichnet! Aber sein Principe blieb ein verwegenes Traumbild; die Reden des deutschen Philosophen wurden einer der Funken, daran sich die Glut der Befreiungskriege entzündete. Fichte freilich meinte, sein Wort sei verhallt in den „tiefverderbten” Tagen, sein ganzes System sei nur ein Vorgriff der Zeit. Denn es ist das tragische Geschick großer Männer, daß sie ihren eigenen Geist nicht wiedererkennen, wenn er von den Zeitgenossen empfangen und umgeformt wird zu anderen Gestalten, als sie meinten. Und dennoch war der Redner an die deutsche Nation nur der Mund des Volkes gewesen, er hatte nur dem, was jedes Herz bewegte, einen kühnen, hochgebildeten Ausdruck geliehen. Denn was war es anders, als jene höhere Vaterlandsliebe, die der noch ungeborenen Enkel denkt — was anders war es, das den Landwehrmann von Haus und Hof und Weib und Kindern trieb, das unsere Mütter bewog, alles köstliche Gut der Erde bis zu dem Ringe des Geliebten für ihr Land dahinzugeben? Was anderes war es, als daß sie unser gedachten? In diesem Sinne — denn wer ermißt die tausend geheimnisvollen Kanäle, welche das durchdachte Wort des Philosophen fortleiteten in die Hütte des Bauern — in diesem Sinne hat Fichtes Wort gezündet, und die Kundigen stimmten ein, wenn Friedrich Gentz, diesmal wahrhaft ergriffen, sagte: „So groß, tief und stolz hat fast noch niemand von der deutschen Nation gesprochen.”

      Wieder kamen Jahre stiller Arbeit. Unter den ersten wirkte Fichte bei der Gründung der Berliner Hochschule, die dem erwachenden neuen Geiste ein Herd sein sollte. Ein Glück, daß Wilhelm v. Humboldt, als ein besonnener Staatsmann, an die altbewährten Überlieferungen deutscher Hochschulen anknüpfte und die verwegenen Gedanken des Philosophen verwarf; denn mit der ganzen Strenge seiner herrischen Natur hatte Fichte einen Plan mönchischer Erziehung entworfen, der die Jugend absperren sollte von jeder Berührung mit den Ideenlosen, doch in Wahrheit jede echte akademische Freiheit vernichtet hätte. Um so unerschütterlicher bekämpfte er auf der neuen Hochschule die falsche akademische Freiheit; er fand es verwerflich, grundverderblich, Nachsicht zu üben mit alten unseligen Unsitten der Jugend. Das wüste Burschenleben war ihm eine bewußte, mit Freiheit und nach Gesetzen hergebrachte Verwilderung. In diesen Jahren weihte er seine ganze Kraft dem Lehramte. Die gewohnte Macht über die jugendlichen Gemüter blieb ihm nach wie vor. Er nutzte sie, den Keim zu legen zu der deutschen Burschenschaft. Er förderte, wie schon früher in Jena, unter den Studierenden den Widerstand gegen den Unfug der alten Landsmannschaften und warnte die Gesellschaft der „Deutsch-Jünger” vor jenen beiden Irrtümern, welche später die Burschenschaften lähmten: sie sollten sich hüten, mittelalterlich und deutsch zu verwechseln, und sorgen, daß das Mittel — die Verbindung — ihnen nicht wichtiger werde als der Zweck — die Belebung deutschen Sinnes. —

      Endlich erfüllten sich die Zeiten; dies Geschlecht, das er verloren gab, fand sich wieder; denn so tief war es nie gesunken, als der Idealist meinte. Die Trümmer der großen Armee kehrten aus Rußland heim, die Provinz Preußen stand in Waffen, der ostpreußische Landtag harrte auf das Wort des Königs. Der König erließ von Breslau den Aufruf zur Bildung von Freiwilligen-Korps; aber noch war der Krieg an Frankreich nicht erklärt. Auf der Straße begegneten den französischen Gendarmen dichte Haufen still drohender Bauern, die zu den Fahnen zogen; und Fichtes Schüler zitterten vor Ungeduld, dem Rufe des Königs zu folgen, doch sie warteten des Lehrers. Wer meinte nicht, daß in diesen schwülen Tagen der Erwartung ein glühender Aufruf aus Fichtes Munde wie ein Blitzstrahl hätte einschlagen sollen? — Schlicht und ernst, wie nach einem großen Entschlusse, tritt er endlich am 19. Februar 1813 vor seine Studenten. Nur selten berichten die lauten Annalen der Geschichte von dem Edelsten und Eigentümlichsten der großen historischen Wandlungen. So ist auch das Herrlichste der reinsten politischen Bewegung, die je unser Volk erhob, noch nicht nach Gebühr gewürdigt — jener Geist schlichter, gefaßter Manneszucht, der das Ungeheuere vollzog so ruhig, so frei von jedem falschen Pathos, wie die Erfüllung alltäglicher Bürgerpflichten. Nichts staunenswürdiger an diesen einzigen Tagen, als jener ernste, unverbrüchliche Gehorsam, der unser Volk selbst dann noch beherrschte, da die hochgehenden Wogen volkstümlicher Entrüstung die Decke sprengten, die sie lange gehemmt. Ein Heldenmut ist es, natürlich, selbstverständlich in den Tagen tiefer Bewegung, dem Rohre der feindlichen Kanone freudig ins Gesicht zu blicken, aber jedes Wort des Preises verstummt vor der mannhaften Selbstbeherrschung, die unsere Väter beseelte. Als ein Heißsporn des ostpreußischen Landtags die Genossen fragte: „wie nun, meine Herren, wenn der König den Krieg nicht erklärt?” — da erwiderte ihm Heinrich Theodor von Schön: „Dann gehen wir ruhig nach Hause.” Durchaus getränkt von diesem Geiste ernster Bürgerpflicht war auch die Rede, die Fichte jetzt an seine Hörer richtete. Er habe, gesteht er, lange geschwankt, ehe er mit solchem Worte vor seine Schüler getreten sei. Die Wissenschaft allerdings sei die stärkste Waffe gegen das Böse, und in diesem Kampfe würden Siege erfochten, dauernd für alle Zeit. Aber zu dem geistigen Streite bedürfe es des äußern und des innern Friedens: und nur darum, weil diese Ruhe des Gemütes ihn selber, trotz vielfacher Übung in der Selbstbesinnung, zu verlassen beginne, schließe er jetzt seine Vorlesungen. — Das einfache Wort genügte, die Jünglinge in die Reihen der Freiwilligen zu führen. Noch einmal ist ihm dann der Gedanke gekommen, als ein Redner in das Lager zu gehen — noch einmal vergeblich. Dann ist Fichte krank und halb gelähmt mit den gelehrten Genossen und dem kaum mannbaren Sohne in den Landsturm getreten; Lanze und Säbel lehnten nun an der Tür des Philosophen.

      Als die Kunde erscholl von den herrlichsten deutschen Siegen, von den Tagen von Hagelberg und Dennewitz, selbst dann hat er nicht gelassen von der alten tüchtigen Weise, den Dingen nachzudenken bis zum Ende. Im Sommer 1813 hielt er vor den wenigen Studierenden, die dem Kampfe fern blieben, Vorlesungen über die Staatslehre. Auch jetzt noch bewegt er sich ausschließlich im Gebiete der