Deutsche Lebensbilder. Heinrich von Treitschke. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Heinrich von Treitschke
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 4064066114695
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getrieben; eine Fülle schriftstellerischer Pläne wird entworfen und geht zugrunde.

      Da endlich erschien seines inneren Lebens entscheidende Wendung, als er, bereits achtundzwanzigjährig, in Leipzig durch einen Zufall Kants „Kritik der reinen Vernunft” kennen lernte. „Der Hauptendzweck meines Lebens ist der,” hatte er früher seiner Braut geschrieben, „mir jede Art von (nicht wissenschaftlicher, ich merke darin viel Eitles, sondern) Charakterbildung zu geben. Ich habe zu einem Gelehrten von Metier so wenig Geschick als möglich. Ich will nicht bloß denken, ich will handeln, ich mag am wenigsten denken über des Kaisers Bart.” Und mit der gleichen Verachtung wie auf die Gelehrten von Metier schaute er hinab auf die „Denkerei und Wisserei” der Zeit, auf jene Nützlichkeitslehre, welche nur darum nach Erkenntnis strebte, um durch einzelne hastig und zusammenhanglos aufgegriffene Erfahrungssätze die Mühsal des Lebens bequemer, behaglicher zu gestalten. Der rechte Gelehrte sollte gar nicht ahnen, daß das Wissen im Leben zu etwas helfen könne. Sein Trachten stand nach einer Erkenntnis, die ihn befähige, „ein rechtlicher Mann zu sein, nach einem festen Gesetze und unwandelbaren Grundsätzen einherzugehen.” Aber woher diese Sicherheit des Charakters, solange sein Gemüt verzweifelte über der Frage, die vor allen Problemen der Philosophie ihn von früh auf quälend beschäftigte, über der Frage von der Freiheit des Willens? Sein logischer Kopf hatte sich endlich beruhigt bei der folgerichtigen Lehre Spinozas, wie Goethes Künstlersinn von der grandiosen Geschlossenheit dieses Systems gefesselt ward. Sein Gewissen aber verweilt zwar gern bei dem Gedanken, daß das Einzelne selbstlos untergehe in dem Allgemeinen, doch immer wieder verwirft es die Idee einer unbedingten Notwendigkeit, denn „ohne Freiheit keine Sittlichkeit”. Welch ein Jubel daher, als er endlich durch Kant die Autonomie des Willens bewiesen fand, als er jenes große Wort las, das nur ein Deutscher schreiben konnte: „Es ist überall nichts in der Welt, überhaupt auch außerhalb derselben zu denken möglich, was ohne Einschränkung für gut könnte gehalten werden, als allein ein guter Wille.” Über Kants Werken verlebt er jetzt seine seligsten Tage; all sein vergangenes Leben erscheint ihm ein gedankenloses Treiben in den Tag hinein, der Weisheit Kants verdankt er „seinen Charakter bis auf das Streben, einen haben zu wollen”. Der Verkündigung dieser Lehre soll nun sein Leben geweiht sein; „ihre Folgen sind äußerst wichtig für ein Zeitalter, dessen Moral bis in seine Quellen verderbt ist.” Und zum sicheren Zeichen, daß er hier einen Schatz von Gedanken gefunden, der seinem eigensten Wesen entsprach, entfaltete sich jetzt seine Bildung ebenso rasch und sicher, als sie schwer und tastend begonnen hatte. Eine Reise nach Polen und Preußen führt ihn zu dem Weisen von Königsberg, dem er ehrfürchtig naht, „wie der reinen Vernunft selbst in einem Menschenkörper”. Bei ihm führt er sich ein durch die rasch entworfene Schrift „Kritik aller Offenbarung, 1791.”

      Damit beginnt sein philosophisches Wirken, das näher zu betrachten nicht dieses Orts noch meines Amtes ist, so reizvoll auch die Aufgabe, zu verfolgen, wie die Denker nach dem Worte des alten Dichters, die Leuchte des Lebens gleich den Tänzern im Fackelreigen von Hand zu Hand geben. Es genüge zu sagen, daß Fichte die Lehre von der Selbständigkeit und Unabhängigkeit des Willens mit verwegenster Kühnheit bis in ihre äußersten Folgesätze hindurchführte. Weil die Bestimmung unseres Geistes sich nur verwirklichen läßt im praktischen Handeln, das praktische Handeln aber eine Bühne fordert, deshalb und nur deshalb ist der Geist gezwungen, eine Außenwelt aus sich herauszuschauen und als eine wirkliche Welt anzunehmen. „Ich bin ja wohl transzendentaler Idealist,” gesteht Fichte, „härter als Kant, denn bei ihm ist noch ein Mannigfaltiges der Erfahrung; ich aber behaupte mit dürren Worten, daß selbst dieses von uns durch ein schöpferisches Vermögen reproduziert wird.” Hatte Kant die große Wahrheit gefunden, daß die Dinge sich richten nach der Beschaffenheit unseres Erkenntnisvermögens: sein Nachfolger schreitet weiter und behauptet getrost: „die Dinge werden erst durch unser Ich geschaffen; es gibt kein Sein, sondern nur Handeln; der sittliche Wille ist die einzige Realität.” Allein an der Kühnheit dieser Abstraktionen, der verwegensten, die deutscher Denkermut zu fassen wagte, können wir den aufrechten Trotz des Mannes ermessen. Zuversichtlich glauben wir ihm, daß „seine wissenschaftliche Ansicht nur die zur Anschauung gewordene innere Wurzel seines Lebens” selber war; denn „was für eine Philosophie man wählt, richtet sich danach, was für ein Mensch man ist”. In sicherem Selbstgefühle faßt der Mann sich jetzt zusammen, als die namenlose Schrift des Anfängers für ein Werk des Meisters Kant gehalten wird, und der triviale Lärm seichter Lobreden ihn rasch die Nichtigkeit der literarischen Handwerker durchschauen läßt.

      So steht sein Charakter vollendet, mannhaft, fast männisch, des Willens, die ganze Welt unter die Herrschaft des Sittengesetzes zu beugen, gänzlich frei von Schwächen, jenen kleinen Widersprüchen wider die bessere Erkenntnis — und eben darum zu einem tragischen Geschicke bestimmt, zu einer Schuld, die mit seinem Wesen zusammenfiel, die er selber unwissend bekannte, indem er sich also verteidigte: „Man paßt bei einer solchen Denkart schlecht in die Welt, macht sich allenthalben Verdruß. Ihr Verächtlichen! Warum sorgt ihr mehr dafür, daß ihr euch den andern anpaßt, als diese euch und sie für euch zurecht legt?” — Andere für sich zurecht legen — das ist die herrische Sünde der idealistischen Kühnheit. Als in der Not des Krieges von 1806 sein Weib, einsam zurückgeblieben in dem vom Feinde besetzten Berlin, voll schwerer Sorge um den fernen Gatten, in Krankheit fällt, da schreibt ihr der gewaltige Mann: „Ich hoffte, daß du unsere kurze Trennung, gerade um der bedeutenden Geschäfte willen, die dir auf das Herz gelegt waren, ertragen würdest. Ich habe diesen Gedanken bei meiner Abreise dir empfohlen und habe ihn in Briefen wieder eingeschärft. Starke Seelen, und du bist keine schwache, macht so etwas stärker — und doch!” So hart kann er reden zu ihr, die ihm die Liebste ist; denn er glaubt an die Allmacht der Wahrheit. Ihm ist kein Zweifel, wo die rechte Erkenntnis sei, da könne das rechte Handeln, ja das rechte Schicksal nicht fehlen, und jeden Einwand menschlicher Gebrechlichkeit weist er schroff zurück. Darum keine Spur von Humor, von liebenswürdigem Leichtsinn, nichts von Anmut und Nachgiebigkeit in ihm, der das derbe Wort gesprochen: „Eine Liebenswürdigkeitslehre ist vom Teufel.” Nichts von jener Sehnsucht nach der schönheitssatten Welt des Südens, die Deutschlands reiche Geister in jenen Tagen beherrschte. Unfähig, ungeeignet sich liebevoll zu versenken in eine fremde Seele, verkündet er kurzab, er lehre alle Dinge nur von einer Seite zu betrachten, „nämlich von der rechten”.

      Entfremdet der Natur, die ihm nur besteht, um unterjocht zu werden von dem Geiste, mahnt er zur Hingebung, zur Selbstvergessenheit eine sinnliche, selbstsüchtige Zeit: auch essen und trinken sollen wir nur um Gottes willen. Nicht die leiseste sinnliche Vorstellung soll uns den erhabenen Gottesgedanken trüben: „Ein Gott, der der Begierde dient, ist ein Abgott. Gott will nicht, Gott kann nicht das Gute, das wir gern möchten, uns geben außer durch unsere Freiheit; Gott ist überhaupt nicht eine Naturgewalt, wie die blinde Einfalt wähnt, sondern ein Gott der Freiheit.” Die Freuden des Himmels, die bequeme Tröstung schwacher Gemüter, müssen schwinden vor einer geistigeren Auffassung: „Die Ewigkeit kommt der neuen Zeit mitten in ihre Gegenwart hinein”; die vollendete Freiheit, die Einheit mit Gott ist schon im Diesseits möglich.

      Beseelt von solchen Gedanken der Ertötung alles Fleisches, der asketischen Sittenstrenge, ist Fichte ein unästhetischer Held geblieben, wie groß er auch dachte von der Kunst, die der Natur den majestätischen Stempel der Idee aufdrücke. Auch in ihm, wie in allen edleren Söhnen jener an den Helden Plutarchs gebildeten Tage, wogte und drängte ein großer Ehrgeiz; er gedachte, an seine Existenz für die Ewigkeit hinaus für die Menschheit und die ganze Geisterwelt Folgen zu knüpfen; aber, fährt er fort, „ob ich’s tat, braucht keiner zu wissen, wenn es nur geschieht!” Jene hohe Leidenschaft, die dem strengsten aller Dichter, Milton, nur als die letzte Schwäche edlerer Naturen erscheint, der Durst nach Ruhm, wird scharf und schonungslos als eine verächtliche Eitelkeit verworfen von dieser selbstgewissen Tugend, welche leben will aus dem erkannten rein Geistigen heraus. In Augenblicken des Zweifels — als gälte es Schillers witziges Epigramm zu bewähren — prüft der gestrenge Mann, auf welcher Seite seine Neigung stehe, um dann mit freudiger Sicherheit des anderen Weges zu gehen. Selber folgerichtig im Kleinsten wie im Größten, sagt er den Zeitgenossen erbarmungslos auf den Kopf zu, welches die notwendigen Folgen ihrer weichlichen Grundsätze seien. Trocken spricht er: „Dies weiß man gewöhnlich nicht, gibt es nicht zu, ärgert sich daran, glaubt es nicht; aber es kann alles dieses nichts helfen, so ist’s.” Er findet