Deutsche Lebensbilder. Heinrich von Treitschke. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Heinrich von Treitschke
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 4064066114695
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absolut vernunftwidriges Prinzip, „die erste Pflicht der Fürsten wäre, in dieser Form nicht da zu sein”, der Wahn der Ungleichheit ist bereits durch das Christentum praktisch vernichtet. Aber wie viel reicher und tiefsinniger erscheint ihm jetzt der Staat! Mit scharfen Worten sagt er sich los von der naturrechtlichen Lehre, die er bereits in den Reden an die deutsche Nation verlassen hatte. Er verwirft die „schlechte Ansicht”, welche im Staate nur den Schützer des Eigentums erblickt und darum Kirche, Schule, Handel und Gewerbe allein den Privatleuten zuweist und im Falle des Krieges die Ruhe für die erste Bürgerpflicht erklärt. Der Staat ist berufen, die sittliche Aufgabe auf Erden zu verwirklichen. In den beiden schönen Vorlesungen, die „von dem Begriffe des wahrhaften Krieges” handeln, stellt er scharf und schroff die sinnliche und die sittliche Ansicht vom Staate einander gegenüber. Nach jener gilt „zuerst das Leben, sodann das Gut, endlich der Staat, der es schützt”. Nach dieser steht obenan „die sittliche Aufgabe, das göttliche Bild; sodann das Leben in seiner Ewigkeit, das Mittel dazu, ohne allen Wert, außer inwiefern es ist dieses Mittel; endlich die Freiheit, als die einzige und ausschließende Bedingung, daß das Leben sei solches Mittel, drum — als das einzige, was dem Leben selbst Wert gibt”. — Der einst mit dem Mißtrauen des deutschen Gelehrten die Zwangsanstalt des Staates betrachtet, er sieht jetzt mit der Begeisterung eines antiken Bürgers in dem Staate den Erzieher des Volkes zur Freiheit, alle Zweige des Volkslebens weist er der Leitung des Staates zu. Nur in einem solchen Staate ist „ein eigentlicher Krieg” möglich, denn hier wird durch feindlichen Einfall die allgemeine Freiheit und eines jeden besondere bedroht; es ist darum jedem für die Person und ohne Stellvertretung aufgegeben der Kampf auf Leben und Tod.

      Schon längst waren seine radikalen Theorien dann und wann erhellt worden durch ein Aufblitzen historischer Erkenntnis; bereits in seiner Jugendschrift über die französische Revolution hatte er Friedrich den Großen gepriesen als einen Erzieher zur Freiheit. Doch jetzt erst beginnt er die historische Welt recht zu verstehen. Er erkennt, daß ein Volk gebildet werde durch gemeinsame Geschichte, und berufen sei, „in dem angehobenen Gange aus sich selber sich fortzuentwickeln zu einem Reiche der Vernunft”. Alle Staaten der Geschichte erscheinen ihm jetzt als Glieder in der großen Kette dieser Erziehung des Menschengeschlechts zur Freiheit. Ist diese Erziehung dereinst vollendet, dann wird „irgendeinmal irgendwo die hergebrachte Zwangsregierung einschlafen, weil sie durchaus nichts mehr zu tun findet”, dann wird das Christentum nicht bloß Lehre, nein, die Verfassung des Reiches selber sein. In diesem Reiche werden die „Wissenschaftlichen” regieren über dem Volke, denn „alle Wissenschaft ist tatbegründend”. So gelangt auch Fichte zu dem platonischen Idealbilde eines Staates, welchen die Philosophen beherrschen. Und wenn der nüchterne Politiker betroffen zurückweicht vor diesem letzten Fluge des Fichteschen Geistes, so bleibt doch erstaunlich, wie rasch die große Zeit sich ihren Mann erzogen hat: der Held des reinen Denkens wird durch den Zusammenbruch seines Vaterlandes zu der Erkenntnis geführt, daß der Staat die vornehmste Anstalt im Menschenleben, die Verkörperung des Volkstums selber ist. Näher eingehend auf die Bewegung des Augenblicks schildert er das Wesen des gewaltigen Feindes, der unter den Ideenlosen der Klügste, der Kühnste, der Unermüdlichste, begeistert für sich selber, nur zu besiegen ist durch die Begeisterung für die Freiheit. So stimmt auch Fichte mit ein in die Meinung unserer großen Staatsmänner, welche erkannten, daß die Revolution in ihrem furchtbarsten Vertreter bekämpft werden müsse mit ihren eigenen Waffen. Fast gewaltsam unterdrückt er den unabweislichen Argwohn, daß nach dem Frieden alles beim alten bleibe. Nicht ungerügt freilich läßt er es hingehen, daß man in solchem Kampfe noch gotteslästerlich von Untertanen rede, daß die Formel „Mit Gott für König und Vaterland” den Fürsten gleichsam des Vaterlandes beraube. Aber alle solche Makel der großen Erhebung gilt es als schlimme alte Gewohnheiten zu übersehen; „dem Gebildeten soll sich das Herz erheben beim Anbruche seines Vaterlandes”. Beim Anbruche seines Vaterlandes — die aus der Ferne leidenschaftslos zurückblickende Gegenwart mag diese schöne Bezeichnung der Freiheitskriege bestätigen, welche die hart enttäuschten Zeitgenossen kummervoll zurücknahmen.

      Auch zu einer rein publizistischen Arbeit ward der Denker durch die Sorge um den Neubau des Vaterlandes veranlaßt. Alsbald nach dem Aufrufe des Königs an sein Volk schreibt er den vielgenannten „Entwurf einer politischen Schrift”. Die wenigen Blätter sind unschätzbar nicht bloß als ein getreues Bild seiner Weise zu arbeiten — denn hier, in der Tat, sehen wir ihn pochen und graben nach der Wahrheit, den Verlauf des angestrengten Schaffens unterbrechen mit einem nachdenklichen „Halt, dies schärfer!” und die Schlacken der ergründeten Wahrheit emporwerfen aus der Grube — sondern mehr noch, weil uns hier Fichte entgegentritt als der erste namhafte Verkündiger jener Ideen, welche heute Deutschlands nationale Partei bewegen. Schon oft war, bis hinauf in die Kreise der Mächtigsten, der Gedanke eines preußischen Kaisertums über Norddeutschland angeregt worden. Hier zuerst verkündet ein bedeutender Mann mit einiger Bestimmtheit den Plan, den König von Preußen als einen „Zwingherrn zur Deutschheit” an die Spitze des gesamten Vaterlandes zu stellen. Parteien freilich im heutigen Sinne kannte jene Zeit noch nicht, und Fichte am wenigsten hätte sich der Mannszucht einer Partei gefügt; er schreibt seine Blätter nur nieder, damit „diese Gedanken nicht untergehen in der Welt”. Aber kein Parteimann unserer Tage mag das tödliche Leiden unseres Volkes, daß es mediatisiert ist, klarer bezeichnen als er mit den Worten, das deutsche Volk habe bisher an Deutschland Anteil genommen allein durch seine Fürsten. Noch immer schwebt ihm als höchstes Ziel vor Augen eine „Republik der Deutschen ohne Fürsten und Erbadel”, doch er begreift, daß dieses Ziel in weiter Ferne liege. Für jetzt gilt es, daß „die Deutschen sich selbst mit Bewußtsein machen”. — „Alle großen deutschen Literatoren sind gewandert,” ruft er stolz; und jenes freie Nationalgefühl, das diese glänzenden Geister trieb, die Enge ihres Heimatlandes zu verlassen, muß ein Gemeingut des Volkes werden, damit zuletzt der Einzelstaat als überflüssig hinwegfalle. Ein haltbarer Nationalcharakter wird gebildet zunächst durch die Freiheit, denn „ein Volk ist nicht mehr umzubilden, wenn es in einen regelmäßigen Fortschritt der freien Verfassung hineingekommen”. Aber auch im Kriege wird ein Volk zum Volke, und hier spricht er ein Wort, dessen tiefster Sinn sich namentlich in Fichtes Heimatlande als prophetisch bewährt hat: „Wer den gegenwärtigen Krieg nicht mitführen wird, wird durch kein Dekret dem deutschen Volke einverleibt werden können.” Als einen Erzieher zur Freiheit, zur Deutschheit brauchen wir einen Kaiser. Österreich kann die Hand nie erheben zu dieser Würde, weil es unfrei und in fremde undeutsche Händel verwickelt ist; sein Kaiser ist durch sein Hausinteresse gezwungen, „deutsche Kraft zu brauchen für seine persönlichen Zwecke”. Preußen aber „ist ein eigentlich deutscher Staat, hat als Kaiser durchaus kein Interesse zu unterjochen, ungerecht zu sein. Der Geist seiner bisherigen Geschichte zwingt es fortzuschreiten in der Freiheit, in den Schritten zum Reich (das will sagen: zum Vernunftreiche); nur so kann es fortexistieren, sonst geht es zugrunde”.

      So — nicht eingewiegt, nach der gemeinen Weise der Idealisten, in leere Illusionen, aber auch nicht ohne frohe Hoffnung ist Fichte in den Tod gegangen für sein Land. Welch ein Wandel seit den Tagen der Revolutionskriege, da er der Geliebten noch vorhielt, daß sie gleichgültig sei gegen die Welthändel! Der Schwung der großen Zeit, die opferbereite Empfindung weiblichen Mitgefühls führt jetzt Johanna Fichte unter die wunden Krieger der Berliner Hospitäler. Alle guten und großen Worte des Gatten von der Macht der göttlichen Gnade werden ihr lebendig und strömen von ihrem Munde, da sie die unbärtigen Jünglinge der Landwehr mit dem hitzigen Fieber ringen, in letzter Schwäche, in unbezwinglichem Heimweh die Heilung von sich weisen sieht. In den ersten Tagen des Jahres 1814 bringt sie das Fieber in ihr Haus. Einen Tag lang verweilt der Gatte an ihrem Lager, eröffnet dann gefaßt seine Vorlesungen und findet, zurückgekehrt, die Totgeglaubte gerettet. In diesen Stunden des Wiedersehens, meint der Sohn, mag den starken Mann der Tod beschlichen haben. In seine letzten Fieberträume fiel noch die Kunde von der Neujahrsnacht 1814, da Blücher bei der Pfalz im Rheine den Grenzstrom überschritt und das feindliche Ufer widerhallte von den Hurrarufen der preußischen Landwehr. Unter solchen Träumen von kriegerischer Größe ist der streitbare Denker verschieden am 27. Januar 1814. Sein Lob mag er selber sagen: „Unser Maßstab der Größe bleibe der alte: daß groß sei nur dasjenige, was der Ideen, die immer nur Heil über die Völker bringen, fähig sei und von ihnen begeistert.”

      Seitdem ist eine lange Zeit vergangen, Fichtes Name