J'accuse (Ich klage an). Max Georg Brausewetter. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Max Georg Brausewetter
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 4064066112615
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herum; der Raum war dunkel und stank nach Urin und verschimmelten und verdorrten Kadaverteilen. Der Boden war aufgewühlt, staubig, lehmig; jede Berührung des Bodens trieb den bazillengeschwängerten Staub in die Höhe. Daß dort Menschen untergebracht werden sollten, war ja ganz undenkbar. Ein Schweinestall, der monatelang nicht ausgemistet war, erschien palastartig gegen diesen Raum.

      Nachmittags hielten wir auf der Galerie Versammlung ab über eventuelle Maßnahmen für den Empfang der neuen Ankömmlinge. Und nun ereignete sich etwas, was in seiner Tragikomik allen unvergeßlich bleiben wird. Es trat als Redner auf Herr Julius Meyer, welcher auch sonst zündend und reichlich lange zu sprechen pflegte. Dieser setzte uns in bewegten Worten auseinander, daß aus den Besichtigungen der unteren Räume, die nun einige Tage hintereinander sich wiederholt hätten, erleuchte, daß diese Räume den Erwarteten als Unterkunft angewiesen werden sollten. Im Namen der Humanität wende er sich gegen die Möglichkeit solcher Maßnahmen. Die Aerzte müßten zugeben, daß ein Wohnen in solchen Räumen Todesgefahr berge (wir gaben das unbedingt zu); im Namen der Humanität fordere er von den beiden Aerzten, daß sie sofort vorstellig würden, dergleichen Ungeheuerlichkeiten zu vermeiden. Im Namen der Humanität fordere er von uns allen, daß wir zusammenstehen, und im Falle, daß die französische Regierung wirklich derart Gefangene unterbringen wollte, auch zusammenrückten und die armen Opfer in unseren Zimmern aufnähmen, und ob wir gleich wie die Heringe zusammengepreßt würden. Im Namen der Humanität. Dixi!

      Die Rede war schwung- und wirkungsvoll und verfehlte nicht tiefsten Eindruck. Armer Julius Meyer! Es kommt manchmal so ganz anders, und das Tragische liegt so nahe beim Komischen. Die Wirkung, die die Rede gehabt und die sicher die Bewilligung der geforderten Opfer zur Folge gehabt hätte, wurde zunichte durch den lakonischen Befehl, welcher von draußen zu uns drang: Sämtliche Deutsche haben sofort die oberen Zimmer zu räumen und ziehen in das Prison des condamnés politiques! Die Ankömmlinge übernehmen die oberen Zimmer. — Schluß!

      Armer Julius Meyer, wo blieb die Humanität, die dich also beseelte bei den Neuangekommenen?

      Und wer den bittersten Schaden hat, soll noch den Spott dazu in Kauf nehmen, das ist harte Bedingung. Den Namen „Humanitätsmeyer“ bist du nie losgeworden, und für uns wirst du ihn bis an dein seliges Ende tragen. Aber doch hast du es gutgemeint.

      Also das war der Anfang!

      Unsere tüchtigen Seeleute griffen nun ein. Wir erhielten vom Sergeanten Erlaubnis zur gründlichsten Reinigung des Todesraumes. Er versicherte uns mehrfach, wie peinlich ihm die Ausführung des Befehls, der von oben kam, geworden sei. Es wurde tüchtig gearbeitet, alles nach draußen getrieben, während drinnen die Ausräumung des Augiasstalles unternommen wurde. In Haufen wurde der Dreck in den Graben geworfen, der das Kastell umgab. Die Skorpione wurden an einzelne Liebhaber verschenkt; dann wurde gescheuert und gewaschen, bis es schien, daß der Raum bewohnbar sei. Aber unser bemächtigte sich eine tiefe Depression. Wenn das möglich war, wie werden wir Epidemien auf die Dauer fernhalten? Der Sergeant hat uns auch hier geholfen. Er nahm erst einige, dann andere aus dem furchtbaren Raum, erst uns Aerzte, dann die Priester, und später belegte er mehr und mehr den oberen Turmraum. Er hat mir noch einmal wiederholt, wie schwer es ihm geworden sei, dem Befehle zu gehorchen, da er uns höher einschätzte. Es ist das ungefähr das einzige Mal gewesen, daß wir solche Meinung von einem Franzosen gehört haben.

      Unsere Gefangenschaft in Château d’If nahte mehr und mehr ihrem Ende, und nur weniges ist noch von ihr zu berichten. — Ich wurde eines Tages zu den Kommissären gerufen. Man bedeutete mir, daß ein großer Korb mit Damenkleidern noch im Lager sei, und man vermeinte, es sei der meinige. Zu meinem Schrecken mußte ich das zugeben. Meine arme Frau wird schön in Verlegenheit gekommen sein! Da sie im letzten Augenblick noch einige Sachen aus dem Reisekorb für mich herausgegeben hatte, war dieser zum Schluß auf dem Ponton geblieben. Mein Entsetzen wurde indes falsch gedeutet, und da ich auf die Frage, wem die Kleider gehörten, antwortete, „meiner Frau und Tochter“, stellte man immer verfänglichere Fragen, ob meine Frau kleiner sei als ich usw. Ich war harmlos genug, immer noch nicht darauf zu verfallen, in welch fürchterlichem Verdacht ich stände, bis der Kommissär mich aufklärte, ob ich denn nicht begriffe, daß ich dadurch in den Verdacht käme, in Frauenkleidern spioniert zu haben. Nein, daran hatte ich nicht gedacht. — Ich weiß von vielen, die um Geringeres an die Wand gestellt wurden. Gut, daß die Kleider mir durchaus nicht paßten. So entging ich meinem Schicksal und trug meiner Frau Kleider auch weiterhin mit uns. Aus verschiedenen Gründen riskierte ich es nicht, sie nach Hause zu schicken.

      Das Baden im Meere war uns in letzter Zeit erlaubt, aber das Wetter, das sonst unser einziger guter Freund gewesen war, ließ uns nur einige Male zum vollen Genuß kommen. Immer lauter wurde gemurmelt, daß unsere Tage in Château d’If gezählt seien, und unsere Freude, daß die Freiheit winke, wurde zu ausgelassenem Jubel, als wir eines Tages herausgerufen wurden, der Kommissär uns antreten ließ und mitteilte, daß beide Regierungen einen Austausch der Zivilgefangenen beschlossen hätten, und daß die Sisterleute zuerst in Frage kämen. Dann stellte er an jeden einzeln die Frage, ob er zum Austausch bereit sei, die jeder einzeln, fast schreiend, mit „ja“ beantwortete. Dann waren wir entlassen. Wie die Kinder oder wie die Trunkenen gebärdeten wir uns in unserem Jubel. Ich stürmte herauf, Moritz, der sich krank fühlte und sich hingelegt hatte, die Nachricht zu bringen; aber Bonitz war mir schon zuvorgekommen, und Moritz war im Augenblick gesund. Wir vereinigten uns im Saale der Matrosen, da verteilten wir unsere Kasse, sammelten für die Hinterbliebenen, Rede und Gegenrede wurde gehalten, über all das, was wir gemeinsam und einzeln uns angeschafft, wurde verfügt, Abschied wurde genommen; denn schon drang durch den Kantinenwirt ein neues Gerücht zu uns, daß wir noch heute nacht abgeholt werden sollten, um an die Schweizer Grenze befördert zu werden. Aber die Nacht verging, die viele wachend zugebracht haben, und noch manche Nacht, bis endlich der Tag erschien, da das Gerücht deutlichere Fassung annahm, es geht wirklich fort. Die Kantinenwirtin besorgte sich schon keinen Vorrat mehr, und unsere Koffer standen auf höheren Befehl gepackt. Der Kommissär kam eines Tages, und da wir in unsere Becher die Tage unseres Aufenthaltes in Château d’If eingeschnitzt hatten, fragte er, welchen wir denn als Abschiedstag gesetzt hätten. Wir sahen ihn fragend an, und er erwiderte: „Schreiben Sie getrost den heutigen Tag!“ Nun brach der Jubel von neuem los. So schändlich würde der Mann nicht an uns handeln und unser in dieser Lage spotten! Wir hätten ihm nicht trauen sollen. — Mein Panamahut war am Tage vorher bei kolossalem Sturm von oben aus ins Meer getrieben, und da ich seinen Verlust am nächsten Tage beklagte, trat „mit fröhlichem Gesichte ein Fischer“ vor mich hin und gab ihn mir wieder. Ein Aberglauben hatte manchen von uns stutzig gemacht, und ich stehe nicht an, heute zu bekennen, daß ich als aufgeklärter Mann jedem, auch finsterstem und albernstem Aberglauben mehr traue als dem Wort eines Franzosen. Wir haben darin noch bessere Erfahrungen gemacht.

      Der Mann hat zweimal unser gespottet, hier und später in Frioul, und es mit herzlichstem Behagen getan.

      Das Schiff kam wirklich, uns fortzuführen, aber nicht in den Hafen von Marseille, sondern am Nachmittag des 20. September in unseren zweiten Kerker nach Frioul.

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