Der Kaiser, dessen Arm noch immer auf der Schulter seines Sekretärs ruhte, ließ das Haupt fast auf die Schulter sinken, seine ganze Gestalt brach zusammen, seine Augen traten glühend, aber starr aus der schleierhaften Umhüllung der Wimpern hervor, sein Athem drang mit leisem Geräusch durch die geöffneten Lippen, wie in steigender Gradation formte sich dieß Geräusch zu Worten, und als ob unwillkürlich aus dem Innersten heraus der schwarze Gedanke, der den mächtigen Imperator mit dunklem Fittig umrauschte, sich Bahn brach, hörte man, ohne daß der Kaiser die Lippen bewegte, in leisem Tone, aber das ganze tief stille Gemach wie mit zitternden Schauern erfüllend, die Worte:
»Ich bin nicht mein Oheim!«
Der Ton dieser Worte war so tief traurig, so eisig, so schmerzerfüllt, daß der Sekretär, dessen Antlitz so ruhig, heiter und lächelnd blickte, davor erbleichte, wie vor einem kalten Frosthauch.
Er wollte etwas erwiedern, — da hörte man ein Geräusch aus dem obern Theil der Treppe, die Portière öffnete sich, auf der ersten Stufe erschien der Kammerdiener des Kaisers und meldete:
»Herr Drouyn de Lhuys bittet Eure Majestät um Audienz.«
Schon bei dem ersten Geräusch hatte der Kaiser seinen Arm von Pietri's Schulter zurückgezogen, sein Gesicht hatte den ruhigen, kalten Ausdruck angenommen, den es immer trug, in seiner gewöhnlichen Haltung nahm er die Meldung entgegen und erwiederte:
»Es ist gut, ich komme.«
Der Kammerdiener zog sich zurück.
»Ich weiß, was er will,« sagte Napoleon, — »er will mich bestimmen, in das rollende Rad einzugreifen, den Konflikt zu beschwören. — Oft möchte ich es — aber ist es möglich? Soll ich die große Entscheidung auf diese Stunde fixiren? — denn greife ich ein und mein Wort findet kein Gehör, so ist der Weltbrand entzündet, indem ich meine und Frankreichs Existenz einsetzen muß. Lasse ich die Dinge gehen, so ist vor Allem Zeit gewonnen, die Zeit bringt günstige Chancen und die Möglichkeit, ohne Kampf die Macht und den Einfluß Frankreichs zu stärken. — Wohlan, — hören wir, was er bringt.«
Und langsam schritt er der Treppe zu.
An der untersten Stufe hielt er an und trat einige Schritte in das Kabinet zurück.
»Pietri,« sagte er halb leise, »was denken Sie von Drouyn de Lhuys?«
»Sire,« entgegnete der Gefragte, »ich bewundere seine tiefen und gründlichen Kenntnisse und habe alle Achtung vor seinem Charakter.«
Der Kaiser schwieg einen Augenblick.
»Er stand dem Hause Orleans sehr nahe,« sagte er dann fast zögernd.
»Sire,« entgegnete Herr Pietri mit fester Betonung, »er hat Eurer Majestät seinen Eid geschworen — und wie ich Herrn Drouyn de Lhuys zu kennen glaube, ist sein Eid ihm heilig.«
Der Kaiser schwieg abermals einige Sekunden, grüßte dann Pietri leicht mit der Hand und stieg langsam die Treppe zu seinen Appartements hinauf.
Pietri kehrte zu seinem Schreibtisch und zur Durchsicht seiner Korrespondenzen zurück.
In sein einfaches Arbeitskabinet zurückgekehrt, schritt Napoleon III. auf seinen nicht zu großen Schreibtisch zu und bewegte eine Glocke, auf deren hellen, scharfen Ton der Kammerdiener hereintrat.
»Herr Drouyn de Lhuys!« sagte der Kaiser.
Wenige Augenblicke darauf trat der Minister der auswärtigen Angelegenheiten in das Kabinet seines Souveräns.
Herr Drouyn de Lhuys war zu jener Zeit ein Mann von fast sechzig Jahren, hoch und voll von Gestalt. Das dünne graue Haar und der ebenfalls graue, englisch geschnittene Backenbart umrahmten ein Gesicht, dessen gesundes rothes Kolorit und ruhige Züge von einer gleichmäßigen höflichen Freundlichkeit erhellt wurden.
Die ganze Erscheinung dieses so viel genannten Mannes hätte eher einen vornehmen englischen Landlord vermuthen lassen, als den vielgewandten Staatsmann, der schon dreimal und unter schwierigen und verwickelten Verhältnissen Minister der auswärtigen Angelegenheiten war.
Das Auge allein, das scharf, klar und beobachtend unter der breiten Stirn hervorblickte, konnte die Annahme hervorrufen, daß dieser so fest, würdig und vornehm dastehende Mann gewohnt sei, von den Höhen der Welt herab die sich kreuzenden Fäden der europäischen Politik zu verfolgen und zu lenken.
Der Minister trug einen schwarzen Morgenüberrock, — die große Rosette der Ehrenlegion im Knopfloch.
Der Kaiser ging ihm entgegen und reichte ihm die Hand.
»Ich freue mich, Sie zu sehen, mein lieber Minister,« sagte er mit verbindlichem Lächeln, — »was bringen Sie mir, — wie geht es in Europa?«
»Sire,« erwiederte Drouyn de Lhuys mit der ihm eigentümlichen langsamen und etwas an das Pedantische anklingenden, scharf accentuirten Ausdrucksweise, »Europa ist krank und wird bald in einem gefährlichen Paroxysmus sich befinden, wenn Eure Majestät nicht ein beruhigendes Mittel anwenden.«
»Trauen Sie mir nicht zu viel zu,« sagte der Kaiser lächelnd, »wenn Sie glauben, daß ich das könnte? Doch,« fuhr er ernst fort — »ohne Metapher gesprochen, Sie wollen mir sagen, daß der deutsche Konflikt vor seinem Ausbruche steht, — nicht wahr?« Und indem er sich auf einen Fauteuil niederließ, forderte er seinen Minister durch eine leichte Handbewegung auf, sich ebenfalls zu setzen.
»Ja wohl, Sire,« sagte Drouyn de Lhuys, indem er sich setzte, sein Portefeuille öffnete und aus demselben einige Papiere nahm, »dieß ist es, was ich Eurer Majestät sagen wollte. Hier ist ein Bericht aus Wien, der konstatirt, daß man dort — in unglaublicher Verblendung — entschlossen ist, den Konflikt aufzunehmen und auf die Spitze zu treiben. Man wird in den Herzogtümern die Stände einberufen, ohne Preußen zu fragen, und Graf Mensdorff hat eine Depesche nach Berlin gerichtet, welche fast eine Sommation an Preußen ist und die sofortige Einstellung aller militärischen Vorbereitungsmaßregeln in sehr hohem Tone verlangt.«
Der Minister reichte dem Kaiser den Bericht, welchen dieser flüchtig ansah und auf seinen Tisch legte.
»Hier,« fuhr Drouyn de Lhuys fort, »ist ein Bericht von Benedetti, welcher auf das Bestimmteste konstatirt, daß Herr von Bismarck entschlossen ist, den entscheidenden Schritt zu thun, um Preußen zu der Stellung zu verhelfen, welche er für sein Land in Deutschland in Anspruch nimmt. Die Reformvorschläge, welche er an die deutsche Bundesversammlung in Frankfurt gebracht hat, sind eine moralische Kriegserklärung gegen die bisherige präponderirende Stellung Oesterreichs, welche die Wiener Verträge dieser Macht gegeben haben. — Auch ist die Depesche des Grafen Mensdorff, von welcher ich so eben die Ehre hatte Eurer Majestät zu sprechen, bereits in Berlin angelangt und durch den Grafen Karolyi übergeben. Sie hat tief verletzt — Benedetti bezeichnet sie als ein Schriftstück, wie es vor Zeiten der deutsche Kaiser gegen den Markgrafen von Brandenburg hätte erlassen können, und sie wird erheblich dazu beitragen, den Widerwillen, welchen der König von Preußen gegen den Krieg hegte, zu beseitigen. — Die Dinge gehen also von beiden Seiten mit beschleunigter Eile dem Kriege zu, und in wenig Wochen vielleicht können die Armeen einander gegenüberstehen, um die ganze Lage von Europa in Frage zu stellen, wenn Eure Majestät nicht Halt gebieten.«
Der Minister hielt inne und blickte den Kaiser fragend an.
Napoleon III. lehnte wie träumend etwas zur Seite geneigt in seinem Lehnstuhl.
»Und was rathen Sie mir zu thun, mein lieber Minister?« fragte er nach einer kurzen Pause, sich ein wenig aufrichtend und mit Spannung in das klare, ruhige Antlitz des Herrn Drouyn de Lhuys blickend.
»Eure Majestät kennt meine Meinung über diesen Punkt,« erwiederte dieser, »wenn ich auch fürchten muß, daß sie nicht von Ihnen getheilt wird. Der deutsche Krieg muß im Interesse Frankreichs und im Interesse der Ruhe Europas verhindert werden. — Ich täusche mich nicht,« fuhr er fort, »wie ich glaube, wenn ich die Ueberzeugung ausspreche, daß Preußen mächtiger