Der Kaiser neigte leicht das Haupt. Ein eigentümlich scharfer, tief einschneidender Blick schoß aus seinen halb geschlossenen Augen auf den dänischen Agitator, dessen wieder emporgerichtetes Antlitz keinen andern Ausdruck zeigte, als die tiefste Ehrerbietung.
»Mein lieber Pietri,« sagte Napoleon III. zu seinem Sekretär gewendet, »ich kam herab, um die eingegangene Korrespondenz dieses Morgens einzusehen, haben Sie dieselbe geordnet?«
»Hier ist sie, Sire,« erwiederte Pietri, indem er einige Papiere vom Tische nahm und dieselben dem Kaiser reichte.
Napoleon nahm sie und rollte mit einem Ueberrest von jugendlicher Leichtigkeit einen Sessel in die Nähe des Fensters, auf den er sich niederließ, indem er eine neue Cigarrette aus seinem Etui nahm und dieselbe an dem Rest der früheren entzündete.
»Ich will Ihre Unterredung nicht stören,« sprach er dann mit verbindlichem Lächeln. »Thun Sie, als ob Niemand hier wäre, ich will ruhig meine Briefe lesen.«
Pietri setzte sich wieder vor seinen Schreibtisch und winkte Herrn Hansen, ebenfalls Platz zu nehmen.
Der Kaiser blickte aufmerksam auf das erste der Papiere, welche er in der Hand hielt und auf welchem man blaue Zeichen bemerken konnte, welche dazu dienten, die markantesten Stellen hervorzuheben.
»Sie waren also zunächst in Berlin?« fragte Pietri, indem er seinen klaren Blick erwartungsvoll auf Herrn Hansen richtete.
»Ich war dort,« erwiederte dieser, »und ich habe die Ueberzeugung mitgebracht, daß der große deutsche Konflikt unvermeidlich ist.«
»Will man ihn dort durchaus?«
»Man will den Konflikt nicht, — aber man will das, was ohne Konflikt nicht zu erreichen ist.«
»Und das ist?«
»Die vollständige Reform des deutschen Bundes, die militärische Hegemonie Preußens bis zum Main; die vollständige Beseitigung der Tradition des Metternich'schen Deutschlands. Graf Bismarck ist rücksichtslos entschlossen, dieß Ziel zu erreichen, und ich glaube auch, er ist überzeugt, daß es ohne Kampf nicht zu erreichen ist.«
Pietri schwieg einige Sekunden; dann erhob er seinen Blick, der einen Augenblick zu dem völlig in seine Lektüre vertieften Kaiser hinübergeglitten war, voll zu Herrn Hansen und fragte:
»Und würde man durch den alleinigen Besitz von Holstein und Schleswig nicht zufriedengestellt werden? Ich glaube, daß man geneigt war, gegen die Cession des österreichischen Kondominats in den Herzogthümern sogar eine Grenzregulirung in Schlesien zuzugestehen.«
Herrn Hansen's Gesicht überflog eine leichte Röthe — er erwiederte aber ohne Bewegung in. der Stimme:
»Nein, auf dieser Basis läßt sich der Konflikt nicht beschwören. Ich glaube zwar, daß man große Zugeständnisse zu machen geneigt wäre, um von Oesterreich den Alleinbesitz der Herzogthümer zu erlangen, — auch würden die dänischen Distrikte Nordschleswigs, wenn Frankreich ernstlich diese Forderung stellt, restituirt werden, — aber der Konflikt wird nicht durch das Palliativ beschworen werden. — Glauben Sie mir, mein Herr,« fuhr er lebhafter fort, »dieser Konflikt ist nicht ein Streit um die deutschen Herzogthümer, — daß diese schließlich an Preußen fallen müssen, weiß man in Berlin genau, und die Resolutionen des Herzogs von Augustenburg fürchtet man nicht. Der Konflikt beruht in der historischen Entwickelung Deutschlands und Preußens. Preußen ist in der That nicht der zweite deutsche Staat, sondern der erste, und der deutsche Bund weist ihm die zweite Stelle an und drückt seine natürliche Machtentfaltung durch einen Mechanismus nieder, dessen Federn von Wien aus in Bewegung gesetzt werden. — Dieß ist der wahre Konflikt, Preußen will den Platz, der ihm in Deutschland naturgemäß gehört und den Oesterreich ihm vorenthält. Dieser Konflikt ist Jahre und Jahre alt und er hätte vielleicht noch jahrelang in latenter Form weiter bestanden, zum Spiel der europäischen Diplomatie, —wenn nicht Herr von Bismarck an die Spitze dieses merkwürdig expansiven preußischen Staates berufen wäre. — Dieser Staatsmann ist die Inkarnation des preußischen Wesens, verstärkt durch eine seltene und originelle Genialität. Er versteht die reichen und wohlgegliederten Kräfte des Landes zur höchsten Entwickelung anzuspannen, und hat den festen Entschluß, dem bisherigen Zustande ein Ende zu machen. — Er wird nie nach Olmütz gehen, — er wird Preußen seinen Platz in Deutschland erkämpfen, — oder untergehen.«
Der Kaiser hatte die Hand mit den Briefschaften langsam auf den Schooß niedersinken lassen und seine plötzlich groß geöffneten und in dunklem Feuer strahlenden Augen hafteten mit sinnendem Ausdruck auf Herrn Hansen's Antlitz.
Pietri entging die Aufmerksamkeit seines Herrn nicht; er sagte leicht lächelnd:
»Es ist in der That erstaunlich, über diesen preußischen Minister hier in Paris in so warmen Ausdrücken von einem Dänen sprechen zu hören.«
»Warum nicht?« sagte Herr Hansen ruhig. »Der Mann, der weiß, was er will, und alle Kräfte aufbietet, um seinen Willen durchzusetzen, der sein Vaterland liebt und demselben zur richtigen Größe und Macht verhelfen will, imponirt mir — und hat gewiß ein Recht auf Achtung für sein Streben — auf Bewunderung, wenn er reüssirt. Zwischen mir und dem Herrn von Bismarck steht mein Vaterland Dänemark. Was deutsch ist in den Herzogtümern, wollen wir nicht und können es in Dänemark nicht brauchen, — aber wir wollen, was dänisch ist und was Dänemark braucht, um seine Grenzen zu schützen. — Wird uns dieß gegeben, so haben wir keinen Grund, Preußens oder Deutschlands Feinde zu sein. Enthält man uns dieß vor, so wird Preußen das kleine Dänemark überall und zu jeder Zeit auf der Seite seiner Feinde finden, und zwar in Folge derselben Gesinnung, welche Herrn von Bismarck's Handlungen zu Grunde liegt.«
Napoleon III. horte mit Aufmerksamkeit zu.
Herr Pietri fragte:
»Haben Sie denn den Eindruck gewonnen, daß auf eine Bereitwilligkeit Preußens zu rechnen wäre, den dänischen Wünschen entgegenzukommen?«
»Ich halte dieß nicht für unmöglich,« erwiederte Hansen mit Sicherheit, — »besonders wenn« — fügte er mit Betonung hinzu, »Preußen in seiner immerhin schwierigen Lage durch ein solches Arrangement eine Großmacht sich verbinden könnte. Es würde sich dann nur darum handeln, die Grenzlinie deutscher und dänischer Interessen festzustellen.«
Er hatte bei diesen Worten langsam den Blick dem Kaiser zugewendet. Napoleon erhob den Brief, den er in der Hand hielt, zur Sehweite und sein verschleiertes Auge haftete ohne Ausdruck auf dem Papier.
Herr Pietri forschte weiter:
»Wenn Herr von Bismarck nach Ihren Beobachtungen und Eindrücken den Konflikt will, oder vielmehr das Ziel erreichen will, welches ohne Konflikt unerreichbar ist, — wird der König bis zum Aeußersten gehen und nicht vielleicht seinen Minister fallen lassen? — Ich darf ohne Rückhalt mit Ihnen sprechen,« fügte er mit einer scheinbar rückhaltslosen Offenheit hinzu, — »Sie leben in der politischen Welt und wissen wie ich, wie man in den Kreisen spricht, welche mit der preußischen Botschaft zusammenhängen. — Haben Sie in Berlin den Eindruck empfangen, daß eine Ersetzung des Herrn von Bismarck durch den Grafen Goltz möglich sei?«
»Nein,« erwiederte Herr Hansen mit Bestimmtheit. »Der König von Preußen scheut bis zum höchsten Grade vor dem Kriege zurück, — das heißt nicht vor dem Kriege als solchem, sondern vor dem Kriege mit Oesterreich, vor dem Kriege mit Deutschland. Der König faßt einen solchen Kampf sehr ernst auf und wünscht ihn dringend zu vermeiden. Würde man ihm von Wien aus im Prinzip entgegenkommen, so würde er vielleicht im Einzelnen manche Konzessionen machen, die Herrn von Bismarck nicht recht wären. — Aber im Prinzip wird auch der König, nachdem einmal die Frage gestellt ist, nicht nachgeben. Er hat die neue Armeeorganisation geschaffen, die nach dem Urtheil aller Verständigen musterhaft sein soll, er hat diese Schöpfung trotz des Widerwillens