In anmutig höflicher Bewegung trat er dem englischen Botschafter entgegen, welcher in der Tür des Kabinetts erschien.
»Guten Morgen, Mylord,« sagte, ihm die Hand reichend, der Kaiser, von dessen Gesicht jede Spur des trüben, präokkupierten Ausdrucks verschwunden war, »ich freue mich, Sie zu sehen, haben Sie Nachrichten über das Befinden Ihrer Majestät der Königin?«
Lord Cowley, eine vornehme Erscheinung von englischem Typus, in einfachem, schwarzem Morgenanzug, ergriff ehrerbietig, aber doch mit jener der englischen Aristokratie eigentümlichen, selbstbewußten Würde die Hand des Kaisers und erwiderte in jener englischen, durch die lange Übung etwas verwischten, aber doch hörbar anklingenden besonderen Aussprache des Französischen:
»Ich danke Eurer Majestät. Der letzte Kurier, welcher gestern von London kam, brachte ziemlich befriedigende Nachrichten über das Befinden Ihrer Majestät, doch aber glaube ich kaum, daß die Königin daran wird denken können, wie sie es so sehr gewünscht hätte, die Ausstellung zu besuchen.«
»Die Ausstellung!« sagte der Kaiser, seufzend die Achseln zuckend, »wird diese Ausstellung, dies schöne und große Werk des europäischen Friedens, überhaupt stattfinden können?«
Lord Cowley sah ihn bestürzt an.
»Eure Majestät fürchten?« fragte er.
»Ich fürchte vielleicht lebhafter,« erwiderte der Kaiser, »weil ich mit großer Liebe an diesem so sorgsam vorbereiteten Werke hing!«
»Ich bitte Eure Majestät, überzeugt zu sein,« sagte Lord Cowley, »daß die Königin, meine erhabene Herrin, und ihre Regierung mit nicht minderer Besorgnis die Möglichkeit ins Auge faßt, daß der Frieden Europas gestört werden könne, und ich habe den Auftrag, Eurer Majestät die guten Dienste Englands zur Verständigung über diese beklagenswerte Frage Luxemburg anzutragen.«
»Bin ich es, der den Frieden stört?« fragte Napoleon mit einem leichten Anklang von Ungeduld. »Bei mir bedarf es sicherlich keiner vermittelnden und beruhigenden Einwirkung, in Berlin ist dieselbe mehr am Platze.«
»Ich kann Eure Majestät versichern,« sagte Lord Cowley, »daß auch in Berlin ernste Vorstellungen gemacht werden.«
»Warum stellt sich das Berliner Kabinett mir immer feindlich entgegen?« rief der Kaiser, einige Schritte durch das Zimmer machend. – »Trete ich ihm zu nahe, bin ich nicht vollständig in den Grenzen der Verträge? Ist der König von Holland nach der Auflösung des deutschen Bundes nicht freier und unabhängiger Souverän von Luxemburg? Warum, mit welchem Recht hält Preußen dort sein Besatzungsrecht fest, welches nur dem deutschen Bunde zugestanden war? – Mein lieber Ambassadeur,« fuhr er fort, vor dem Lord stehen bleibend und ihn mit einem vollen, flammenden Blick seiner plötzlich entschleierten Augen anblickend, »ich habe schweigend zugesehen, daß man den deutschen Bundesvertrag gewaltsam zerrissen hat, ich werde es aber nicht dulden, daß man einen damit zusammenhängenden Vertrag, ein anderes Glied aus jener 1815 geschmiedeten Kette, an den Grenzen Frankreichs gewaltsam aufrecht halte!«
»Aber, Sire,« rief Lord Cowley, erschrocken über diesen heftigen Ausbruch, »ich bitte Eure Majestät –«
»Oder halten Sie,« rief der Kaiser, »diese Luxemburger Verträge nicht mit dem deutschen Bunde für erloschen? Lord Stanley wenigstens hat dem Fürsten Latour d'Auvergne und ebenso auch dem preußischen und dem russischen Botschafter in London erklärt, daß nach seiner Meinung der König von Holland unbestreitbar das Recht habe, Luxemburg an Frankreich abzutreten.«
»Ganz gewiß, Sire,« sagte Lord Cowley in fast ängstlichem Tone, »ist das Recht nach der Auffassung meiner Regierung unzweifelhaft auf Ihrer Seite, die Aufhebung des deutschen Bundes hat die Verträge über die Besatzung der Festung Luxemburg aufgehoben, und der König von Holland kann darüber disponieren, wie er will, dies unterliegt gar keinem Zweifel, Mein –«
»Allein –?« fragte der Kaiser. »Soll ich zurückweichen, wenn ich im Rechte bin?«
»Sire,« sagte Lord Cowley in bittendem Tone, »Eurer Majestät hocherleuchteter Geist schätzt nach seinem wahren Werte den Frieden Europas, die Königin und ihre Regierung geben sich der Hoffnung hin, daß Eure Majestät dem hohen Wert dieses Friedens auch ein Opfer zu bringen bereit sein würden.«
»Ein Opfer an der Ehre Frankreichs?« rief der Kaiser, einen funkelnden Blick aus seinen weit geöffneten Augen auf den Botschafter werfend.
»Wer würde es wagen, daran zu denken, Sire!« rief Lord Cowley, »aber,« fuhr er fort, indem er sich einen Schritt dem Kaiser näherte, »Eure Majestät haben soeben besonders betont, daß hauptsächlich die preußische Besatzung in der Festung Luxemburg Ihnen unberechtigt erscheint und Ihr Mißfallen erregt.«
»Das Großherzogtum Luxemburg selbst ist mir höchst gleichgültig!« rief der Kaiser in wegwerfendem Tone, indem er auf den englischen Botschafter einen scharfen, beobachtenden Blick warf, der sich sogleich wieder unter den schnell sich herabsenkenden Augenlidern verbarg.
Lord Cowleys Gesicht überzog ein freudiger Schimmer.
»Eure Majestät legten also in der Tat auf den Besitz des Großherzogtums keinen Wert, und würden mit einer Neutralisation des Landes einverstanden sein?«
Der Kaiser senkte das Haupt. Langsam setzte er sich in seinen Lehnstuhl.
Lord Cowley ließ sich auf seine Aufforderung ihm gegenüber nieder.
Sie stellen da eine sehr bestimmt formulierte Frage, mein teurer Lord,« sagte Napoleon nach einigem Nachdenken, »um dem Botschafter Großbritanniens darauf zu antworten, müßte ich den Rat meiner versammelten Minister hören, und,« fügte er mit eigentümlichem Lächeln hinzu, »die öffentliche Meinung Frankreichs zu Rate ziehen, denn Sie wissen ja, mein lieber Botschafter, ich bin nicht legitimer Kaiser in jenem alten Sinne, ich bin der Erwählte der Nation, ich muß also dem Willen meiner Mandanten gehorchen, und ich weiß nicht –«
»Eure Majestät,« sagte Lord Cowley, »haben ja öfter mir schon das ausgezeichnete und mich hoch ehrende Vertrauen bewiesen, mir Ihre persönlichen Anschauungen mitzuteilen, sollte es denn jetzt –«
Der Kaiser lehnte sich, den rechten Ellenbogen auf das Knie gestützt, den Schnurrbart in den Fingerspitzen drehend, zu dem englischen Botschafter hinüber und sah ihn mit großen Augen und tief eindringendem Blick an.
»Mein teurer Lord,« sagte er, »ich habe kein Bedenken, Ihnen auch diesmal meine persönliche Anficht über die schwebende Frage zu sagen.«
Der Lord lauschte gespannt.
»Nach meiner Auffassung,« fuhr der Kaiser, immer den Schnurrbart drehend, fort, »muß Frankreich mit großem Bedauern das Herannahen eines Konflikts mit Deutschland sehen, ich stelle mich einzig und allein auf den rechtlichen Standpunkt, daß Frankreich nicht zugeben kann, das Luxemburger Land und dessen bedeutsame Festung durch die Preußen, die dort vertragsmäßig nichts mehr zu tun haben, besetzt zu sehen. – Demzufolge würde ich der Meinung sein, daß Frankreich, wenn die preußische Besatzung zurückgezogen wird, auf die Neutralisation des Landes, unter welcher Bedingung immer, eingehen könne.«
Lord Cowley atmete auf.
»Darf ich diese Ansicht Eurer Majestät nach London mitteilen?« fragte er eifrig.
»Warum nicht!« sagte der Kaiser. »Indes bitte ich Sie, nicht zu vergessen, daß es meine rein persönliche Meinung ist, gegen welche vielleicht meine Minister gewichtige Gründe anzuführen haben könnten.«
»Aber wenn es gelingen sollte, ein Arrangement auf der Basis dieser Anschauungen Eurer Majestät in Berlin annehmen zu lassen?«
»So würde ich versuchen, meinen Ministern gegenüber meine Meinung zu verfechten,«