Die wichtigsten Werke von Richard Voß. Richard Voß. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Richard Voß
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027223008
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darin er in den gewähltesten Worten seinen Dank aussprach. Dem Briefe war eine Summe beigelegt, welche ein König hätte senden können.

      Fernow überließ das ganze Geld Augustins Eltern, die in der letzten Zeit tief verschuldet worden, und von denen der Pater nicht einmal Abschieb genommen.

      So verschwand dieser Mensch aus unseren Augen, aber, wie wir fest überzeugt waren, gewiß nicht für immer. Er würde wiederkommen, war doch noch Veronika da.

      Diese lebte in dem Hause ihres Bruders, wenn man leben nennen kann, daß sie ging, sich bewegte, auch dann und wann ein Wort sprach, wohl auch dann und wann einen Gedanken hatte. Dabei war sie nicht krank. Im Hause tat sie alle Verrichtungen wie früher, nur in einer Art, als wüßte sie nichts davon. Zuweilen mochte sie es entdecken und schien dann darüber sehr erstaunt. Zu ihrem Bruder sprach sie selten, doch trug sie rührende Sorgfalt um ihn und konnte, wenn sie nichts zu tun hatte, stundenlang sitzen und ihn anschauen. Sie besuchte niemals das Grab ihres Bräutigams, betrat auch die Kirche nicht wieder. Pfarrer Andreas bemerkte nicht, daß sie jemals betete oder eine ihrer früheren Andachten verrichtete. Das priesterliche Amt ihres Bruders schien ihr größte Qual zu bereiten, der Haß der Dorfbewohner jedoch vollkommen gleichgültig zu sein. Oft stand sie im Garten unter der Felswand und betrachtete, in tiefes Sinnen verloren, die Stelle, wo im Sommer die Rosen und Nelken geblüht.

      Sie mußte schlaflose Nächte haben. Die alte Magd, die unter ihr schlief, hörte sie jede Nacht viele Stunden lang umherwandeln. Einmal faßte sie sich ein Herz aufzustehen, hinaufzugehen und in ihr Zimmer einzutreten. Da sah sie etwas Fürchterliches.

      Abgewandt von ihr stand Veronika in ihr blutgetränktes Maria Magdalena-Gewand gekleidet und sah sich unverwandt im Spiegel an, mit einem Ausdruck, einem Blick – –

      Sprachlos vor Entsetzen wich die Magd zurück, ohne von ihr bemerkt worden zu sein.

      Unterdessen ist es Winter geworden, soll es bald wieder Frühling werden.

      Siebzehntes Kapitel

       Beglücken und beglückt

       Inhaltsverzeichnis

      Seit einigen Tagen bin ich Fernows Weib. Endlich habe ich meine Lebensaufgabe gefunden, die große, erhabene Arbeit aller meiner zukünftigen Tage: den besten, treuesten und edelsten aller Menschen zu beglücken und durch sein Glück beglückt zu werden. Endlich erfüllte ich meine Frauenbestimmung, bin ich geworden, wofür ich geschaffen ward: die Lebensgefährtin eines Mannes, diesem durch die stärksten aller Empfindungen vermählt: unerschöpfliche Dankbarkeit, grenzenloses Vertrauen, höchste Verehrung.

      Wie eine Binde ist es von meinen Augen gefallen. Erst jetzt sehe ich um mich und in mir den Tag und kann die Dunkelheit nicht mehr fassen, die mir so lange Haupt und Sinne umlagert. Wie war es möglich, daß ich erst jetzt die Seine geworden, daß ich erst jetzt erkannt, was für ihn und mich das einzig Richtige ist, was von vornherein meine schönste Pflicht, mein schönstes Glück gewesen wäre?! Ich mußte erst den Verstand verlieren, um das begreifen zu können.

      Aber jetzt ist alles, jetzt alles gefunden und erfüllt! Gesegnet sei der Tag, der dir dein Weib in deine Arme führte, mein geliebter Gatte.

      Ich nenne ihn meinen Gatten und mich sein Weib. Unsere geweihte Liebe kann uns bezeugen, daß wir sind, was wir uns nennen, obgleich wir nicht Hand in Hand vor die Gottheit getreten, wenigstens nicht in der Kirche. Viele werden uns verdammen und nur wenige uns verstehen; zu diesen wenigen sei hier gesprochen.

      Ich kämpfte lange mit mir, nicht aus Angst und Furcht für mich, sondern für ihn: war ich seiner würdig?

      Nein, das meine ich nicht, das hatte ich von Anfang an gewußt: als zum erstenmal die Ahnung seiner Liebe in mir aufstieg, wußte ich, daß ich seiner nicht würdig sei, es nie werden konnte. Die Frage war: konnte, durfte ich ihm den traurigen Rest meines Daseins anbieten, nachdem ich mich ihm in der Überfülle meines Lebens verweigert? Beging ich kein Verbrechen gegen ihn, keine Untreue gegen den Toten und gegen mich selbst?! – – Ich hielt tiefste Einkehr in mir, durchforschte jede Falte meines Herzens, forderte von jeder Empfindung, von jedem Gedanken Rechenschaft. Denn nur als eine Streiterin, die völlig überwunden, durfte ich vor ihn hintreten, demütig bittend: drücke der Siegerin die Krone auf das Haupt.

      Lange zweifelte, lange zauderte ich; plötzlich war ich überzeugt und entschlossen.

      Ich wollte es ihm gleich sagen.

      Es war spät in der Nacht, aber in seinem Arbeitszimmer brannte noch Licht. Ich schickte meine Kammerfrau zu Bette und kleidete mich für meinen Verlobungsabend an: ein weißes Kleid – seit vielen Jahren zum erstenmal! Von meinen Blumen war eine dunkelrote Rose aufgeblüht. Diese steckte ich mir ins Haar – seit vielen Jahren zum erstenmal! So geschmückt setzte ich mich an meinen Schreibtisch, schloß auf, zog die Briefe des Toten hervor, verbrannte sie am Kaminfeuer. Nichts behielt ich übrig. Als in der schwarzen Asche der letzte Funken verglommen, ging ich zu ihm.

      Leise durchschritt ich das dunkle Vorgemach und hob den Vorhang auf. Er saß von mir angewandt an seinem Schreibtisch, in seine Arbeit vertieft. Einen Augenblick stand ich ihn betrachtend da; auch schlug mein Herz so heftig, daß ich mich gegen die Wand lehnen mußte.

      »Noch ist er ahnungslos,« rief in mir eine warnende Stimme. »Noch ist es Zeit.«

      Aber noch ehe ich einen anderen Gedanken fassen konnte, raffte ich mich auf, eilte ich vor, rief ich ihn – zum erstenmal bei seinem Vornamen.

      »Axel!«

      Er fuhr in die Höhe, sah mich, taumelte auf, hielt sich an der Lehne seines Stuhles, starrte mich an – – Gott im Himmel, mit welchem totenblassen Gesicht, mit welchem Ausdruck!

      So standen wir uns eine Weile regungslos gegenüber.

      Ich wollte ihm etwas sagen, ihm etwas zujubeln; aber ich war meiner Sprache nicht mächtig. Langsam näherte ich mich ihm.

      Am ganzen Körper bebend, streckte er mir wie abwehrend seinen Arm entgegen. Doch schon lag ich an seiner Brust. Da umfaßte auch er mich, stark, gewaltig, unentreißbar.

      Er hatte mich endlich verstanden, hatte es endlich gefaßt und seine ganze Besonnenheit, seine ganze Kraft und Ruhe wiedergefunden.

      Denkt euch, dieser Mann! Er wollte nicht beglückt werden, wollte nicht beglücken! Er verweigerte seiner armen Freundin ihren letzten Ruheort an seiner Brust, wollte seiner lieben, kleinen Rolla – denn das war sie einst gewesen – nicht gönnen, endlich gut und weise zu werden. Ich fürchte, ich hörte sogar etwas von Entsagung und Opfer. So zwang er mich denn wirklich, er tat's! – ihm eine lange, lange Beichte zu stammeln, der er mit angewandtem Gesicht zuhörte. Da mußte denn selbst dieses harte, unbeugsame Herz sich ergeben. Nie hatte ich schwerer gekämpft – niemals schöner gesiegt.

      Als ich ihn sicher und für immer besaß – wie fühlte ich mich da beruhigt, wie war ich da jetzt schon beglückt!

      Wir durchwachten die ganze Nacht. Er ließ meine Hand nicht los. Alles wurde von uns besprochen, nichts zurückgehalten ober schweigend übergangen. Wir konnten uns in die Augen sehen und hatten keinen Gedanken, den wir voreinander zu verstecken brauchten. Ein neues, nie empfundenes Lebensgefühl durchdrang mich wie eine Glutwelle: hier konnte nie etwas bereut, nie etwas gebüßt werden.

      Mein Verlobter sagte mir kein Wort von seiner Liebe. Wie hätte er dafür auch Worte finden sollen?! Sein ganzes Leben war nichts als die Erfüllung jenes einen Ausdrucks gewesen – mein ganzes Leben würde ich meine Liebe erfüllen müssen.

      Über einen Punkt verständigten wir uns wortlos: unser Bündnis bedurfte keiner Form.

      Was für die Sittlichkeit der Allgemeinheit ein Gesetz ist, verliert für besondere Existenzen seine Notwendigkeit und seinen Zwang. Wo bleibt die Heiligkeit sogenannter Ehen, wenn die meisten derselben nur unsittliche Verhältnisse sind? Wo bleibt die Lasterhaftigkeit solcher sogenannten, verbrecherischen Verhältnisse, wenn dieselben ihrem Wesen nach heilig geschlossene