Die wichtigsten Werke von Richard Voß. Richard Voß. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Richard Voß
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027223008
Скачать книгу
hört, wie merkwürdig dies ist; die Verehrung des Volkes für beide hat ihren Ursprung in einer gemeinsamen Quelle des Volksgeistes: in seiner Sehnsucht nach einer höheren Existenz. Deshalb seht ihr mich auch noch immer voller Hoffnung. Auch Veronika möchte ich euch bei dieser Gelegenheit verständlicher machen. Ihr Gemüt unterlag der Macht beider Erscheinungen, und das wahrlich aus keinem weniger edlen Grund, als wir ihn bei dem Volk annehmen dürfen: leidenschaftliches Verlangen nach etwas Großem, davon sie Anlagen in sich selbst fühlte. Aber beide Male geriet sie in einen Irrtum. – – Übrigens habe ich nie wieder etwas von ihm gehört. Was mag aus ihm geworden sein?«

      Ohne die Augen von meinem Gatten zu lassen, antwortete ich: »Er ist verschollen, er ist tot.«

      »Verschollen, tot, dieser herrliche Mensch?!« Und er fuhr sich mit der Hand nach den Augen, die er bedeckt hielt.

      »Woher wissen Sie das? Haben Sie ihn gekannt?« rief er nach einer Weile.

      Diesmal antwortete ihm Axel: »Dieser herrliche Mensch war auch unser Freund, auch wir haben ihn geliebt.«

      »Das ist seltsam, das ist sehr seltsam – – Und er ist wirklich tot?«

      »Wirklich tot,« wiederholte ich.

      Der Pfarrer sagte nichts mehr; nach einer Weile ging er. Daß ich ihm nicht die Hand küssen durfte, die er um seinetwillen an die Augen gedrückt!

      Dafür küßte ich diejenige meines Mannes.

      Ob ich ihm auch heute mein Tagebuch bringe? Meine Schrift, dünkt mich, ist heute so unleserlich.

      Wenn ich Veronika nur einmal umfassen und an mein Herz drücken könnte! Ich habe solche Sehnsucht, ihre Schwester zu werden. Aber sie ist unnahbar für mich und ich kann ihr doch nicht sagen: ich habe ihn auch geliebt.

      Auch geliebt? Als er zum letztenmal im Pfarrhof weilte, war sie fast noch ein Kind. Aber wer ihn liebt, der ist kein Kind mehr.

      Veronika, liebe, liebe Freundin.

      Die Flut steigt.

      Neunzehntes Kapitel

       Die Flut steigt

       Inhaltsverzeichnis

      Welche Zeit! In diesem unseligen Frühjahr, das so früh kam und strahlend anbrach, wie keines seit Menschengedenken, reißen empörte Fluten noch anderes mit sich fort, als friedliches Ackerland und die Wohnstätten der Menschen. Durch alle Länder rast die Windsbraut, rüttelt an Thronen, zerrt an Purpurmänteln, zerschmettert Kronen, reißt Kirchen und Staatshäuser um, wühlt Gerüste auf, begräbt Menschen und Dinge, fegt über alles Bestehende dahin, daß Europa erbebt.

      Revolution!

      Das Volk wächst riesengroß. Über die Köpfe der Könige und Fürsten hinweg steigt das schreckliche Haupt empor und erstarrt den, der es anblickt. Aber die blutbesteckte Hand weist gen Himmel.

      Und bis zum Himmel bäumt sich die Sturmflut des empörten Menschengeistes. Auch die falschen Diener der beleidigten Gottheit trifft die Vernichtung. Aus dem Gewölk, das die Ewige Stadt umlagert, zuckt Bannstrahl auf Bannstrahl. Aber die Menschheit schüttelt die Blitze von sich ab, lachend und übermütig wie ein Götterjüngling, nach dem man mit Rosen wirft.

      Unter dem, was erbebt, befindet sich auch ein hochaufragendes, gewaltiges Haus, das sich einsam und feierlich über der Ewigen Stadt erhebt.

      Das Geheul seiner Gläubigen erstickt den Jubelruf Tausender.

      Die Länder treiben ihre gefährlichsten Feinde aus: die Jesuiten müssen fliehen! An ihrer Menge erkennt man erst, wieviel ihrer gewesen, welche Scharen von Todfeinden die Länder beherbergt, überallhin haben sie sich verkrochen, überall werden sie hervorgejagt. Das ist ein Siegesjauchzen: Freiheit, Freiheit!

      Immer höher steigt der Blutstrom, durch den die Revolution schreitet, nicht immer als Heldin und Göttin. Immer höher und höher steigen die Fluten.

      Auch in unserem Tal wird es losbrechen. So eng uns auch die Felsen umschließen und von der Welt abschneiden, sind wir doch nicht eingekerkert genug, um nicht den Frühlingsodem dieses Freiheitsjahres herüberwehen zu fühlen. Was bei uns glüht, ist freilich nur ein Funken der Flammen, die jetzt ganz Europa durchlodern.

      Heute kam unser Freund zu uns geeilt.

      »Die Südtiroler wollen das Land vom Reich losreißen. Wir sollen Welsche werden.«

      Sein Grimm ließ keinen Schmerz aufkommen. Der Priester sah aus wie ein Held.

      »Was werden die Tiroler tun?«

      »Tiroler sein und bleiben,« lautete die stolze Antwort. »Kennen die da drüben unsere Art so wenig. Sie ist deutsch: treu und stark. Jetzt fürchte ich nichts mehr. In der Seele des Tirolers wohnen zwei Dinge, um derentwillen er sich das Herz herausreißen ließe: Gott und Vaterland! Das eine mag er sich verzerren und entstellen lassen, an das andere darf keine Hand rühren. Sie sollten das wissen. Der Tiroler hat seine Geschichte mit seinem Herzblut geschrieben. Ehe wir aufhören, Tiroler zu sein, muß es kein Land Tirol mehr geben. Laßt sie kommen! Wir haben unsere Felsen, die wir für sie herabreißen können.«

      »Und die Dorfleute?«

      »Die Elenden! Sie sind ihres Namens nicht wert; sie haben vergessen, was sie sind. Aber ich werde sie daran erinnern. Ich werde es ihnen zudonnern; wenn es sein muß, mit dem Schwert in der Hand, anstatt mit dem Kreuz. Fast alle befinden sich im Lager des Feindes. Eben jetzt will ich gehen, sie zurückzuholen. Wehe ihnen, wenn sie zaudern.«

      »Wir begleiten Sie.«

      »So kommt.«

      Ohne noch ein Wort zu sagen, verließen wir das Schloß. Draußen fragte Axel den Pfarrer: »Sie haben doch eine Waffe bei sich?«

      »Nein.«

      Wir schlugen die Richtung nach der Wasserfallalp ein. Bei einer Biegung des Weges sahen wir hinter einem Fels eine Frau hervortreten und unbeweglich unsere Ankunft erwarten.

      Es war Veronika.

      Ich warf einen Blick auf den Pfarrer, in dessen Gesicht eine mächtige Bewegung arbeitete. Doch sagte er nichts.

      Als wir dicht bei ihr waren, trat sie vor und blieb vor ihrem Bruder stehen. Axel und ich wollten vorübergehen, um die Geschwister allein zu lassen, wurden jedoch durch einen flehenden Blick Veronikas zurückgehalten. Wir hörten folgendes Gespräch: »Du willst auf die Wasserfallalp?«

      »Ja.«

      »Was willst du dort?«

      »Meine Pflicht tun.«

      »Sie hören dich nicht.«

      »Sie werden mich hören.«

      »Du kennst ihn nicht.«

      »Wenn du den Jesuitenpater meinst – –«

      »Ihn meine ich.«

      »Ich kenne ihn. Er kann sie auf mich hetzen und sie können ihren Pfarrer niederstoßen. Mehr können sie nicht und hören müssen sie doch.«

      Ein Stöhnen entrang sich Veronikas blassen Lippen.

      »Geh nicht!«

      »Willst du mich etwa zurückhalten?«

      »Nein, nein!«

      »Also – –«

      »Ich gehe mit.«

      »Willst du mich etwa schützen?«

      Er sprach hart und sah sie mit einem unerbittlichen Blicke an. Dann gebot er ihr: »Du gehst nicht mit, folgst mir auch nicht; sondern begibst dich augenblicklich nach Hause.«

      Sie zauderte. Ihre gesenkten Augen, ihr geneigtes Haupt gaben ihr den Ausdruck tiefster Demut. Dann, ohne zu wagen noch einmal aufzusehen, verließ sie uns, langsam davonschreitend.

      Ich