Die wichtigsten Werke von Richard Voß. Richard Voß. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Richard Voß
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027223008
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war, als ob wir einem Lager zuschritten. Bewaffnete begegneten uns und Leute, die Proviant hinauftrugen. Meistens waren es Weiber. Sie gingen trotzig an uns vorüber, ohne Gruß, mit feindseligen Blicken.

      Wir waren überzeugt, daß uns schon Wächter erspäht, die dem Jesuitenpater unser Kommen meldeten.

      Beim Felsentor angelangt, fanden wir es von Mannschaften besetzt, wild aussehenden Gestalten aus den italienischen Tälern. Sie mußten Befehl erhalten haben, uns durchzulassen.

      In der Tat konnte man die Wasserfallalm mittels einer einzigen starken Verteidigung der Felsenpforte zu einem beinahe uneinnehmbaren Lagerplatze umwandeln. Der Jesuit schien auch mit Talent und Glück den Feldherrn spielen zu können.

      Die Alm gewährte einen völlig kriegerischen Anblick. Rings um die Hütte war aus Tannenästen ein Walddorf gebaut. Das Blockhaus selbst mußte die Wohnung des Paters sein, über dem Dache war ein hohes Kreuz errichtet, das ein rotes Tuch umschlang.

      Als der Pfarrer dies sah, verlor er seine ganze Haltung.

      »In meinem eigenen Hause!« murmelte er und wollte vorstürzen.

      Axel hielt ihn zurück.

      Er stand, wischte sich den Schweiß von der Stirn, atmete tief auf und hatte dann wieder die Herrschaft über sich gewonnen.

      Bei unserem Nahen liefen die Leute zusammen; überall bildeten sich Gruppen.

      Am Saum des Waldes wurden die Männer von dem Pater einexerziert. Wir sahen die zierliche, elegante Gestalt ganz ruhig und sicher vor seiner Kompagnie stehen und hörten ihn mit seiner weichsten Stimme kommandieren.

      Er wandte uns den Rücken. Doch mußte er von unserer Ankunft genau unterrichtet sein; denn als wir nur noch in kurzer Entfernung von der Hütte waren, schickte er einen Mann nach uns ab, der nach unserem Begehr fragte.

      Auf die Hütte deutend, erwiderte der Pfarrer: »Dieses Haus ist mein Eigentum. Sagt dem, der Euch geschickt hat, daß der Besitzer dieses Hauses gekommen sei und dessen sofortige Räumung geböte.«

      Der Mann verließ uns. Pfarrer Andreas schritt mit uns auf die Hütte zu, an deren Eingang wir warteten.

      Die Weiber und Kinder rotteten sich um uns zusammen. Der Pfarrer sah unter dem fremden Volk viele aus seiner Gemeinde.

      Wir standen bereits eine ganze Weile, als wir den Pater selbst auf uns zukommen sahen, ruhig schlendernd, in nachlässiger Haltung. Er trug hohe Stiefeln und hatte über seinen Priesterrock einen schwarzen Mantel geworfen. Sein dunkler, breitkrempiger Hut saß tief in die Stirn gedrückt. Er sah blaß und leidend aus, seine Augenlider waren tief gesenkt, was seinem Blick etwas Mattes und Müdes gab.

      Einige Schritte von uns blieb er stehen, grüßte mich leicht, ohne die anderen zu beachten und erwartete unsere Ansprache.

      »Sie haben gehört, wer ich bin und was ich will,« redete Pfarrer Andreas den Pater wie einen völlig Fremden an.

      »Der Mann hat es mir allerdings gesagt,« erwiderte der Pater in derselben Weise. »Sie sind der Eigentümer dieses Hauses und fordern dasselbe zurück. Ihr Verlangen ist vollkommen gerechtfertigt; ebenso vollkommen wird meine Besitzergreifung Ihres Eigentums durch die Zeiten entschuldigt. Sie werden das einsehen.«

      »Durchaus nicht. Ich bitte Sie also –«

      »Ich fürchte, Sie bitten unnütz,« unterbrach ihn der Unverschämte. »Doch sprechen wir später davon. Zuerst mögen Sie das tun, um dessentwillen Sie heraufgekommen sind.

      Und sich von uns abwendend, lief er laut über die Wiese hinüber: »Versammelt euch! Dieser Mann hat euch etwas zu sagen.«

      Er grüßte wiederum nur mich und schritt davon, wie er gekommen war. Nicht einen Augenblick hatte er während des Gesprächs seine blasierte Manier abgelegt oder einen von uns eines Blickes gewürdigt. Der Mensch hatte uns wie Lakaien behandelt.

      »Bleibt ruhig!« gebot uns der Pfarrer. »Es handelt sich jetzt um Größeres. Gott stehe mir bei!«

      Er grüßte uns mit den Augen und ging langsam vor, dem Haufen zu, der sich auf Befehl des Paters am Waldsaum gesammelt hatte. In leidenschaftliche! Auflegung ergriff ich Fernows Arm.

      »Er wird machtlos sein, er wild sich hinreißen lassen! Ein Unglück wild geschehen! Wenn dieser Wann jetzt ruhig zu reden vermag, ist er kein starker, sondern ein großer Geist.«

      »Er wird nie ruhiger gesprochen haben, als wie er jetzt sprechen wird. Aber es scheint mir kaum möglich zu sein, hier etwas zu erreichen. Still, er fängt an.«

      »Ihr Männer und Leute! Ich bin heraufgekommen, mit euch zu reden. Ihr habt vergessen, was eure Väter gewesen und was ihr seid – Tiroler! Es ist mein Amt und meine Pflicht, euch daran zu erinnern; denn ihr möchtet es sonst schwer bereuen. Ihr scheint nicht zu wissen, wie es um das Land steht, das euer Vaterland ist und welches eure Väter und Großväter so sehr liebten, daß sie darum den Heldentod gestorben sind. In Tirol ist jeder Berg ein Denkmal der Liebe des Tirolers zu seinem Lande; denn um jedes dieser Alpenhäupter ist das Blut des Tirolers geflossen. Wißt ihr, weshalb ihr von euren Müttern geboren worden seid? Ist dort unter den Frauen keine Mutter, die es ihrem Sohne sagen kann? Wie es scheint, nein. So will ich's euch denn sagen. Eure Mütter haben euch geboren, um treue Tiroler zu sein; ein treuer Tiroler sein, heißt: sein Vaterland lieben. Das tut keiner von euch. Ich schäme mich, es für euch auszusprechen, aber es ist so. Denn wie könnt ihr euer Vaterland lieben, die ihr helfen wollt, es seinem Feind zu überliefern? Eigentlich müßtet ihr mir ins Gesicht schlagen, daß ich wage, euch solches zu sagen. Ich wollte, ihr tätet es.«

      Das Murmeln der Menge zwang hier den Pfarrer zu schweigen. Ich drückte krampfhaft meines Gatten Hand.

      »Habe ich dir's nicht gesagt?« raunte dieser mir zu.

      »Daß seine Schwester ihn höre!«

      Die Unruhe unter den Zuhörern wich zu einer andächtigen Stille. Pfarrer Andreas, seine Stimme lauter erhebend, sprach weiter.

      »In der Geschichte des Landes Tirol steht es geschrieben, wie der Tiroler sein Land liebte, wie treu der Tiroler zum Reich hielt. So oft es vom Reiche auch losgerissen ward, so oft kehrte es wieder dahin zurück, wohin es gehörte. Eure Väter haben es erlebt, wie man sogar den heiligen Stamm Tirol in Südbayern umwandelte. Die Männer unter euch waren damals Jünglinge, die Jünglinge Knaben. Ihr alle wißt also, wie Tirol sich seinen Stamm zurückholte. Es ging durch den Mund der Völker von Land zu Land und half von Land zu Land die Flamme der Freiheit entzünden. Wenn man damals von großen Taten sprach, so sprach man von Tirol und den Tirolern. Denkt an Haspinger und Speckbacher, denkt an Andreas Hofer! Gedenkt der Tage von Innsbruck, Hall und Sterzingen, gedenkt des Berges Isel! Gewiß ist unter euch keiner, der sich nicht rühmen kann, daß ihm damals ein Sohn oder Bruder für Tirol gefallen. Tiroler, gedenkt des 20. Januars 1810. Die Kugel, die in Mantua abgeschossen wurde, traf das Herz aller Tiroler. Soll das für nichts zu Tode verwundet worden sein? Ihr selbst würdet jeden einen Lügner nennen, der euch das sagte.«

      Wieder mußte er schweigen; dieses Mal viel länger. Ich konnte vor Erregung kaum atmen. In der Ferne sahen wir eine schlanke, dunkle Gestalt in dem Tann verschwinden.

      Die Männer hatten sich jetzt dicht um den Pfarrer geschart, auch die Frauen drängten näher heran. Mächtig erscholl die Stimme des Predigers über ihren Häuptern dahin.

      »Ich sagte vorhin: ihr wüßtet nicht, wie es um Tirol stünde. Was könnt ihr dafür? Keiner hat es euch gesagt. Ihr wißt nicht, daß man Tirol wiederum vom Reich losreißen will. Diesmal soll das arme Land an Welschland hingeworfen werden, denkt euch: an Welschland! An das Welschland, ihr Tiroler, von welchem damals an euch der Mord verübt wurde. Ihr wißt nicht, daß der Kaiser nach Innsbruck gegangen ist, um sich von seinen treuen Tirolern gegen seine Feinde verteidigen und schützen zu lassen. Ihr wißt nicht, daß sich auf allen Bergen, in allen Tälern die Tiroler erheben, daß bereits 20000 Mann unter Waffen stehen, daß ihr von euren Brüdern erwartet werdet. Ich bin gekommen, um euch zu ihnen zu führen.«

      Welche Wirkung? Wie ein Brausen