Der Vorstellung schloß sich ein Galadiner an. Für uns Schauspieler ward die Tafel in dem kleinen Bankettsaal serviert.
Ich hatte Toilette machen müssen und trug eine mattgelbe Atlasrobe, mit braunroten Blattgewinden besteckt, als einzigen Schmuck die Gemme des Prinzen. Wir hatten zur Tafelmusik ein eigenes Orchester.
Nach der Tafel wurden wir den Herrschaften vorgestellt. Wieder führte der Prinz die Königin, der König die Fürstin.
Die Königin ignorierte mich völlig. Ich sah, wie dem Prinzen das Blut ins Gesicht stieg; er warf mir einen fast flehenden Blick zu. Der König unterhielt sich längere Zeit mit mir und ich mußte Seiner Majestät meine Mutter bringen. Die Fürstin war in ihrem gütigen Ton gegen mich unverändert.
Nachdem diese Zeremonie vorüber, ward uns gestattet, dem Balle der hohen Herrschaften zuzusehen. Ich wollte nach Hause. Wie ich mich nach der Mutter umschaute, fand ich diese nicht. Ich begab mich fort, um sie aufzusuchen. Mein Weg führte mich durch die Gartensäle. Über die Palmendickichte, die Kamelienbosketts, die Rosengänge und Grotten ergoß sich ein matter Glanz wie Mondschein. Es war hier einsam. Eine Fontäne plätscherte; geisterhaft schimmerten durch das dunkle Laub die Statuen, aus dem Ballsaal rauschten die Töne herüber. Es war so schön, daß ich einen Augenblick verweilen mußte. Tief aufatmend kreuzte ich die Arme über der Brust und blieb regungslos stehen. Da hörte ich einen leisen, leichten Schritt hinter mir. Ich wandte mich um, ich wollte mich entfernen – ich stand dem Prinzen gegenüber.
Da ich sah, wie er durch meinen unerwarteten Anblick verwirrt wurde, wie er nach Fassung rang, achtete ich nicht des Zeremoniells und redete ihn an.
Er erwiderte nichts. Sein Auge starr auf mich geheftet, ergriff er meine Hand und stammelte verzückte, leidenschaftliche, trunkene Worte.
Zweiundzwanzigstes Kapitel
Meines Trauerspieles erster Akt
Am nächsten Morgen kam er zu mir. Die Mutter war dabei, als wir zusammen sprachen. Was war es für eine Stunde! Helf mir Gott: ich klagte mein eignes Herz an, das nur Mitleid fühlen wollte, nur Mitleid! Ich hätte ihm so gern eine schwesterliche Hand gereicht, so gern ein schwesterliches Wort gesagt. – – Ich mußte schweigen. Aber er sah, daß ich litt.
Ich ließ ihn endlich mit der Mutter allein. Wohl eine Stunde blieben die beiden zusammen; ich sah ihn nicht mehr.
Aber noch spät in der Nacht kam sein Adjutant; die Mutter empfing den Herrn. Er kam aus dem Kabinett des Königs. Unter dem Namen einer Baronesse von Hochheim sollte ich dem Prinzen an die linke Hand angetraut werden.
Wie erwartete ich an diesem Tage Fernow! Aber er kam nicht; auch den nächsten Tag hoffte ich vergebens. Da schickte ich zu ihm. Er war fort, fort auf ungewisse Zeit, fort, ohne mir ein Wort zurückgelassen zu haben! Ich schrieb ihm und erhielt seine Antwort: groß, stark, herrlich. Nur er konnte so schreiben. Aber er wollte nicht kommen; ich mußte es ohne ihn durchkämpfen.
Auch der Leibarzt des Prinzen kam. Ich hörte, wie es mit dem Unglücklichen stand: nur durch mich war er noch länger seiner Mutter zu erhalten.
Ich konnte nicht – ich konnte nicht!
Ich hatte mein Gesuch um Urlaub eingereicht; aber obgleich ich wußte, daß es mir auf speziellen Befehl Seiner Majestät ausgefertigt worden war, verzögerte sich die Sache dennoch. Um einen Eklat zu vermeiden, mußte ich noch eine Zeitlang aushalten.
Das Haus war jetzt immer ausverkauft, wenn ich spielte. Distinguiert, wie das Publikum war, benahm es sich doch nicht immer taktvoll gegen mich. Es wollte mir seine Teilnahme zeigen, aber es tat mir nichts weniger als wohl damit. Die Hofloge war immer leer.
Ich spielte gut wie niemals; denn ich litt wie niemals. – – Wie recht er hatte!
Ich legte mir den Zwang auf, wieder einige Salons zu besuchen. Immer mehr lernte ich die Welt kennen.
Einmal verbreiteten die Zeitungen die Nachricht, daß der Prinz sich vermählen würde. Man gab bereits eine detaillierte Beschreibung des Schleiers, der für die hohe Braut in Brüssel gestickt ward. Ein andermal wiederum hieß es: die Vermählung sei aufgeschoben, der Prinz werde sich zur Wiederherstellung seiner angegriffenen Gesundheit nach dem Süden begeben. Die letzte Notiz lautete: der Prinz sei schwer erkrankt.
Zwischen der Mutter und mir ward nie sein Name genannt; aber ich wußte, wie sie litt und nicht nur um mich.
In der Dämmerstunde eines trüben Tages kam ich von einem Spaziergange nach Haus. Vor unserer Tür hielt eine Hofequipage. Zuerst wollte ich umkehren, nahm mich jedoch zusammen und ging hinein.
Luise öffnete mir. Ich erhob abwehrend beide Hände, daß sie mir kein Wort sagen sollte. Im Salon war niemand. Ich trat bei der Mutter ein, es war fast dunkel im Zimmer. Meine Mutter kam auf mich zu; jemand war bei ihr, eine Frau – seine Mutter.
Was in dieser Stunde gesprochen wurde – ich weiß es nicht mehr. Mein Kopf war wirr, mein Herz schmerzte mich, ich konnte nicht denken, nicht fühlen. Ich hörte mich anrufen, mich anflehen: Mein Sohn stirbt, rette meinen Sohn!
Da waren mein Widerstand und meine Kraft gebrochen. Seine Mutter riß mich an ihr Herz, sie weinte, sie dankte mir. Meine Mutter nahm nur leise meine Hand und – küßte sie.
Dann sollte ich sofort zu ihm, gleich – gleich – gleich! Sie war so glücklich, daß ich es fast selbst geworden wäre. In mir ward es ruhig, ein Hauch von wundersamem Frieden zog in mir ein.
Ich küßte meine Mutter; dann ging ich von ihr. Es war Nacht geworden, als wir in den Wagen stiegen, die Straße bereits einsam. Auf der Seite unseres Hauses kam ein Herr gegangen. Ich glaubte ihn zu erkennen. Ja, er war es! Vor unserem Hause stand er still. Er sah den Wagen, er sah mich, die ich das Fenster aufgerissen hatte; aber er hörte mich nicht mehr; die Pferde zogen an, die Fürstin schloß mich in ihre Arme.
Am nächsten Abend ward ich mit dem Prinzen vermählt.
Zweiter Teil
Erstes Kapitel
»Frau Prinzessin«
Gleich nach der Zeremonie begaben wir uns, von der Fürstin begleitet, auf eine Besitzung des Prinzen.
Ich unterlasse es, hier irgendwelche Betrachtungen über meinen Zustand anzustellen. Auch damals tat ich es nicht. Wer in einen Strom springt, um ein Menschenleben zu retten, reflektiert dabei auch nicht.
Das altertümliche Schloß lag in der Nähe der Residenz in einer lieblichen, waldigen Hügelgegend. Am Rand der Ebene stieg es empor, mit vielen Terrassen und Türmen. Von droben hatte man einen weiten Lug ins Land. In buntem Wechsel folgten sich in dem Bilde Felder, Wälder und Fluren. Ein breiter, Schiffe tragender Strom führte seine silberhelle Flut durch die Landschaft. An beiden Ufern lagen Städte und Dörfer, und Städte und Dörfer waren über die ganze, schimmernde Weite zerstreut. Am Horizont tauchten die Türme der Hauptstadt auf.
Mir war es immer wundersam, darüber hinwegzublicken, ein Stück Welt überschauend, daraus kein anderer Ton zu meiner Höhe hinaufdrang, als Sonntags das Geläut der Kirchenglocken. Ich dachte mir das brausende, flutende Leben unter mir und ich in der Höhe, ein vereinzelter Mensch, gewissermaßen zu einem freieren Denken erhoben. – – Dort unten leben und leiden sie alle, alle! Einem jeden erfüllt sich sein Los, ein jeder ist nur eine Welle im Meere des Daseins. Sie rauschen dahin, die einen