Mein Gemahl und unser Heldenvater waren Regisseure; doch durfte jeder ein Wort mit dreinreden. Besonders wollte der Prinz alles mit mir beraten haben. Es schien ihm entschieden wohlzutun, so daß auch der Arzt diese Zerstreuung auf das höchste billigte. Die Fürstin war immer liebenswürdig, immer gütig.
Nach einigen Tagen traf aus der Residenz der Hofstaat meines Gemahls ein: Die Gelehrten, die Künstler, seine Freunde. Da es des Prinzen wahre Freunde waren, wurden es auch die meinen. Ich erfuhr damals von den Menschen nur Gutes.
Unvergleichlich schön waren die Aufführungen im Freien, zu denen unsere Künstler wahre Meisterwerke von Naturdekorationen lieferten. Tasso wurde auf einer Terrasse gespielt, wo die Büsten Vergils und Ariosts unter Palmen und hochstämmigen Lorbeerbäumen aufgestellt waren.
Ach, und ich spielte ja damals zum erstenmal die Iphigenie!
In dem Gemäuer der Ritterburg gaben wir Szenen aus Götz und Käthchen. Überraschend wirksam erwiesen sich die Aufführungen Goethescher Gelegenheitsstücke, wobei unser herrlicher Eichenwald zum Park von Tiefurt wurde. Einen völligen Erfolg errang die »Fischerin«, in einer warmen Vollmondnacht am Ufer eines Weihers aufgeführt.
Das liebe lustige Völklein schwärmte wieder fort.
Mein Gemahl hatte es so gut gemeint; ich war gewiß nicht undankbar; aber – –
Ich befand mich auf der Terrasse, als sie abreisten. Da hörte ich hinter mir den langsamen, leisen, müden Schritt, den ich so gut kannte. Ich wandte mich nach ihm um. In meinem Gesicht stand mein stiller Kummer gewiß nicht zu lesen, aber er mußte ihn doch kennen. Er sah mich an, so liebevoll, so traurig.
»Es dauert nicht mehr lange, Rolla.«
Ich fühlte mich als eine Verbrecherin.
Als es Herbst ward, erriet ich, daß es schlechter um ihn stand. So sehr ich dem Leibarzt vertraute, empfand ich doch lebhafte Sehnsucht die Meinung Fernows zu hören. Ich wußte, daß der Leibarzt ihn ungemein schätzte und konnte also mit diesem eine Konsultation Fernows besprechen. Der vortreffliche Mann war vollkommen damit einverstanden.
Nun galt es, die Fürstin nicht zu erschrecken.
Ich hatte meinem Gemahl viel von meinem Freund erzählt und der Prinz häufig den lebhaften Wunsch geäußert, ihn kennen zu lernen. Eine Bemerkung genügte, um an Fernow eine dringende Einladung ergehen zu lassen. Ich schrieb auch und legte ihm meine Sorge ans Herz. Seine Antwort kam umgehend und lautete bejahend: binnen kurzem dürften wir ihn erwarten.
An dem Tage, da er eintreffen sollte, schmückte ich sein ganzes Zimmer mit Blumen aus. Auf den Schreibtisch stellte ich eine Schale voller Rosen. Dann zog ich ein Kleid an, das er kannte und gern hatte und ging ihm entgegen.
Wie ich so durch den strahlenden Herbsttag dahinschritt, war mir's, als sei ich die Rolla von damals. Ich pflückte einen großen Strauß Herbstzeitlosen und lief wie ein Kind einem Schmetterling nach.
Ich hatte mich nicht getäuscht: er ging dem Wagen voraus, den Fußpfad vom Dorf her herauf. Bei meinem Anblick blieb er stehen, ich eilte auf ihn zu, faßte seine beiden Hände aber sagte nichts. Auch er blieb stumm. Wie Gespielen, die lange getrennt gewesen und sich plötzlich wiedergefunden, schritten wir Hand in Hand den Schloßberg hinauf.
Er sagte mir, daß ich sehr wohl aussähe; dann berichtete ich ihm von meinem Gemahl und fragte nach meiner Mutter. Der ging es gut, die ließ mich tausendmal grüßen. Meine gute Mutter! – – Und Luise?
Um Fernows Lippen zuckte ein Lächeln.
»Da folgt uns der Wagen – wollen Sie nicht einsteigen?«
Der Wagen kam. Er war zurückgeschlagen und drinnen saß jemand, eine Frau. Als sie mich sah, sprang sie empor, und hätte in ihrem Eifer, den Wagen anzuhalten, den Kutscher beinahe vom Bock gerissen. Und nun erkannte ich auch das gute, liebe Gesicht. Feuerrot leuchtete es mir entgegen und jetzt – – Der Wagen hielt, über den Schlag hinweg sprang sie auf mich zu, in einem Atem lachend und weinend.
»Es wäre eine der Taten des Herkules gewesen, sie zurückzuhalten,« bemerkte Fernow. »Sie hat übrigens das feierliche Gelübde ablegen müssen, keine Dummheiten zu machen.«
Die gute Seele war gar nicht zu beruhigen. Wir mußten die Equipage vorausschicken, ebenso Fernow. Sie wollte gar nicht von meinem Halse weg, hatte aber die Einbildung, daß ich völlig fassungslos sei und daß sie mich beschwichtigen müsse, wie sie das so oft mit dem Kinde getan. Dabei nannte sie mich abwechselnd bald vertraulich: ihre Rolla, bald mit ungeheurem Respekt: Frau Prinzessin.
Fernow erwartete uns am Parkgitter. Mit ernsthaftestem Gesicht berichtete er mir Luisens großartigen Triumph. Diese tue sich nämlich nicht wenig darauf zugute, mir schon als Kind prophezeit zu haben, daß ich einst eine Prinzessin werden würde und sei jetzt fest überzeugt, daß ich nur deshalb einen Prinzen bekommen.
Mein Gemahl und Fernow fanden großes Gefallen aneinander. Es wäre ja auch anders nicht möglich gewesen. Fernow hatte viele Gespräche mit dem Leibarzt. Mich suchte er mit der Versicherung zu beruhigen, daß für das erste nichts zu befürchten sei. Er wollte acht Tage bleiben und den Prinzen beobachten.
Was war es trotz aller Sorge und Angst für eine glückliche Zeit! Ich hatte ihn wieder, ich hatte ihn wieder! Auch die Fürstin gewann schnell volles Zutrauen zu ihm. So verlebten wir denn die besten, die edelsten Stunden. Er schüttelte eine Fülle von Leben über uns aus; dabei war es, als sei er immer bei uns gewesen, als sei er schon seit Jahren des Fürsten Freund. Diese beiden teuren Menschen so freundschaftlich beisammen zu sehen, war für mich ein Anblick eines sich stets erneuernden Glücks. Zwischen den beiden vornehmen Seelen bestand eine Wahlverwandtschaft, die ihren hauptsächlichen Ausdruck in der gemeinsamen Bewunderung der Griechen fand. Es waren köstliche Gespräche, denen wir Frauen lauschend beiwohnten. Die zwei verstanden sich immer. Oft brauchte der eine nur das erste Wort auszusprechen, um den anderen in seinem eigenen Sinne fortfahren zu hören.
Ich merkte Fernow die Erschütterung an, die das Geschick des Prinzen ihm einflößte. Unverhohlen sprach er seine Bewunderung über diesen freien, feinen Geist, diesen wahrhaft fürstlichen Menschen aus. Seine Teilnahme für den Kranken war so tief, so zart, daß die Fürstin dringend zu wünschen begann, den herrlichen Mann bleibend an sich und ihren Sohn zu fesseln.
Ich wußte, daß die beiden Männer manche nächtliche Stunde, in Gespräche vertieft, beisammen saßen, die ernsthaftesten Materien erörternd und sich in Disputationen über die höchsten Begriffe verlierend – daß mein Gemahl sich von Fernow auf den Tod vorbereiten ließ und ihm sein Glaubensbekenntnis ablegte; eine Unsterblichkeit in Platons Sinn. Ich hatte es ja immer gesagt, daß mein lieber Arzt auch ein Priester sei.
In diesen Tagen war es auch, daß mein Gemahl mir sein größtes Geschenk machte. – – In seinem Beisein fragte ich Fernow einmal nach der armen Anna, die sich noch immer in der Anstalt befand. Der Prinz erfuhr bei dieser Gelegenheit ihre tragische Geschichte, war davon tief bewegt und hatte über den menschlichen, sowie juristischen Fall lange Unterredungen mit Fernow. Sein Geschenk war seine fürstliche Versicherung, daß Anna, falls sie genesen würde, nie und nimmer eine Gefangene werden solle.
In solcher Weise angeregt, besprach er mit Fernow den Bau einer Irrenanstalt, die nach mir den Namen erhalten sollte. Mir persönlich teilte er mit, daß er als Direktor dieser Anstalt Fernow einzusetzen gedenke, nach dessen Prinzipien das edle Institut geleitet werden sollte.
Aus der einen Woche ward eine zweite. Manchmal, wenn mein Mann zu uns beiden sprach, fühlten wir, daß es sich um den letzten Willen eines Sterbenden handle.
Auch mir schenkte der Freund kostbare Stunden. Oft sprachen wir über den Prinzen, selten über meine Kunst, niemals über die Zukunft. Als er einmal ein Buch bei mir liegen fand, schien er mit meiner Lektüre zufrieden zu sein. Es war Shakespeare.
Natürlich hatte ich den Prinzen mit Luisen bekannt gemacht. Wahrend Luise Tränen der Rührung über den »Engel von Mann« vergoß,