Die wichtigsten Werke von Richard Voß. Richard Voß. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Richard Voß
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027223008
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nicht. Sie mußten beruhigt werden, statt aufgeregt.«

      »Aber jetzt bin ich mit Gretchen fertig. Sie wollen ja, daß ich leide; gönnen Sie mir daher diesen Schmerz!«

      »Ich kann Ihnen auch nichts anderes sagen als daß sie stirbt.«

      »Sie ist doch bei ihrer Familie?«

      »Sie hat keine Familie. – – Aber jetzt fragen Sie mich nichts mehr; denn ich beantworte Ihnen nichts mehr.«

      »So mögen Sie denn wissen,« rief ich außer mir, »daß ich glücklich sein würde, wenn ich nur ein einziges Mal sie fühlen lassen könnte, wie ein Mensch um sie leidet.«

      Fernow erwiderte nichts und ging.

      Einige Zeit nach diesem Gespräch sagte er eines Tages zu mir: »Da Sie fast in jedem Stück zu sterben haben, ist es nicht mehr als billig, daß Sie sich auch einmal ein Sterben ansehen. Heute abend werde ich kommen und Sie mit in das Spital nehmen.«

      »Zu einer Sterbenden?«

      »Ja. Fürchten Sie nichts. Es wird nicht grausig sein, sondern feierlich.«

      »Wer ist es? Ein Mädchen oder eine Frau?«

      »Eine Frau. Ich möchte Ihnen jedoch das Nähere erst später sagen.«

      Nachdem er gegangen, bereitete ich mich auf das Ereignis vor... Ich sollte zum erstenmal der Majestät des Todes gegenübertreten, den erhabenen Augenblick erleben, wo eine Menschenseele in jenen Schlummer hinabtaucht, von dem wir nicht wissen, ob er einen Traum hat. Wohl würde es feierlich sein!

      Es war Nacht, als wir unseren Gang antraten. Keiner von uns sprach. Fernow war so ernst, als gingen wir zu dem Sterbebett seiner Schwester.

      Im Spital angekommen, führte uns unser Weg durch die Säle. Trüber Lichtschimmer erhellte sie notdürftig.

      Die langen, weißen Bettreihen bestrahlte es matt: mir kam vor, als sei jedes einzelne ein Sterbelager. Lautlos wandelten die schwarzen Gestalten der Nonnen durch die Gänge. Ich hörte Ächzen und Wimmern, ich sah beim Vorüberschreiten todblasse Gesichter und wieder war es des Lebens ganzer Jammer, der mich packte.

      Die Sterbende, zu der wir wollten, hatte ein Zimmer für sich. Leise traten wir ein, Fernow zuerst. Auch hier brannte nur ein schwermütiges Nachtlicht.

      Bei unserem Eintritt erhob sich die Schwester, die am Bett gesessen, kam auf uns zu und flüsterte Fernow Bescheid zu.

      »Ihr Puls ist kaum noch zu fühlen. Aber sie ist völlig ohne Schmerzen und bei vollem Bewußtsein. Sie erwartet Sie sehnlichst.«

      »Hat sie einen Wunsch geäußert?«

      »Ja. Sie möchte erst am Morgen sterben; es soll alles Licht um sie her sein. In dem Fall, daß es früher geschieht, möchte sie es hell im Zimmer haben. Ich konnte es nicht eher besorgen, als bis Sie kamen.«

      »So besorgen Sie es, wir werden schwerlich bis zum Morgen warten können.«

      Trotzdem ich, die ich ganz nahe stand, das Flüstern der beiden kaum verstanden hatte, war es von der Kranken gehört worden. Sie rief Fernow.

      Wir traten an das Bett, wo ich mich auf dem Platz der Nonne niederließ, während sich Fernow zu ihr herabbeugte.

      »Wie fühlen Sie sich?«

      Sie hatte die Augen geschlossen. Ihr Gesicht war fahl und jetzt schon wie entgeistert. Ich konnte nicht einmal erkennen, ob die Sterbende jung oder alt sei.

      Sie zwang die bereits schwer gewordenen Augenlider in die Höhe; ich sah ihren erlöschenden Blick.

      »Wie ich mich fühle? Selig-schmerzlos – wie niemals. Werde ich noch die Sonne aufgehen sehen?«

      »Nein.«

      »Wahr, bis zuletzt.«

      »Ich erwartete Sie; denn ich möchte Ihnen noch manches sagen.«

      Ich machte eine Bewegung, um aufzustehen; aber Fernow drückte mich sanft nieder.

      »Mein ganzes Leben lang war ich eine Wartende und Harrende: ich wollte glücklich sein. Nun werde ich's. Kein Auferstehen, keine Seligkeit. Das ist ja eben das Schöne dabei.«

      Erschöpft schwieg sie; die Augen fielen ihr wieder zu. Fernow wollte ihr zu trinken reichen; ich nahm ihm das Glas aus der Hand. Er verstand mein Gefühl und ließ mich gewähren. Darauf setzte ich mich wieder.

      Lange Zeit verharrten wir so. Die Schwester kam herein, wurde aber wieder hinausgeschickt. Wieder warteten wir; eine Stunde und noch länger.

      Dann schlug sie von neuem die Augen auf.

      »Ich fühle die Erlösung. Laßt es hell um mich werden.«

      Fernow rief die Schwester. Diese brachte viele Kerzen, die wir anzündeten. Es war ganz festlich.

      Ich sah am Kopfende des Bettes, versuchte zu beten, vermochte aber nur meine Hände zu falten. Dabei konnte ich kein Auge von ihr abwenden. Der Tod verklärte ihre Züge, machte sie unirdisch schön. – – Wo hatte ich dieses wundersame Antlitz schon einmal gesehen?!

      »Ich sterbe – – Doktor, ich will Ihnen etwas verraten: ich sterbe, ohne jemals recht gelebt zu haben. Ich habe immer gedarbt, immer geschmachtet. Und da mir der unermeßliche Krösusschatz in den Schoß strömte; da ich, Tantalide, den vollen Pokal an die Lippen setzen konnte, wies ich beides zurück. Ich stieß die Liebe fort und drückte die Kunst an mein Herz! Ich riß mir die Rosen ab und setzte mir Dornen auf! Wie kalt lag es auf meiner Brust, wie schwer auf meinem Haupt: Jetzt weiß ich's: ich hatte zu einem liebenden Weibe mehr Talent als zur Künstlerin. – – Ich habe viele Trauerspiele gespielt. Wie oft mußte ich sterben und mein gutes Sterben wurde beklatscht. Jetzt fällt der Vorhang, lautlos ist's im Hause, die Lichter verlöschen. – – Stumm liegt die Welt wie das Grab.«

      Entsetzt hatte ich auf sie hingestarrt. Fernow sah mich an, sein Blick erstickte meinen Schrei. – – Wieder eine lange, lange Pause. Dann und wann durchfuhr ein Schauer ihren Körper. Mit meinem erstickten Wehschrei im Herzen wartete ich auf ihren Tod. Aber noch einmal sprach sie: »Einsam habe ich gelebt, aber ich sterbe nicht einsam. Seitdem Sie wieder mein Arzt geworden sind, war es mein Wunsch, in die ewige Ruhe zu dämmern, Ihre Hand in der meinen. Geben Sie mir sie jetzt.«

      Fernow umfaßte ihre beiden Hände und hielt sie fest umschlossen.

      »Vor mir der Tag und hinter mir die Nacht!«

      Aus der Sterbenden war eine Verzückte geworden. Sie hatte sich aufgerichtet: weit offenen Auges schien sie in unendliche Fernen zu blicken.

      Ich war aufgestanden, ich warf mich vor dem Bett auf die Knie, ich schlang um sie, die nichts Irdisches mehr sah, meine Arme. – – So hielt ich sie umfaßt, bis alles vorüber war.

      Dieser Tod war das tragische Ereignis meiner Jugend.

      Einst wäre es mir als ein Glück ohnegleichen erschienen, hätte ich vor meiner Heiligen hinknien dürfen, mich durch die Berührung ihres Gewandes weihen zu lassen; und nun – umfaßt von meinen Armen war sie gestorben.

      Seitdem sie aus dem Süden zurückgekehrt, war sie Fernows Patientin gewesen. Ohne Familie, ohne Freunde hatte sie selbst gewünscht, daß man sie in ein Spital schaffe. Da ich doch nicht hätte zu ihr dürfen und mir überdies meine Ruhe erhalten bleiben mußte, hatte Fernow es mir verschwiegen. Aber er verschaffte mir das leidvolle Glück, an ihrem Sterbebette zu knien.

      Wenn er dabei noch außerdem seine besonderen Absichten gehabt, so erreichte er diese vollkommen. Mein ganzes Innere war durchwühlt von einem erhabenen Schmerz.

      »Vor mir der Tag und hinter mir die Nacht!«

      Mir dieses Wort mit der Inbrunst einer Schwärmerin zu dem Motto meines Lebens machend, wandte sich dieses von nun an mit all seinem Streben dem schönen Himmelslicht zu: einst in die ewige Nacht tauchend, wollte ich hinter mir Tag zurücklassen.

      An einem Herbsttag ward sie begraben. Fernow bot mir in